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46. JAHRGANG
 
9. Feb. 2013


INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) 2013 / 1

„Die Pforten der Hölle...“
Die neue Sinus-Milieu-Studie

„Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16, 18). Eigentlich kann der Kirche ge-mäß kirchlicher Lehre nichts Ernsthaftes passieren. Göttliche Bestandsgarantie! Kein Verfallsda-tum. Jedes Wirtschaftsunternehmen wäre für sich und seine Produkte über eine solche Zusage „heilfroh“.

Doch ganz so einfach und sicher scheint es um die Zukunft der Kirche nicht bestellt zu sein. Es sind nicht gerade Unglückspropheten, die zumindest für Europa den Bestand der Kirche als nicht gesichert ansehen. In seiner kleinen, aber für viel Aufmerk-samkeit sorgenden Schrift „Miteinander die Glut unter der Asche entdecken“ stellt der Abt des Klosters Einsiedeln vor dem Hintergrund der in der Schweiz immer größer werdenden Gruppe derer, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören, fest: „Wenn der Prozess so weitergeht, kann die erkaltete Kirche tat-sächlich in unseren Breitengraden mit ihren Institutionen verschwinden.“ (ebd. S. 18) Und als wolle er auf unerleuchtete „Erklärungen“ der Entwicklung als Folge eines göttlichen Strafgerichts oder auf eilfertige Schuldzuweisungen antworten, fügt er hinzu: „Wer die Schuld bei Menschen anderer Glaubensgemeinschaften oder sogar bei denjenigen sucht, die sich von jeder Glaubensgemeinschaft verabschiedet haben oder diese sogar bekämpfen, bleibt bei der Asche stehen“ (ebd.).

Zu einem ähnlichen Fazit kommt auch der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz angesichts von Ergebnissen der neuen Sinus-Milieu-Studie zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Nach ihm bringt die Studie zum Ausdruck, „dass die katholische Kirche in Deutschland kollabieren könnte – weniger durch massive Kirchenaustritte, als durch wachsende Irrelevanz und Selbstschädigung“. (Quelle, auch für die folgenden Zitate: rv/kirchenradio/katholisch.de 25.01.2013 ord)

Auftraggeber der neuen Studie waren u.a. die kirchlichen Hilfswerke Missio und Misereor, das Ordinariat des Erzbistums München und das Militärbischofsamt; sie wird von der Mediengesellschaft der Bischofskonferenz (MDG) und dem Sinus-Institut gemeinsam verantwortet.

Nach ihr ist die Besorgnis erregende Situation v.a. verursacht durch den Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche, den Strukturwandel in Bistümern und Pfar-reien und die Spaltung zwischen „Oben“ und „Unten“. Diese führen dazu, so der Projektleiter der Studie seitens der MDG, Georg Frericks, „dass alle Milieus den Eindruck haben, dass die Kirche nicht in der Zeit heute angekommen ist“. Das Großprojekt „Aggiornamento“ Johannes XXIII. bzw. des II. Vaticanums scheint also zumindest in Deutschland gescheitert zu sein.

Anders als 2005 (in der letzten vergleichbaren Untersuchung) zeigt die neue Studie, dass es „kein einziges kirchenidentifiziertes Milieu in Deutschland“ mehr gibt – auch nicht mehr das konservativ-etablierte. Selbst bei der „Kernklientel“ ist keine Zufriedenheit anzutreffen, vielmehr der Wunsch nach Mitbestimmung, Wertschätzung der Laienarbeit und mehr Demokratisierung.

Völlig unterrepräsentiert in der Kirche ist das „prekäre Milieu“. Folglich fordert Projektleiter Frericks: „Die Kirche muss Option für Arme bleiben.“ So richtig das ist, so wichtig ist es hinzuzufügen: Das kann die Kirche nur sein oder werden, wenn sie selbst ihre Option für die Armen ernst nimmt und durch glaubwürdiges soziales, gesellschaftliches und politisches Handeln unter Beweis stellt. Nach Frericks Urteil nutzt die Kirche bereits die Ergebnisse der Milieustudien durch einen lebensweltlich orientierten Ansatz in der Pastoral oder dadurch, dass im Medienbereich, bei der Kommunikation mit den Sinus-Milieus als Zielgruppenmodell gearbeitet werde.

