Wir wollen zur Kirche des Konzils zurück
Denkschrift Kölner Katholiken an Papst Franziskus anlässlich der bevorstehenden Wahl des neuen Erzbischofs von Köln

Wir sind Papst Franziskus sehr dankbar für die Worte und die Entscheidungen, mit denen er die Kirche von Rom und die Gesamtkirche immer wieder an die Lehren Johannes‘ XXIII. und des II. Vatikanischen Konzils erinnert, und wir möchten um seine starke Hilfe bitten für eine entsprechende Erneuerung auch in unserer Erzdiözese. Der bevorstehende Rücktritt des derzeitigen Erzbischofs, Kardinal Joachim Meisner, welcher vielen Errungenschaften des Konzils mehr als skeptisch gegenübersteht, könnte der Ausgangspunkt für eine solche Erneuerung werden. Sie könnte an die bewahrenswerten Traditionen unserer Geschichte anknüpfen und so die Gläubigen unserer Diözese erneut auf den von Christus geschenkten »Geist der Freiheit« hin orientieren, auf den Johannes XXIII. sich noch in seinem letzten Brief an alle Bischöfe (20. Mai 1963, vgl. Pater amabilis. Agende del Pontificato, Bologna 2007, 520) berufen hat.

Köln ist seit dem 19. Jahrhundert das wichtigste Zentrum des Katholizismus in Deutschland gewesen; eine besondere Mischung aus Konservatismus und Reformismus zeichnete es aus. Die katholische Zentrumspartei und die ihr nahestehenden christlichen Gewerkschaften, welche sich lange dem leider schließlich siegreichen Nationalsozialismus widersetzt haben, hatten ihre Hochburgen im Rheinland. Wohl nicht zufällig wurde ein Kölner Katholik, Konrad Adenauer (†1967), zum »Gründervater« des demokratischen und nun europäischen Deutschlands. Zu denen, die seine Politik aktiv unterstützten, gehörte Kardinal Josef Frings (†1978), der in den 1950er Jahren die Gründung der großen Hilfswerke »Misereor« und »Adveniat« angeregt hat und dann einer der reformorientierten Konzilsväter geworden ist.
Der Katholizismus von Männern wie Frings und Adenauer wirkte in die Mitte der Gesellschaft und vermied jegliche Intransigenz. Frings‘ Nachfolger, Kardinal Josef Höffner (†1987) war bemüht, in den schwierigen postkonziliaren Diskussionen die Gleichgewichte noch zu bewahren. Aber die Wende nach rechts und damit gegen wichtige Vermächtnisse des Konzils erfolgte 1989, als Papst Johannes Paul II. die Versetzung des Kardinals Meisner aus Berlin nach Köln durchsetzte. Kardinal Meisner war in einem gänzlich anders gearteten politischen, kulturellen und theologischen Milieu aufgewachsen; er war Nachfolger des Konzilsskeptikers Kardinal Alfred Bengsch und als Bürger der kommunistischen DDR mehr an Abgrenzung als an Dialog und Konsensfindung gewöhnt. Sein Ideal des Verhältnisses der Kirche zur Welt war und ist die »autoritäre Defensive«, wie sie für das 19. Jahrhundert als charakteristisch gelten darf. In unserer Diözese führte Kardinal Meisner eine Art bürokratischen Zentralismus ein und stützte sich auf die kleine, aber finanziell potente traditionalistische und antikonziliare Minderheit (Opus Dei, Legionäre Christi etc.), deren Mitglieder mit der Zeit großen Einfluss erhielten. Eine Mischung aus pseudobarockem Pomp und moderner Eventkultur trat, auch in der Außendarstellung des Erzbistums, an die Stelle konziliarer Einfachheit.

Kardinal Meisner neigte wie so mancher Bischof des 19. Jahrhunderts dazu, die Moderne insgesamt zu negieren. Die Hoffnung auf die Versöhnung von Evangelium und freier Vernunft war ihm fremd. Folge dessen ist der Rückzug des von ihm favorisierten Katholizismus in ein Ghetto demonstrativer Orthodoxie, die vor allem die bioethischen, familienpolitischen und sexualmoralischen Lehraussagen der letzten Päpste betont und sie de facto zum entscheidenden Kriterium des christlichen Glaubens stilisiert. Wir sind dankbar dafür, dass Papst Franziskus solchen Verengungen unlängst (vgl. Civiltà Cattolica vom 19. Sept. 2013) eine klare Absage erteilt hat.

