Erhard Bertel
Hans Küng: Erlebte Menschlichkeit, Erinnerungen
Piper. 2013, 752 Seiten

„Vom Glück des Widerspruchs“ hieß Ende November 2013 eine Fernsehsendung, in der die Journalistin Anne Will Professor Hans Küng interviewte, zu Hause, da der Weg zum Fernsehsender zu beschwerlich war.

„Anne Will: Lieber Hans Küng, wir sitzen hier im November 2013, an einem wunderschönen Tag, knallblauer Himmel, draußen Sonnenschein. 2013 ist für Sie ein besonderes Jahr, Sie sind 85 geworden, im März und Sie haben mit dem dritten Band Ihre Lebenserinnerungen abgeschlossen. Also eine Art Abschluss, ein Ende, vom Abend des Lebens schreiben Sie. Außerdem haben Sie öffentlich gemacht, dass Sie an Parkinson erkrankt sind. Und haben auch gesagt, vor langer Zeit ja schon, Sie werden dann, wenn die Krankheit Sie verändern sollte, Sterbehilfe in Anspruch nehmen, aus dem Leben scheiden. Woher wissen Sie eigentlich, dass dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, kein irdisches Glück mehr auf Sie wartet?

Hans Küng: Ach, ich würde nicht sagen, dass kein irdisches Glück mehr auf mich wartet, sondern ich weiß dann nur, dass mein Leben sich vollendet hat, dass ich weiter (...) keine Aufgaben mehr zu erfüllen habe, dass es einfach Zeit ist. Wie es bei Kohelet heißt, es gibt eine Zeit zu leben und eine Zeit zu sterben. Und dann wird es eben so weit sein.

Anne Will: Ist es ein bestimmter Tag, den Sie jetzt schon kennen?

Hans Küng: Nein. Ich habe auch nie gesagt, ich würde mich sofort verabschieden, das wurde eine Zeitlang durch die Medien so verbreitet. Ich habe immer noch die Möglichkeit, dass meine Krankheit, es sind ja verschiedene Krankheiten übrigens.

Anne Will: Was ist es denn alles?

Hans Küng: Naja, mit dem Schreiben habe ich Schwierigkeiten, ich habe Schwierigkeiten mit den Augen, eine Makula-Degeneration, ich habe Schwierigkeiten mit dem Rücken, mit dem Lendenwirbel und so weiter. Das ist alles nicht schlimm, wenn man so will, aber es geht mehr drum, dass es einfach mal Zeichen sind, dass die letzte Periode angegangen wurde und dass mein Leben auch nicht ewig dauert. Und ich habe mich von vornherein immer mit dem Leben so abgefunden, wie es war. Und ich wollte das auch nicht verschweigen, das hätte ich ja leicht machen können. Ich hätte ja leicht diesen dritten Band furios abschließen können, mit irgendeinem großen Ereignis. Ich habe genügend solcher Ereignisse erlebt. Aber ich wollte (....) bis zum Ende die Wahrheit in Wahrhaftigkeit sagen.“

© Will Media 2013

Dieser dritte Band seiner Erinnerungen stellt die letzten dreißig Jahre des Theologen Hans Küng vor. Diejenigen, die das öffentliche Leben des Theologen verfolgt haben, werden nicht viel Neues oder Überraschendes in diesem Buch finden. Allerdings ist die Vielfalt der Aktivitäten, seine Verflochtenheit in viele weltweiten Zusammenhänge, innerhalb der Kirche, aber auch weit darüber hinaus, und auch die Schilderung von Begegnungen mit bekannten Frauen und Männern, die für „etwas“ stehen ein Anreiz, dieses Erinnerungsbuch immer wieder zur Hand zu nehmen.

Hans Küng scheut sich nicht, seine Auseinandersetzungen im Bereich der Theologie deutlich zu beschreiben und auch Namen zu nennen, die insbesondere die Gegnerschaft zu ihm aufzeigen. Dazu gehört auch der kirchenpolitische Streit innerhalb der theologischen Fakultät der Uni Tübingen. Die Blockade der Schüler Küngs, die sich um eine Professur bewerben, begegnen Kirchenmännern, die ihre Macht missbrauchen und qualifizierte Theologen schon deshalb von Lehrstühlen fernhalten, weil sie Küng als Lehrer hatten.

Unter der Überschrift: „Der todkranke Johannes Paul II. – Symbol einer altersschwachen Kirche“ kritisiert er die Starrheit von Johannes Paul II., der sehr gezeichnet war durch seine Krankheit, „der statt sich christlich in seine Endlichkeit zu fügen und das Amt für einen Nachfolger frei zu machen, sich in einem notorisch undemokratischen System mit allen Mitteln an die Macht klammert“.

Hans Küng schildert sein Erleben bei der Wahl von Benedikt XVI. vor dem Fernseher in Tübingen.

„Ich sei aschfahl geworden, hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, sei vom Stuhl aufgesprungen und an die Terrassentür gegangen, erzählen später meine Mitarbeiter.