Es kann kaum verwundern, dass manche die Er-gebnisse der Studie bzw. deren Erkenntniswert kritisch sehen und mutmaßen, die Kirche begebe sich allzu sehr in die Abhängigkeit von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. So behauptet Prof. Wolfgang Ockenfels OP in der „Tagespost“ vom 25.1.2013, die Ergebnisse bestätigten nur „die massenmedial propagierten Phrasen und ohnehin vorhandenen Vorurteile - und verdoppelten sie noch.“ Wohl mit Hinblick auf die Auseinandersetzungen um die Missbrauchsstudie zwischen den deutschen Bischöfen und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen fügt er hinzu, die Kirche sei vom Pech verfolgt, wenn sie sich soziologischer Hilfsmittel bediene. Solche Einlassungen zeugen eher von Selbstimmunisierungsstrategien als von ernsthafter Auseinandersetzung mit soziologischen Erkenntnissen bzw. mit der sich in den Ergebnissen widerspiegelnden Wirklichkeit.

Positiv wertet dagegen der Bochumer Theologe Prof. Matthias Sellmann die Studie, sie tue der Kirche gut. Er lobt ausdrücklich die Bischöfe, dass sie sich sozialwissenschaftlicher Erhebungen bedienen. Er gibt zwar zu, dass die seit langem erhobenen und allseits bekannten Reformforderungen durch die Studie lediglich bestätigt werden. Er zieht daraus aber nicht die Folgerung, solche Untersuchungen seien überflüssig. Vielmehr sieht er darin eine neuerliche Mahnung an die Bischöfe, sich nicht von den Anfragen und Selbstverständlichkeiten (sic!) der Menschen zu entfernen.

Wie Frericks (s.o.) verweist auch er besonders auf die Kirchenferne des prekären Milieus. Die zu dieser Gruppe gehörenden Menschen müsse die Kirche in den Mittelpunkt ihrer Sorge stellen. Das ist allerdings die notwendige wie eigentlich selbstverständliche Konsequenz. Denn gerade, wenn die Kirche, wie in der Studie geschehen, die Menschen fragt, was für sie das Glück ihres Lebens ausmache, und wenn sie einen Beitrag zu diesem humanen Glück leisten will, muss sie sich denen zuwenden, die schon wegen ihrer wirtschaftlichen Situation an den Rand gedrängt, oft diffamiert und so an ihrem Glück gehindert werden.

Trotz negativer Entwicklungen und nachlassender Kirchenbindung konstatiert Sellmann eine große, wohl auch überraschende „Fehlerfreundlichkeit“ beim Umgang der Menschen mit der Kirche. Zwar sei eine verbreitete Disposition zum Kirchenaustritt festzustellen, aber zugleich gebe es hohe Erwartungen an die Kirche, z.B. angesichts von Werteverfall und Neoliberalismus und im Hinblick auf ihre sozialen Dienste. Letztlich wünschten sich viele Menschen eine starke und nahe Kirche. Darin liege eine große Chance. Aus der Erfahrung im Bistum Essen urteilt der Bochumer Theologe, dass im Dialogprozess versucht werde, diese Chance zu nutzen. Entscheidend sei allerdings, dass die Identität des Christseins im Alltag, im Nahbereich erfahrbar werde.

Die hier aufgezeigten Ergebnisse und Wertungen der neuen Sinus-Studie erinnern an zwei Jahresversammlungen der AGP. 2006 fragten die Teilnehmenden nach dem sog. „Kerngeschäft“ der Gemeinden angesichts knapper kirchlicher Kassen und der Gefahr, dass gerade Ausgaben für soziale Projekte gekürzt werden könnten. Im Bericht über die JV heißt es: „Wie viel Prozent der Arbeitszeit eines Priesters gilt wohl den Armen? Gerade aber die Gemeinden müssten die Sorge um die Armen intensiver wahrnehmen... Gemeinden müssen noch sensibler für Situationen werden, in denen die Würde des Menschen verletzt wird... Diakonie wird so zu einem Maßstab der Glaubwürdigkeit unserer Gemeinden, ihrer Gottesdienstfeiern und ihrer Glaubensweitergabe.“ (SOG-Papiere 2006/5-6,18). Aussagen die an Richtigkeit und Berechtigung angesichts der Verschärfung der prekären Situation sicherlich nichts eingebüßt haben.

