Theo Mechtenberg
Exorzisten auf dem Vormarsch

Am 1. Juli 1979 verstarb die Studentin Anneliese Michel. Sie wurde 23 Jahre alt. Die tief gläubige Katholikin litt an Epilepsie und fühlte sich von Dämonen besessen. Im Auftrag des Würzburger Bischofs hatten an ihr zwei Priester über 60 Exorzismen vorgenommen und die angeblichen Äußerungen der Dämonen teilweise auf Tonband aufgezeichnet. Der wenige Stunden nach dem letzten Exorzismus eingetretene Tod der zu einem Skelett Abgemagerten erregte damals ein großes öffentliches Aufsehen. Gegen die beiden Exorzisten wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung Anklage erhoben. Sie wurden zu sechs Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt.

Seit dem „Fall Anneliese Michel“ ist es in Deutschland um Exorzisten und Exorzismen still geworden. Nicht so in unserem Nachbarland Polen. Gab es dort Ende der 1990er Jahre gerade einmal vier bevollmächtigte Exorzisten, so gibt es heute über 200. Tendenz steigend. Und mit der Zahl der Exorzisten vermehrt sich auch die „Besessenheit“. Das Angebot bestimmt offenbar die Nachfrage. Und sonderlich diskret scheinen Polens Exorzisten ihr Amt auch nicht auszuüben. So berichtete das Boulevardblatt „Fakt“ unlängst die Sensation, der mit 31 Jahren jüngste polnische Exorzist habe aus einem siebzehnjährigen Mädchen sechs Dämonen ausgetrieben.

Die Zeitschrift „Egzorcysta“

Seit gut einem Jahr verfügen Polens Exorzisten mit dem „Egzorcysta“ über eine eigene Monatszeitschrift. Mit ihrer knallig farbigen Aufmachung ähnelt sie den Organen der Regenbogenpresse. Aufgrund ihrer Auflage von 25 000 Exemplaren nimmt der „Egzorcysta“ in der katholischen Medienlandschaft Polens einen Spitzenplatz ein. Die Redaktion versteht sich als Teil der „Ecclesia militans“ und weiß sich „dem Kampf mit dem Bösen“ verpflichtet: „Wir schreiben über die Bedrohungen und zeigen, wie man sich vor ihnen schützen kann“ – heißt es in einer Selbstdarstellung der Zeitschrift im Internet. Mit Anspielung auf die harmlosen und fröhlichen Kinderfeste mit Verkleidung und Zaubertricks glaubt die Redaktion, dass hilflose Kinder eben dadurch bösen Mächten ausgesetzt seien. Sie würden in die Welt der Magie eingeführt, ohne dass sich die Eltern dessen bewusst wären. Vor dieser Gefahr – so die Autoren – „sollen die Kinder gemeinsam mit den Exorzisten verteidigt werden.“

Dem „Egzorcysta“ mangelt es nicht an reißerischen Schlagzeilen: „Brief aus dem Jenseits“; „Geheimwissen für Kinder – Spiel oder Ritual?“; „Hilfe, mein Kind ist besessen“; „Der Geister waren sechs“. In einer Nummer findet sich der Bericht über einen parapsychologischen Vorgang mit einer fremdenfeindlichen Note: „Eines schönen Tages bewegten sich sämtliche Behälter mit Chemikalien rauf und runter, hüpften wie Bälle auf dem Fußboden. […] An ihm trat an mehreren Stellen Wasser hervor. Wir legten den Boden frei und suchten nach dem Schaden, doch dort, wo sich das Wasser zeigte, gab es gar keine Rohre. Wir verlegten den Fußboden neu. Doch als wir damit fertig waren, war das Wasser wieder da… Und ich – sagt der Eigentümer – musste unentwegt an den bösen Blick und die Prophezeiung des Afrikaners denken, dass dies erst der Anfang von allem sei.“

Pastorale Aktivitäten

Auch in Polen sind Fälle, bei denen es zur Anwendung des 1999 erneuerten Rituals des Exorzismus kommt, äußerst selten. Dazu bedürfte es eigentlich weder einer eigenen Zeitschrift, noch der Vielzahl an Exorzisten. So fragt man sich, was ihre große Zahl denn erforderlich macht. Die Antwort findet sich im Selbstverständnis der Exorzisten, die für sich in Anspruch nehmen, den Kampf gegen die bösen Mächte an drei Fronten zu führen: durch präventive Schutzmaßnahmen, die verhindern sollen, dass Menschen überhaupt in den Bannkreis böser Mächte geraten; durch die Befreiung von Persönlichkeitsstörungen wie Oppressionen und Obsessionen, die durch ein intensives Einwirken böser Geister bewirkt seien, wenngleich in solchen Fällen nicht von Besessenheit gesprochen werden könne, da die Dämonen noch nicht vom Menschen innerlich Besitz ergriffen hätten; schließlich durch die Anwendung des Exorzismus unter der Voraussetzung, dass der Exorzist die moralische Gewissheit besitze, es wirklich mit einem Fall von Besessenheit zu tun zu haben.