Kardinal Meisner handelte aus einem autoritären Amtsverständnis, das ergebnisoffene Diskussionen nicht zulässt. Als viele Pfarreien und Gemeinden der Diözese in Reaktion auf den wachsenden Priestermangel zu Großgemeinden vereinigt werden sollten, wurden nicht einmal die betroffenen Pfarrer konsultiert. Ein tausendjähriges Pfarrsystem wurde zerstört, weil man die Zulassung von Diakonen oder Laien zur Gemeindeleitung offenbar unbedingt vermeiden wollte. Unbequeme Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge, auch altbewährte Pfarrer wurden unter Druck gesetzt und/oder sanktioniert. So erging es neben manch anderen konziliaren Initiativen auch Versuchen, denen es darum zu tun war, die Freiheit des Wortes in der Diözese zu erhalten und dem intellektuellen Austausch auch mit Anders- und Ungläubigen ein katholisches Forum zu bieten. Ökumenische Initiativen wurden erschwert. Zu den Folgen dieser Entwicklungen gehört, dass viele Menschen ihre traditionellen religiösen Bezugsorte und damit nicht selten auch jedes Interesse am kirchlich verkündigten Glauben verloren haben. Die innere Auszehrung der Gemeinden ist alarmierend, Resignation und Angst unter den verantwortlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bistums weit verbreitet und die öffentliche Wahrnehmung unserer Kirche nicht nur in außerkirchlichen Kreisen überwiegend negativ.

Das Erzbistum Köln bedarf einer spirituellen und intellektuellen Erneuerung, die nur im Geiste des II. Vatikanischen Konzils zu leisten ist. Danach steht im Mittelpunkt des christlichen Glaubens nicht die unbefragbare Autorität des Bischofs, sondern die Freiheit und Würde der menschlichen Person, die nach dem Vorbild Jesu Christi unbedingt zu achten ist.

Der kommende Erzbischof wird insbesondere vor folgenden Herausforderungen stehen:

  1. eine unvoreingenommene Analyse der Gegenwartssituation vorzunehmen und dabei die Erfahrungen sowohl der Beratungsgremien als auch der »Basis« der Gemeinden umfassend zur Geltung kommen zu lassen;
  2. eine Kultur persönlicher Glaubensverantwortung und geschwisterlichen Miteinanders in der Kooperation mit dem Erzbischof zu ermöglichen;
  3. diejenigen, die zweifeln oder der Kirche den Rücken gekehrt haben, in ihrer »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst« ebenso ernst zu nehmen wie jene, die den Kontakt zur Kirche allen Problemen zum Trotz nicht haben abreißen lassen;
  4. die Kirche wieder als »Anwalt der Gerechtigkeit und Verteidiger der Armen« erkennbar zu machen, als eine Kirche, die sich gegen »soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, die untragbar sind und zum Himmel schreien«, zu Wort meldet (Rede Papst Franziskus‘ beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro am 27. Juli 2013);
  5. das ökumenische Miteinander engagiert zu beleben;
  6. der Vertretung des Volkes Gottes, die nicht dem Klerus angehört, insbesondere den Frauen, das Recht zur Mitwirkung in den Leitungsgremien der Diözese zu geben;
  7. die Notwendigkeit und die spezifische Kompetenz der wissenschaftlichen Theologie anzuerkennen und sie für die Glaubensverkündigung in heutiger Zeit fruchtbar zu machen.

Die große und geschichtlich bedeutsame, reiche Erzdiözese Köln braucht einen Bischof, der in der dialogischen Tradition des II. Vatikanischen Konzils lebt, einen Mann des »konstruktiven Dialogs«, der »keine Angst vor Neuem« hat, der Wunden zu heilen versteht, die »Barmherzigkeit des Samariters« vorlebt und damit ernst macht, dass »das Volk das Subjekt (der Kirche)« ist (vgl. die päpstlichen Reden vom 30. März, vom 14. und 28. Juli 2013 sowie das Interview des Papstes in der Civiltà Cattolica vom 19. Sept. 2013).

Hannelore Bartscherer, Franz Decker, Rudolf Hoppe
Heinrich Klauke, Rudolf Lill, Bernd Wacker

Hannelore Bartscherer
Vorsitzende des Katholikenausschusses in der Stadt Köln, Köln

Franz Decker
Kath. Priester, Direktor em. des Caritasverbandes für die Stadt Köln; Vorsitzender des Vorstandes der Karl Rahner Akademie e. V., Köln

Rudolf Hoppe
Kath. Priester; Dr. theol., Prof. em. für Exegese des Neuen Testaments an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Bonn, Köln

Heinrich Klauke
Dipl. Theol., Studienleiter der Karl Rahner Akademie, Köln

Rudolf Lill
Dr. phil., Historiker, Prof. em. für Neuere Geschichte, Köln

Bernd Wacker
Dr. theol., Leiter der Karl Rahner Akademie, Köln


© imprimatur Januar 2014
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