Irmgard Rech
Zwei schwangere Frauen jubeln den ersten Weihnachtsgesang
Keine Vorlagen für süßliche Krippenlieder

Sie jubeln und singen laut und ekstatisch, ja furioso, die beiden schwanger gewordenen Frauen! (Lk 1, 39-56) Wer von uns hätte sich nicht einen solch freudigen Jubel der eigenen Mutter bereits vor seiner Geburt gewünscht! Für das kleine Zimmer im Haus des Priesters Zacharias, in dem sie sich befinden, ist es fast Wände erschütternd. Sie nehmen sich dabei viel heraus, sie singen und sagen Dinge in kühner Redefreiheit, wie sie sich Papst Franziskus für die Kirche wünscht. Die eine, Elisabeth, ist angesehene Priestertochter und Priestergattin, schon älter und bis dahin kinderlos, die andere, die junge schwangere Maria, hat einen beschwerlichen Weg auf sich genommen, um ihre Verwandte zu besuchen. In der Gesellschaft ihrer Zeit gehören sie als Frauen zu den Zurückgesetzten, jetzt als Schwangere fühlen sich beide von ihrem Gott angeschaut und gesegnet.

Die jubelnde Frau, ein biblischer Topos

Innerhalb seiner Kindheitsgeschichte hat der Evangelist Lukas diese intime Begrüßungsszene der beiden schwangeren Frauen, die zu einem beliebten Motiv christlicher Malerei geworden ist, wohl frei, jedoch in Anlehnung an Erzähltexte aus dem Alten Testament gestaltet. Die singende und jubelnde Frau, deren Kinderwunsch endlich erfüllt wurde, ist dort ein Topos, ein sich wiederholendes Motiv. Gott ließ mich lachen (Gen 21,6), frohlockt die hochbetagte Sara nach der Geburt Isaaks. Simsons Mutter deutet ihrem angsterfülltem Mann Manoach ihre Schwangerschaft als Gunst- und Gnadenerweis Gottes (Ri 13, 23). Und Hanna, die Mutter Samuels, feiert ihre Mutterschaft mit einem großen Danklied (1 Samuel, 2, 1-11). Es beginnt: Mein Herz ist voll Freude über den Herrn, / große Kraft gibt mir der Herr. Lukas benutzt es als direkte Vorlage für sein Magnifikat, das er Maria in den Mund legt. Er findet dort vorgebildet, dass eine Mutter ihrem privaten Glück eine gesellschaftliche Dimension gibt. So wie sie sich von Gott durch die Geburt eines Sohnes der Verachtung entrissen sieht, so erwartet sie von Gott auch die Umkehrung der sozialen Verhältnisse: Den Schwachen hebt er empor aus dem Staub / und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt. Fragt sich nicht jede Mutter, in welche Welt sie ihr Kind gebiert? In der Sorge um das junge Leben fürchtet sie am meisten die Gewalt und den Krieg. Und so nennt Hanna diese Großtat Gottes an erster Stelle: Der Bogen der Helden wird zerbrochen, / die Wankenden aber gürten sich mit Kraft.