Es ist, wie man sieht, ein weites Feld, auf dem die Exorzisten im Auftrag ihrer Ortsbischöfe tätig sind. Versteht man die Macht und das Wirken böser Geister in einer Weise, dass praktisch jeder Mensch von ihnen bedroht ist, dann verwundert es nicht, dass Polens Exorzisten sich überlastet fühlen und die Bischöfe zu immer mehr Beauftragungen drängen. Sie sagen von sich, sie würden Tag und Nacht angefragt, um Menschen zu helfen, die sich von ihnen Heilung erhoffen.

Es fragt sich allerdings, ob die Exorzisten die Ängste in den Menschen nicht erst erzeugen, um sie dann auf ihre Art davon zu befreien. Als Orientierung dient ihnen die zweibändige „Enzyklopädie geistiger Bedrohungen“ des Jesuiten Aleksander Posacki, Professor für Dämonologie. Sie enthält eine umfangreiche Liste derartiger Gefährdungen. Unter den ausführlich erklärten Stichworten finden sich nicht nur solche Phänomene wie Okkultismus, Esoterik, Magie, Sekten, New Age, sondern auch der erfolgreiche Buchzyklus „Harry Potter“ der Autorin J. K. Rowling, Homöopathie sowie andere alternative Heilmethoden, Hypnose, Yoga, positives Denken sowie weitere psychologische Praktiken, asiatischer Kampfsport sowie die Walldorfpädagogik und vieles andere. Zu welchen Folgen eine derartige Auflistung führen kann, zeigte sich unlängst, als die Direktorin einer kommunalen Schule dem Vorstand gegenüber nichtsahnend davon sprach, sie würde sich von Ideen der Walldorfpädagogik leiten lassen, um die Kinder zur Kreativität anzuregen. Dies reichte, um sie zu entlassen.

Wie leichtfertig jemand in den Verdacht geraten kann, vom Teufel besessen zu sein, zeigt das Beispiel einer fünfzehnjährigen Schülerin aus der Danziger Diözese. Als die Katechetin, eine Ordensschwester, in der Pause an ihr vorüber ging, murmelte sie: „Ich hasse die.“ Dies hörte ein nahestehender Priester, der an dieser Schule gleichfalls als Katechet tätig war. Ihm reichte diese Äußerung, um die Schülerin für besessen zu halten. In Absprache mit den Eltern und nach zögerlicher Zustimmung der Schülerin vermittelte er den Kontakt zu einem der fünf von Ortsbischof Leszek Slowej Gl?dz beauftragten Exorzisten. Der konstatierte beim bloßen Anblick der Schülerin, dass das Böse bereits in sie eingedrungen sei und der „Fall“ daher einer weiteren Behandlung bedürfe. Seitdem sind drei Jahre vergangen, und das Mädchen, das regelmäßig die Heilungsgottesdienste besucht, lebt nunmehr in ständiger Abhängigkeit von den Exorzisten.

Die sind bestrebt, ihre Ideen vor allem unter der Jugend zu verbreiten. Wo immer diese sich zu kirchlichen Großveranstaltungen zusammen findet, sind auch Exorzisten zahlreich vertreten. Sie lassen sich in Schulen einladen und ängstigen ihre oft noch kindlichen Zuhörer durch die Vorführung des Horrorfilms „Der Exorzismus von Emily Rose“ aus dem Jahr 2005, eine Anlehnung an den „Fall Anneliese Michel“, und berichten freimütig aus ihrer Arbeit mit „Besessenen“. So etwa von einer Person, die einen Exorzismus brauchte, ihn aber erst nach Jahren und unter tragischen Umständen erhalten konnte: Ein Exorzist sei an dem Tag, an dem er das Ritual vollziehen wollte, ertrunken. Als dessen Nachfolger sei er selbst unmittelbar vor Erteilung des Exorzismus an Lungenentzündung erkrankt, aber bereits am nächsten Tag wieder genesen. In all dem sah er, wie er sagte, ein Einwirken Satans, der den Akt der Befreiung des Besessenen verhindern wollte. Unheimlich muten auch die von ihnen angeführten parapsychologischen Beispiele an. So seien afrikanische Masken, die wie vieles andere von den Exorzisten als Einfallstore böser Geister angesehen werden, nur zu verbrennen gewesen, nachdem sie mit Weihwasser besprengt wurden. Und als man einen Korb voller esoterischer Literatur verbrannt habe, seien die Lichter im angrenzenden Pfarrhaus ohne Benutzung des Lichtschalters an- und ausgegangen.