2008 hieß das Thema „Disparate Lebenswelten – Herausforderung für Glauben und Kirche“. Damals ging es um die Möglichkeiten einer milieusensiblen Pastoral. Eine sich in ihrer Dringlichkeit verschärfende Aufgabe. Auch die neue Sinus-Studie zeigt, dass die Kirche nicht allen alles in gleicher Weise und auch nicht allen das Gleiche sein und sagen kann. Das Evangelium ist nicht einfach der Kitt einer auseinander brechenden Gesellschaft, nicht der die auszutragenden Konflikte harmonisierende Kleister. Die Kirche ist außerdem auch heute, wie 2008 festgestellt, mit betroffen von der Zerrissenheit der Gesellschaft in Milieus, in „Oben“ und „Unten“, in gegensätzliche Interessen etc. Dass hat u.a. zur Folge, wie der damalige Referent Dr. Eike Kohler betonte, dass auch die Plausibilität von Glaubensinhalten sich selbst pluralisiert, je nach den unterschiedlichen Lebenserfahrungen. (SOG-Papiere 2008/4,13)

Vor dem Hintergrund der von Sellmann ausgemachten Chance, die in den Erwartungen der Menschen gegenüber der Kirche liegt, ist es vielleicht gut, daran zu erinnern, dass Kohler die Teilnehmenden in Heppenheim provozierte, indem er sie aufforderte, „bei dem Blick auf die augenblicklichen strukturellen Veränderungen in den beiden Großkirchen nicht an der Oberfläche – an der Organisation bzw. der Institution – hängen, sondern sich bewusst zu bleiben, dass die Kirchen das Volk Gottes seien. Es sei ja durchaus möglich, dass Gott dabei sei, sein Volk ,umzubauen’, ohne dass wir es bemerkt hätten.“ (ebd.) So könnte es auch 2013 sein – als Chance. Dabei berührt es allerdings eigentümlich, dass die Chancen eher an die Erwartungen der Menschen (s.o.) als an den Status quo der kirchlichen Wirklichkeit geknüpft werden. Aber: Man sollte die Ressour-cen der Christinnen und Christen und ihres Engagements keineswegs zu gering einschätzen.

Die Ergebnisse der neuen Sinusstudie und die oben erwähnten Einschätzungen von Abt Werlen und Prof. Ebertz zeigen, wie zeit- und situationsgerecht es ist, wenn sich die AGP auf ihrer Jahresversammlung (s.u. und SOG-Papiere 2012/8) fragt, ob die Kirche entbehrlich ist bzw. sich selbst entbehrlich macht. Sich bohrenden Fragen stellen, um ehrliche Antworten ringen, das ist und macht glaubwürdig – auch darin liegt vielleicht eine Chance.

Ut

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Pfarrerinitiativen wollen sich vernetzen
Erstes Treffen am 25.01.2013 in München

Das gute Beispiel macht Schule. Der österreichische Solidaritäts- und Widerstandsgeist hat die Alpen überwunden und in südlichen Landen für Bewegung gesorgt. 2006 hat sich die Pfarrerinitiative in Österreich gegründet und wohl vor allem durch ihren 2011 veröffentlichten „Aufruf zum Ungehorsam“ zur Nachahmung angeregt. Inzwischen haben sich in verschiedenen süddeutschen Bistümern ähnliche Initiativen von Pfarrern gegründet: in Augsburg, Freiburg, München, Passau, Würzburg. Sie waren alle beim ersten Vernetzungstreffen vertreten, ebenso wie Pfarrer aus den AGP-Gruppen AG-Rottenburg und AK-Regensburg. Auch Mitglieder der Pfarrei-Initiative aus der Schweiz und von der „Vorbild“-Initiative in Österreich waren nach München in die Hl. Geist-Gemeinde gekommen.

Die Gruppen haben einen recht unterschiedlichen Organisationsgrad, die konkreten Anlässe ihres Zusammenschlusses waren durchaus verschieden, ihre Mitgliedszahlen und auch die Größe der Unterstützerkreise weichen voneinander ab. Einig sind sie sich aber in ihrem „Interesse“: Angesichts der immer größer werdenden Pfarreien bzw. Seelsorgeeinheiten treten sie für eine Pastoral der Nähe und für entsprechende gemeindliche Strukturen ein. Das schließt gleichsam automatisch das Eintreten für bestimmte Reformen (und auch für die „klassischen“ Reformforderungen) ein. Diese sind an ihrer Bedeutung für die gewünschte pastorale Wirklichkeit zu messen.

Zur gemeinsamen Ausrichtung der Initiativen heißt es im Protokoll u.a.:

Diese Absichten und Anliegen sind auch Inhalt der beim Treffen formulierten gemeinsamen Erklärung, in der ebenfalls deutlich wird, dass man nicht nur Änderungen fordert, sondern entsprechend handelt.