Was mir undenkbar schien, ist eingetroffen. Ratzinger der Großinquisitor und Gegner aller Kirchenreform, ist Papst!“

Dennoch schreibt Hans Küng seinem früheren Kollegen, jetzt Papst, einen Brief, in dem er Benedikt XVI. um „ein persönliches Gespräch bittet…. in möglichst absehbarer Zeit“. Und Ratzinger reagiert positiv. Allerdings verwundert schon der Hinweis Ratzingers in seinem Brief: “Sie haben dankenswerterweise klargestellt, dass Sie nicht um die Rückgabe der Missio canonica bitten werden.“ Im September 2005 kommt es dann zu einer Begegnung in Castel Gandolfo. Küng schreibt über den Abend nach dem Abschied: „Ich schlafe friedlich ein, habe aber doch noch Mühe, alles zu verarbeiten“.

Zum Ende des Pontifikates konstatiert Küng:

„So habe ich dem mutigen Entschluss von Joseph Ratzinger in aller Öffentlichkeit volle Anerkennung gezollt…..

Jetzt wird deutlich, dass durch den Rücktritt eine Entmystifizierung des Papstamtes in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen sind“.

Dem neuen Papst Franziskus schreibt Küng einen Brief: „ich drücke meine Freude aus über den Stilwandel im Geist des Hl. Franz von Assisi, den er schon in den wenigen Wochen im neuen Amt durchgeführt hat“ und zur Freude von Küng antwortet ihm der neue Papst sogar:

„Sehr geehrter Dr. Hans Küng,

ich habe Ihren Brief vom 13. des Monats erhalten mit einem Artikel und zwei Büchern, die ich gerne (>con gusto<) lesen werde. Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit…..“.

Bliebe noch ein Hinweis auf „Das Projekt Weltethos“, das Küng auf den Seiten 442 bis 509 vorstellt und bespricht. Man spürt, wie sehr es das Herzensanliegen des Autors ist, das er jetzt in neue Hände weitergegeben hat.

Wenn man das Buch aus den Händen legt, stellt sich eine Betroffenheit ein darüber, dass Hans Küng emotional, kämpferisch, aber nicht verbittert diese Bilanz seines weltweiten Wirkens und seiner persönlichen Lebens zieht. Diejenigen, die meinen, auch ein wenig zu viel Eigenlob herauslesen zu können, sollten spüren, dass dieser Theologe einen außerordentlichen Weg im Spannungsfeld der verfassten Kirche gegangen ist.

Vielleicht kann ein Gesprächsauszug bei Anne Will eine Hilfe für das Gesamtverständnis seines Lebens sein:

„Anne Will: Aber warum wollen Sie dann Ihr Leben beenden, sollten Sie Anzeichen spüren einer beginnenden Demenz?

Hans Küng: Weil ich nicht der Meinung bin, dass (...) das irdische Leben alles ist. Das hängt natürlich mit meiner Glaubensüberzeugung zusammen, dass ich nicht glaube, dass ich in ein Nichts hinein sterbe. Ich kann Leute verstehen, die (...) nicht an ein ewiges Leben glauben, dass die natürlich Angst haben vor dem Nicht-Sein. Ich bin aber der Überzeugung, dass ich nicht in ein Nichts hineinsterbe, sondern in eine letzte Wirklichkeit hineinsterbe. Dass ich sozusagen nach Innen gehe, in die tiefste, tiefere Wirklichkeit und von dorther also ein neues Leben finde. Das ist meine Glaubensüberzeugung. Und die lässt mich natürlich etwas souveräner sein bezüglich der Länge und dem Aushalten in diesem Leben. Ich habe vor kurzem wieder von Ärzten gehört, die sagen, es ist manchmal erstaunlich, wie Leute unbedingt noch länger machen, sogar Theologen hat man mir gesagt ...

Anne Will: .... die vielleicht nicht so ganz überzeugt sind...

Hans Küng: ....die nicht ganz so überzeugt sind, ja. Wenn man nicht ganz überzeugt ist und schwankt, nicht wahr, dann kann man unter Umständen sagen, ja, ja, ich möchte doch noch weiterleben und dann verpasst man den Moment.

Aber wissen Sie, die ganze Frage ist natürlich, ob er (Papst Franziskus) sich jetzt durchsetzen kann z.B. gegen den Mann im Sant Ufficio da, der frühere Bischof von Regensburg, so beliebt wie der Bischof von Limburg war er auch, und der ist ja jetzt in Rom.

Anne Will: Müller

Hans Küng: Bischof Müller, Erzbischof jetzt schon. Die werden alle Erzbischöfe. Am Hof, wird man Erzbischof, nicht nur Bischof. Also, das ist natürlich die Frage. Der hat jetzt seinen Artikel veröffentlicht, zu dem wird die Kirche Stellung nehmen. Das natürlich in Fragen der Ehescheidung, nichts anderes sein kann, als nur wieder diese zu viel Heuchelei führende Annullierung von Ehen, die im Grunde richtig gelebt wurden. Also damit kommen wir nicht weiter, und da ist natürlich die Frage, ob der Papst das jetzt durchhält gegen den Widerspruch wie damals im Zweiten Vatikan. Da hatten wir den Kardinal Ottaviani, ein Vorvorgänger von Ratzinger und Müller, der also meinte, er muss dem Papst und dem Konzil sagen, was die Wahrheit des Glaubens ist. Diese Arroganz haben diese Herren da im Palazzo del Sant Ufficio. Und da ist die Frage, ob er das durchhält oder ob er sich da beugt. Ich glaube nicht, dass er sich beugt, aber man weiß nie.“


© imprimatur Januar 2014
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