In ihren Vorträgen, welche Polens Exorzisten landesweit halten, verbreiten sie eine dämonische Weltsicht. So sei das Schicksal der Welt durch ihren Anfang und ihr Ende nicht nur von Gottes Segen, sondern auch – wie die Strafworte nach dem Sündenfall und das Endgericht zeigen - von Gottes Fluch umfangen. Er sei von heilsgeschichtlicher Bedeutung, diene er doch der Umkehr und Besserung, wie zumal das Alte Testament an zahlreichen Beispielen belege. Gottes Fluch sei daher gut und gerecht. Im Gegensatz zu ihm sei der menschliche Fluch dämonisch. Er schaffe eine weit über das Zielobjekt eines konkreten Fluches hinaus gehende Atmosphäre des Bösen und infiziere die dem Fluchenden nahestehende Personen. Auf diese Weise vermitteln die Exorzisten ein Weltverständnis, demzufolge überall böse Mächte am Werke sind. Daraus leiten sie ihre Existenzberechtigung ab, indem sie von sich behaupten, durch ihren Dienst der Barmherzigkeit die Menschen vor derlei Gefährdungen bewahren bzw. sie von den Einwirkungen böser Mächte heilen zu können.

Viel Zuspruch finden die von den Exorzisten angebotenen Bittgottesdienste um Heilung. Diese entsprechen offenbar einem pastoral weitgehend vernachlässigten Verlangen der Gläubigen. Die Exorzisten sehen in ihnen einen Dienst der Barmherzigkeit in der Nachfolge Jesu und der Apostel, die im Namen Jesu geheilt haben. Diese Gottesdienste dauern oft mehrere Stunden. Sie gewinnen durch Interaktion mit den Gläubigen einen stark emotionalen Charakter. Im Verlauf der Feier werden die Anwesenden darauf vorbereitet, dass der eine oder andere für kurze Zeit in Ohnmacht fallen könne. Man solle sich dadurch nicht beunruhigen lassen, denn sie würden weiter keinen Schaden nehmen. In der Tat kommt es während dieser Heilungsgottesdienste mitunter zu seltsamen Erscheinungen: Nicht nur zu den angekündigten Ohnmachtsanfällen, sondern auch zu störenden Ausbrüchen von vulgären Flüchen als Zeichen von Besessenheit einzelner. Auf diese Weise würden die Gottesdienstbesucher gleichsam hautnah das Wirken Satans sowie die von den Exorzisten im Namen des Heiligen Geistes ausgehende Kraft erfahren. Ihre durch Gebet bewirkten Heilungen deuten sie als Beweis für die befreiende Macht Christi sowie als Zeichen der Glaubwürdigkeit christlichen Glaubens in einer neoheidnischen Welt.