Kein Vers über die Abschaffung der Kriege

Auffällig ist, dass Lukas diese mütterliche Sehnsucht nach Entwaffnung und Beendigung der Kriege nicht aufnimmt ins Magnifikat, obwohl diese Erwartung zu den Hoffnungsbildern Israels gehört. Schon Mirjam stimmt nach der Vernichtung der ägyptischen Streitmacht ein Lied an, das den Gott feiert, der dem Krieg ein Ende setzt: Singt dem Herrn ein Lied, / denn er ist hoch und erhaben. / Rosse und Wagen warf er ins Meer. (Ex 15, 21) Und Judit, die große Rettergestalt Israels, die von Gott, dem Allerhöchsten mehr gesegnet (gilt) als alle anderen Frauen auf der Erde (Jdt 13, 18), rühmt ihren Gott mit einem Lied, in dem es heißt: Denn der Herr ist ein Gott, / der den Kriegen ein Ende setzt (Jdt 16, 2). So hat auch die Septuaginta den Vers „Der Herr ist ein Krieger“ (Ex 15,3) aus dem Siegeslied des Mose übersetzt: Der Herr ist ein Gott, der dem Krieg ein Ende setzt. Wohl weil diese Verse vom eschatologischen Ende aller Kriege im Alten Testament literarisch mit dem Kampf gegen die Feinde Israels verbunden sind, fanden sie keine Aufnahme in Marias Lobgesang, obwohl ihn Lukas als Jubel zum Anbruch der messianischen Heilszeit gestaltet und Jesus Gewaltlosigkeit und Feindesliebe predigt. Ich bedauere das! Wie gut wäre es gewesen, einen solchen Vers über die Abschaffung der Kriege im Magnifikat zu haben, das wie kein zweiter biblischer Text so oft vertont und durch die Jahrhunderte gesungen wurde! Doch die Erinnerung an Judits Tat, durch die mit Holofernes eine weltumspannende kriegerische Militärmacht besiegt und ein Krieg symbolhaft für alle Kriege ein Ende gefunden hat, bleibt erhalten. Der über sie ausgerufene Segenspruch, dass sie die gesegnetste aller Frauen sei, gilt jetzt für Maria und wird Elisabeth als Begrüßungsjauchzer in den Mund gelegt. In ihrem Danklied für ihre Schwangerschaft versteht Maria sich als von Gott erhöhte niedrige „Magd“, so wie das ganze Volk Israel und jeder Israelit sich als „Knecht“ Gottes versteht. Demnach ist ihre Sprache, in der sie das Heilshandeln Gottes an den „Niedrigen“ preist, ganz von der Geschichtserfahrung ihres Volkes geprägt. Darin klingt auch die Herausführung aus der ägyptischen Knechtschaft (Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten) wie die Eroberung des verheißenen Landes mit seinen Segnungen an (Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben), auch das Gericht über die „Mächtigen“ (Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind).

Zu fragen ist jetzt, wieso sich Lukas dazu entschieden hat, bei all diesen Anklängen an den Stil öffentlichen Redens der großen Frauen Israels, eine allerintimste Begegnungsszene hinter geschlossenen Türen zu schreiben. Hier gilt, was für die gesamte Kindheitsgeschichte gilt: Lukas schreibt keine realen Geschichten, sondern er macht Geschichten, die sich im Wechsel von öffentlichen und ganz privaten Ereignissen abspielen, um deutlich zu machen, dass Gottes Heilshandeln immer aus der persönlichen Entscheidung Einzelner resultiert. Somit ist er Dichter und Deuter der Jesusbedeutung. Und wie bei jeder Dichtung erfassen wir sein Evangelium am intensivsten, wenn wir uns in die gestalteten Szenen hineinversetzen.

Die geistbegabte Frau – ein Signal für die eschatologische Heilszeit

Wie passt es zum „Genus eines Dankliedes von Frauen nach der Geburt ihres ersten Kindes“(LThK), dass es von Elisabeth nach dem Friedensgruß Marias heißt: Und sie rief mit gewaltigem Schrei? Aber weil sie zugleich als vom Heiligen Geist erfüllt beschrieben wird, wie der Prophet Joel es von den Söhnen und Töchtern für die letzten Tage angekündigt hat (Joel, 3,1-5 und Apg 2, 17-21), sollten wir wissen, dass es ein Freudenschrei zum Anbruch der Heilszeit ist, der durch alle Wände dringen muss. Und weil mit der Heilszeit eine neue Ordnung angebrochen ist, sind es diese zwei Frauen, die, noch bevor der Engel den Hirten auf den Fluren Betlehems eine große Freude verkündet, die dem ganzen Volk zuteil werden soll, von dieser Freude existentiell zutiefst erfasst sind. Die Ältere spürt das Aufhüpfen ihres Kindes in ihrem Leib (Mal 3,20 weissagt: Ihr werdet . . . hüpfen wie die Kälbchen aus ihrem Stall) und die junge Maria jubelt: . . . mein Geist frohlockt über Gott, meinen Heiland. So sind sie als Mutter des Vorläufers Johannes und als Mutter des Messias schon in einer neuen Existenz ekstatischer Freude. So intim diese Szene ist, so groß ist ihre Strahlkraft für alle Glaubenden. Die neue Zeit und ihre Ordnung beginnen mit dem Freudenausbruch dieser Mütter, die sich, durch keinen Priester vermittelt, unmittelbar von Gottes Geist ergriffen fühlen und in „ihrer“ Sprache die Großtaten Gottes preisen. Dabei rühmt die eine neidlos die Glaubenskraft der anderen, mit der diese zur direkten Mithandelnden Gottes geworden ist. Die Jungfräulichkeit Marias verweist darauf, dass sie als freie Persönlichkeit in absoluter Gottbezogenheit den Messias zur Welt bringt. Nach jüdischem Eheverständnis verschafft die Frau ihrem Mann die Nachkommen, Maria sagt ihr Ja zur Schwangerschaft in freier Entscheidung. Daher ist sie gesegnet, mehr als andere Frauen.