Wie soll es weitergehen?

Es wurde eine Projektgruppe gegründet, die über die Form der organisierten Vernetzung in Deutschland beraten wird. Zu dieser Gruppe gehört Pfr. Andreas Krause, einer der Sprecher der AGP. Auch in den einzelnen Initiativen soll über mögliche Formen des Zusammenschlusses bzw. der Kooperation/Vernetzung gesprochen werden. Die Frage ist das Wie, nicht das Ob.

Der AK-Regensburg war in München durch Pfr. Andreas Schlagenhaufer vertreten. Die Gruppe wird überlegen, in welcher Weise sie Kontakt zu den Initiativen hält.
Eine Gruppe von ca. 13 Kölner Priester um den Vorsitzenden der ehemaligen AGP-Gruppe „Kölner Netzwerk“, Günter Fessler, beabsichtigt, der „Pfarrer-Initiative Deutschland“ beizutreten.

Zu einem der Pressesprecher wurde der Vorsitzende der AGP-Gruppe AG-Rottenburg, Pfr. Klaus Kempter, gewählt.

Auf diese Weise ist die AGP mit im Boot, kann eventuell etwas zum Gelingen dieser neuen Initiativen beitragen – und sich selbst inspirieren lassen.

Ut

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Mehr Fragen als Antworten
Auf der Suche nach dem besten Thema

Bei der Vorbereitung der AGP-Jahresversammlung 2013 hat es Schwierigkeiten gegeben. Ausgangspunkt war der Vorschlag der nordrhein-westfälischen Konferenz, über den Edgar Utsch (Ut) in den letzten SOG-Papieren berichtete:

"Nur wenn sich die Kirche als Mit-Fragende und Mit-Lernende einbringt, wird sie als Gesprächspartnerin ernst genommen. Nur wenn sie achtsam genug ist, wird sie überhaupt in der Lage sein, die Tiefen- bzw. Glaubensdimension sehr profan klingender Lebenshaltungen z.B. junger Menschen zu entziffern. Denn diejenigen, die angeben, ohne Gott, Glauben und Kirche auszukommen (Sponti-Spruch: Ich glaub’ nix – mir fehlt nix!), sind deswegen nicht grundsätzlich a-religiös; auch ist nicht ausgemacht, dass sie neu eröffneten religiösen Perspektiven gegenüber von vornherein blind sind oder bleiben müssen.

Die nächste JV der AGP wird sich also zunächst der Entschlüsselung von angeblich rein profanen Lebensmodellen (v.a. junger Menschen) widmen, um herausfinden zu können, ob diese die Kirche grundsätzlich für entbehrlich halten und wie die Kirche ihrerseits reagieren sollte. Müssen wir nicht wenigstens damit rechnen, dass die Erfahrung der Entbehrlichkeit in der Gesellschaft der gern übersehene Hintergrund vieler gegenwärtig zur Vielfalt kirchlicher Krisen verharmlosten Phänomene ist?"

Einerseits fehlte es bei der Vorbereitung auf die Pfingsttagung nicht an Vorschlägen für Referenten im Umfeld solcher Fragen, vor allem wenn AGP-Senioren nach Elementen im recht eigen-artigen Alltag heutiger Jugendlicher suchen. Andererseits zeichnete sich immer deutlicher eine andere Verlegenheit ab. Wie könnte es bei dem Treffen gelingen, die spezielle Fragestellung unserer Gruppen zu treffen? Das ist bisher nicht immer gelungen.

Im Hinblick auf solche nicht völlig unerwartete Schwierigkeiten klangen in den vorletzten SOG-Papieren (Nr. 7) unter dem Titel "Mit leeren Händen" bereits Überlegungen an, die bisher unausgesprochen im Hintergrund standen, nämlich offene Fragen früherer Treffen einzubeziehen. Solche Fragen können an dieser Stelle auch nicht beantwortet werden. Mir scheint es aber nicht vergeblich, einige Stichworte in Erinnerung zu rufen.

Weitere Beispiele, die zu bedenken sind:

In den nächsten Wochen soll versucht werden, Schritte zu vereinbaren, um an die sich aus dieser Situation sich ergebenden Fragen heranzukommen. Am Ende soll mit der Einladung zur JV eine entsprechende Tagesordnung vorgeschlagen werden.

cp

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