Theologische Begründung

Polens Exorzisten sehen die theologische Basis ihrer pastoralen Aktivitäten in der Dämonologie als Teil kirchlicher Lehre. Seit dem Engelsturz seien die bösen Geister unter Anführung Satans in der Welt wirkmächtig. Der Kampf mit ihnen bestimme die Heilsgeschichte. Gegenüber der in der Kirche verbreiteten Skepsis gegenüber dämonologischen Theorien betonen sie, dass nicht nur die Annahme Gottes, sondern auch die der Existenz Satans und der Dämonen zum kirchlichen Glaubensgut gehöre. Wer dies leugne, stelle sich außerhalb der Kirche. Zudem belege die Tradition, angefangen von den Dämonenaustreibungen Jesu, die Anwendung von Exorzismen. Erst mit der Entwicklung der neuzeitlichen Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie habe sich die Überzeugung durchgesetzt, dass der Rückgriff auf dämonologische Erklärungsmuster unwissenschaftlich sei und die Heilung psychisch Kranker in den Bereich der Medizin sowie der Psychologie und der Psychotherapie gehöre. Zwar habe sich das Zweite Vatikanum deutlich von der Praxis des Exorzismus distanziert, was sich in der Tat daraus schließen lässt, dass nur an drei Stellen und dort sehr allgemein auf Satan verwiesen wird, dessen Macht durch Christus gebrochen ist, doch damit seien die Konzilsväter der Propaganda der Psychoanalytiker, insbesondere der Agnostiker und Atheisten in ihren Reihen erlegen. Dieser Fehler sei inzwischen durch Äußerungen der letzten Päpste korrigiert worden. So von Paul VI. durch seine Ansprache während der Generalaudienz vom 15. November 1972, bei der er die Macht des Bösen in den Mittelpunkt stellte und die Existenz Satans bekräftigt habe. Psychiatrie und Psychoanalyse seien nicht in der Lage, das Böse letztendlich zu erklären. Auch Johannes Paul II. stehe seinem Vorgänger in dieser Hinsicht nicht nach. Unter seinem Pontifikat ließen sich knapp 300 Aussagen über Satan und das Wirken böser Geister nachweisen. Es sei daher kaum zufällig, dass sich seitdem eine deutliche Wiederbelebung der Exorzismen belegen lassen. So machte der römische Priester Gabriel Amorth von sich reden, der nach eigenen Angaben mit nicht weniger als 160.000 Fällen von Besessenheit zu tun gehabt haben will. Auch die Bücher von Malachi Martin, die eine „Grundsteinlegung“ satanischer Herrschaft im Vatikan suggerieren, blieben, so auch in Polen, nicht ohne Einfluss. Aus all dem erklärt sich offenbar das sich in Teilen der Kirche verbreitende Klima einer zunehmenden teuflischen Bedrohung, die den Einsatz von Exorzisten verlange.

Wachsende Sorge

Am 26. August 2013 nahmen Polens Oberhirten auf ihrer Ratssitzung der Diözesanbischöfe zu den pastoralen Aktivitäten ihrer Exorzisten Stellung. Das knapp gehaltene Kommuniqué lautet: „Die Bischöfe befassten sich mit dem Dienst der Exorzisten in Polens Kirche. Sie dankten für die Mühe dieser verantwortungsvollen Mission. Sie äußerten sich zudem zu manchen mit diesem Dienst verbundenen Gefährdungen. Sie drängten darauf, bei Einführung von Gebeten um Gesundung innerhalb der Messfeier große Vorsicht walten zu lassen. Sie beriefen außerdem ein Gremium zur Erstellung von Richtlinien für die Arbeit der Exorzisten.“

Das Kommuniqué zeigt die Sorge der Bischöfe über eine pastorale Entwicklung, die aus dem Ruder zu geraten droht. Zu hoffen ist, dass sich die angekündigten Richtlinien nicht allein auf die bei den Gläubigen beliebten Heilungsgottesdienste beschränken, sondern dass die Tätigkeit der Exorzisten insgesamt auf den Prüfstein gestellt wird und die in der gegenwärtigen Diskussion geäußerten Bedenken Berücksichtigung finden.

In Kritik geraten ist vor allem die von Professor Posacki SJ verfasste und den Exorzisten als Leitlinie dienende „Enzyklopädie geistiger Bedrohungen“. Die ausführlichen Erläuterungen der Stichpunkte seien dazu angetan, gegen die Intention des Verfassers als Gebrauchsanweisung genutzt zu werden sowie Ängste zu wecken. Dies gilt gleichfalls für sein Buch „Exorzismus, Besessenheit, Dämonen“. Bezeichnend ist die Äußerung eines Lesers im Internet, der dem Autor vorwirft, es versäumt zu haben, dem Text die Warnung voranzustellen, bei der Lektüre könne man der Attacke von Dämonen ausgesetzt werden. Aufgrund dieses Versäumnisses sei das Buch als besonders gefährlich einzustufen.

Noch aus einem weiteren Grund ist gegen die „Enzyklopädie“ äußerste Vorsicht geboten, verrät sich doch in ihr eine dämonische Weltsicht. So schreibt Posacki in der Einleitung, seit der Erbsünde sei eine Kraft am Werk, die den Menschen und seine Welt in die Umarmung des Satans dränge. Damit gäbe es in ihr nichts Indifferentes. Sie sei entweder Gottes oder des Teufels. Zur Konkretisierung dieses fragwürdigen Weltverständnisses dient die in der „Enzyklopädie“ enthaltene umfangreiche Liste möglicher Einfallstore böser Geister, an der sich die Exorzisten in ihrer Pastoral orientieren. So versteht man, warum sie afrikanische Masken verbrennen sowie Yoga und Homöopathie als Teufelswerk ansehen. Und wenn man weiß, dass Posacki als einflussreicher Berater des „Egzorzysta“ tätig ist, dann wundert man sich nicht über die dämonologische Ausrichtung dieser Zeitschrift. Verwunderlich ist es schließlich auch nicht, dass Posacki seine Ideen über Radio „Maryja“ verbreiten kann, das – wenngleich mit deutlicher Politisierung – zur Dämonisierung neigt, indem unter der Regie von Pater Rydzyk gegen alles zu Felde gezogen wird, was dem nationalkatholischen Selbstverständnis entgegensteht.