Umkehrung der bestehenden Machtverhältnisse

In der Art, wie Lukas die Begegnung der beiden schwangeren Frauen gestaltet, zeigt er uns, wie sie so ganz die neuen Menschen der Heilszeit sind, die in Jesus anbricht. Sie geben der Freude in sich Raum, dass Gott in ihnen die Niedrigen erhöht hat. Elisabeth tritt demütig vor der Größe Marias zurück und nennt Jesus „meinen Herrn“. Maria gewinnt Größe, indem sie Elisabeths Huldigung Glauben schenkt, sich aus ihrer Niedrigkeit durch Gottes Erwählung erhöht weiß und darin die Umkehrung der bestehenden Machtverhältnisse als Gottes Heilsordnung erkennt, die aber denen, die im Herzen voll Hochmut sind, zum Gericht wird. Lukas lässt durch den Mund einer Frau das revolutionäre Gesetz des Gottesreiches verkünden: Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Luther übersetzt: „Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl.“ Noch vor dem Lobgesang des Zacharias und vor dem Gesang der Engel bei den Hirten in Betlehem lässt uns Lukas die Stimmen der jubelnden geistbegabten Frauen hören. In der Kirche wurden dann die Frauen schon bald zu absolutem Schweigen verurteilt. Früher durften sie nicht einmal im Kirchenraum singen. Ihre hellen Stimmen ersetzte man durch den Gesang von Männern, die dafür qualvoll kastriert wurden. Lukas würde sich entsetzen.

In seinem Evangelium erzählt er von Jesus, dass „viele“ Frauen unter seinen Jüngern waren (Lk 8, 1-3). Für Lukas stehen sie „in gewisser Weise mit den Aposteln auf einer Stufe“. (Kommentar des Stuttgarter Neuen Testaments zu dieser Textstelle) Er nennt sie bei ihrem Namen, Maria Magdalene, Johanna, Susanna. Aus seiner Apostelgeschichte erfahren wir, dass die Frauen wie im Leben Jesu auch im Leben der Gemeinde eine Rolle gespielt haben.

Für die heutige männergeführte katholische Kirche müssen Elisabeth und Maria ihre Glaubenslieder mit voller Lautstärke intonieren, dass den Geweihten und allen, die auf Thronen sitzen, statt lieblicher Hirtengesänge diese Weihnachtsbotschaft in die Ohren dringt: Die Machthaber stürzt er von Thronen / und Niedrige erhöht er. Papst Franziskus hat schon vor einiger Zeit ganz im Sinne des Magnifikats mit einem Gebet die Hirten von ihren Thronen geholt: Schenke uns gute Hirten, die den Boden aufnehmen, auf dem wir gehen, und uns auf dem Weg zu dir begleiten. Wenn unsere Hirten mit uns niedrigen Laien in diesem Sinne Weinachten feiern, könnten wir das Magnifikat fröhlich anstimmen.


© imprimatur Januar 2014
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