Bekanntlich ist in den letzten Jahren die Zahl der Kirchenaustritte angestiegen, wobei innerkirchliche Ereignisse wie Missbrauchsskandale und jüngst die Affäre Tebartz-van Elst in Limburg den allgemeinen Trend der Austritte noch beschleunigen. Die vorliegende Studie „Kirchenaustritte als Prozess“ basiert nicht auf einer punktuellen Befragung und ihrer statistischen Auswertung; sie untersucht die „biographischen Prozesse junger Menschen zwischen 18 und 35 Jahren, die zu einem Austritt aus der römisch-katholischen oder der evangelischen Kirche bzw. zu einem Verbleib in diesen Kirchen führen“. (iii).
Zunächst werden 25 Austreter befragt, bei denen „angenommen“ wird, dass ihr Entschluss zum Austritt aus der Kirche nicht nur punktuell begründet ist, sondern einen Entschluss darstellt, der in einem langjährigen Prozess gereift ist. In 20 Interviews mit katholischen Austretern zeigen sich unterschiedliche Entwicklungstypen der Kirchenaustritte, wie etwa der des „engagierten Umdenkers“, der ursprünglich in der eigenen Pfarrgemeinde sehr aktiv ist, sich dann aber außerhalb der Kirche sozial engagiert. Interessant ist der Vergleich von interviewten „Bleibern“ mit „Austretern“. Der Vergleich belegt, dass es bei beiden, „Bleibern“ und „Austretern“, Lebensphasen gibt, die sich sehr ähnlich sind. Festgestellt allerdings werden auch entscheidende Differenzen in den Begründungen für ein Verbleiben in der Kirche. Bei 6 Verbleibern wird weder eine große Kirchennähe noch eine Kirchenferne festgestellt. Sie erscheinen eher als Konsumenten, die die Erfüllung bestimmter Bedürfnisse im Angebot der Kirche finden.
Allgemein zeigen die Begründungen der Kirchenaustreter, dass ihre Austritte
durchgängig prozesshaft sind. So berichtet beispielsweise „Markus“,
dass sein Entschluss zum Kirchenaustritt „einfach soweit gereift war“.
(25) Auch andere Interviews lassen die Prozesshaftigkeit des Austritts erkennen,
z. B.: „Ich habe ewig schon mit dem Gedanken gespielt“ oder „Das
war ein ewig langer Prozess“. Insbesondere wird die Prozesshaftigkeit
der Kirchenaustritte in der großen Zahl der Interviews belegt, die das
Buch auf vielen Seiten wortgetrau wiedergibt. Sie machen zudem deutlich, dass
Kirchenferne allein nicht zwingend zum Austritt aus der Kirche führt. Sie
zeigen zudem auch, wenn junge Menschen beginnen, ihre persönlichen Beziehungen
zu Institution und Organisation der Kirche kritisch rationalisieren, der Austritt
aus der Kirche wahrscheinlicher wird. Auch wo die Kirchenmitgliedschaft keinen
persönlichen Nutzen mehr erkennen lässt, ist der Austritt nicht mehr
weit.
Die Autoren von „Kirchenaustritt als Prozess“ weisen zusammenfassend
ausdrücklich darauf hin, dass die Studie, die sie uns vorlegen, „biographische
Wege junger Menschen“ untersucht, die zu einem Kirchenaustritt bzw. zu
einem Verbleib in der katholischen oder evangelischen Kirche führen. Ein
Austritt aus der Kirche ist überwiegend kein punktuelles Ereignis, er steht
vielfach am Ende eines längeren Prozesses.
Die vorliegende Studie schult die Wahrnehmung für kirchliche Austritts- und Bleibeprozesse junger Menschen. Sie sensibilisiert und erweitert einen Gesprächshorizont der Kirchen mit „Bleibern“ und „Austretern“. Ganz gewiss sind die angeführten einzelnen Interviews nicht zuletzt lesenswert im Hinblick auf den Religionsunterricht und die kirchliche Verkündigung überhaupt. Ein lesenswertes Buch auch für den allgemeinen kirchlichen Umgang mit jungen Menschen.
Michael N. Ebertz, Monika Eberhardt, Anna Lang: Kirchenaustritt als Prozess: Gehen oder bleiben?
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