Angesichts dieses Befundes ist die Sorge der Bischöfe nur zu berechtigt. Besteht nicht die Gefahr, dass mit dem Vormarsch der Exorzisten im Glaubensleben der Kirche anstelle der befreienden Frohbotschaft Jesu vom Reiche Gottes das Schüren von Ängsten tritt? Dass die Dämonologie als ein eher marginaler Bereich der Theologie ins Zentrum kirchlicher Lehre rückt? Und dies mit allen fatalen Folgen, die eine solche Akzentverschiebung nach sich zieht. Und sind die ausufernden pastoralen Aktivitäten der Exorzisten überhaupt durch ihre bischöfliche Beauftragung gedeckt? Wenn nicht, dann wäre es an der Zeit, ihrem Übereifer Einhalt zu gebieten.

Auch bezüglich des Kernbereichs der Exorzisten besteht Grund zu einer kritischen Nachfrage. Die Anwendung eines Exorzismus ist, wie bereits erwähnt, nur bei gewonnener moralischer Sicherheit, dass wirklich ein Fall von Besessenheit vorliegt, erlaubt. Damit hat die Kirche ihren Exorzisten die Messlatte sehr hoch gelegt. Abgesehen davon, dass man fragen kann, ob eine derartige Sicherheit des Urteils überhaupt erlangt werden kann, genügt die bloß subjektive Überzeugung nicht. Die Diagnose, ob Besessenheit vorliegt, darf jedenfalls dem Exorzisten nicht alleine überlassen werden. Gefordert ist vielmehr bei jedem konkreten Fall eine Zusammenarbeit mit Psychiatern, um die einer medizinischen Erklärung und Heilung gesteckte Grenze zu ermitteln, hinter der eine Besessenheit vermutet werden kann. Nach allem was man weiß, fehlt es aber in Polen an dieser unbedingt erforderlichen Kooperation. Vielmehr liegen die Exorzisten offenbar mit Psychologen, Psychiatern und Psychotherapeuten im Streit. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass Exorzisten deren Kritik mit dem Hinweis abtun, sie seien nur neidisch auf ihre Erfolge. Die Patienten würden eben lieber bei ihnen Hilfe suchen, statt sich an die Damen und Herren im weißen Kittel zu wenden und noch dazu für langwierige Behandlungen viel Geld auszugeben. Zudem machen sich die Exorzisten die Sache zu leicht, wenn sie behaupten, eine falsche Diagnose ihrerseits würde, ohne zu schaden, lediglich unwirksam sein, während Fehldiagnosen eines Psychiaters oder Psychotherapeuten einen Menschen zerstören könnten. So schadlos, wie die Exorzisten behaupten, ist ihre Tätigkeit jedenfalls nicht, wie Psychiater und Psychotherapeuten belegen, die es mit den Folgen einer „Behandlung“ durch Exorzisten zu tun bekommen.

Es wäre nach dem Gesagten sicherlich ein Trugschluss, angesichts des Zuspruchs, dessen sich die Exorzisten in Polen offenbar erfreuen, den Dingen freien Lauf zu lassen und sich davon aus Gründen eines kurzsichtigen Pragmatismus einen religiösen Aufschwung zu erhoffen. Vielmehr besteht bischöflicher Handlungsbedarf. Statt dem Drängen der Exorzisten nach weiteren Beauftragungen nachzukommen, wäre es an der Zeit, ihren Vormarsch zu stoppen.

Benutzte Literatur:
Jacek Prusak SJ, Celebryci od Szatana, Tygodnik Powszechny Nr. 33 v. 18. 08. 2013, S. 3f;
Artur Sporniak, Diabelska Antygrawitacja, ebd. Nr. 34 v. 25. 08. 2013, S. 15f;
Anna Goc, Marcin Zyla, Czarna propaganda, ebd., S. 4-6;
Leszek Misiarzyk, Reklama wyzwalajacej mocy, ebd. Nr. 35 v. 01. 09. 2013, S. 16f;
Jacek Prusak SJ, Efekt Makbeta, ebd., S. 17;
Anna Goc, Marcin Zyla, Pokuta, ebd. Nr. 38 v. 22. 09. 2013, S. 16f.


© imprimatur Januar 2014
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