Lutz Lemhöfer
Erinnerung an einen Querdenker
Zum 70. Todestag des linkskatholischen Widerstandskämpfers Theo Hespers

Lange ist die Kirchengeschichtsschreibung an ihm vorbeigegangen: katholischer Wandervogel und Quickborner; pazifistisch-sozialistischer Lokalpolitiker in Mönchengladbach; Emigrant in den Niederlanden; Informant des britischen Geheimdienstes; schließlich und letztlich ein Opfer der NS-Diktatur, mit nicht ganz 40 Jahren am 9. September 1943 in Plötzensee hingerichtet: Theo Hespers. Ein katholischer Querdenker und Lebensreformer, selbst in seiner Heimatregion Niederrhein über Jahrzehnte fast unbekannt. Um so erstaunlicher und erfreulicher ist es, dass die nach ihm benannte Theo-Hespers-Stiftung in Mönchengladbach in Kürze die Gelegenheit bekommt, eine Gedenkstätte für diesen Mann einzurichten. Den 70. Jahrestag seines Todes nimmt Imprimatur zum Anlass, leicht verändert einen Gedenkartikel von 2007 nachzudrucken.

Wer war Theo Hespers? Der Textilingenieur aus Mönchengladbach stammte aus der katholischen Jugendbewegung, dem „Quickborn“. Der Protest gegen bürgerliche Kultur und Politik führte ihn, anders als viele Jugendbewegte, nicht nach rechts, sondern nach links. Er wurde Mitglied im „Friedensbund Deutscher Katholiken“ und bei der „Christlich-Sozialen Reichspartei“ des Vitus Heller. Die hatte sich auf Grund ihres klaren Pazifismus und Antikapitalismus vom katholischen „Zentrum“ abgespalten und bildete so etwas wie ein Auffangbecken für christliche Sozialisten und Pazifisten, die sich von den großen Parteien verraten und verkauft fühlten.

„Wir sahen, dass die Vertreter des Sozialismus sich nicht entschieden für eine soziale Neuordnung einsetzten, dass die Vertreter des Nationalismus nicht das Wohl des Volkes und der Nation, sondern egoistische Ziele im Auge hatten, dass die Vertreter des Katholizismus nicht die Weite zeigten, die der Weltkirche ansteht, dass die Vertreter des Christentums mit der Nächstenliebe nicht ernst machten.“

So schrieb Theo Hespers in einem Rückblick. Er machte auf seine Weise ernst und kandidierte bei der letzten halbfreien Reichstagswahl im März 1933 für eine linke „Einheitsliste der Arbeiter und Bauern“: Erfolglos, aber folgenreich. Denn kurz darauf wollte die Gestapo ihn verhaften. Er wurde gewarnt und entkam mit Frau und Sohn in die Niederlande. Neben dem mühsamen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Reformhauswaren versuchte er ein internationales Netzwerk der Jugendbewegung gegen den Nationalsozialismus aufzubauen und gründete zugleich eine nazikritische Zeitschrift „Kameradschaft –Schriften junger Deutscher“. Zwischen 1937 und 1940 erschien sie monatlich, wie sein Sohn Dirk später berichtete:

„Die Zeitschrift hatte sich zur Aufgabe gemacht, die deutschen Emigranten zu informieren und gleichzeitig aber auch die Deutschen im Reich zu informieren. Sie kam zwar in Holland heraus, wurde aber in großen Mengen auch in Gemüsetransportern und auf Rheinschiffen nach Deutschland gebracht und dort gewissen Kreisen, die auch nicht mit der Hitlerdiktatur einverstanden waren, zugänglich gemacht.“

Die Zeitschrift war das wichtigste Produkt einer ansonsten bald gescheiterten Einheitsfront aller jugendbewegten Nazigegner im Exil. In einer Auflage von 9000 Stück brachte sie unterdrückte Informationen und schuf ein Stück Gegenöffentlichkeit zur gleichgeschalteten Presse im Deutschen Reich. Etwa beim Essener Katholikenprozess 1937.

Während die NS-Presse in schrillen Tönen eine angebliche Verschwörung kommunistischer Jugendfunktionäre mit Vertretern der katholischen Jugend um den Düsseldorfer Kaplan Rossaint an die Wand malte, legte die „Kameradschaft“ in aller Nüchternheit dar, wie hier menschliche und seelsorgerische Kontakte zu einer Staatsaktion hochgejubelt wurden. Durch Kontakte der Jugendbewegung hüben und drüben verfügte die Zeitschrift über authentische Prozessberichte. Unzensierte Gedanken ausländischer Deutschland-Besucher wurden ebenso gedruckt wie Nachrichten über kleine Schikanen und große Gewalttaten des Regimes. Die Motive erläutert ein Artikel vom Juli 1938:

„Der Sinn der Jugendbewegung ist, Menschen heranzubilden, die in eigener Verantwortung ihr Leben gestalten. Sinn des Nationalsozialismus ist die Ausschaltung jeglicher Verantwortung. Der Sinn der Bündischen Jugend ist jugendbewegte Haltung zu verbinden mit freiwilliger Gefolgschaft. Sinn des Nationalsozialismus ist Zwang und Gleichschaltung. (…) Die NSDAP hat die Ideale der Jugendbewegung, die ihr für ihre Partei brauchbar erschienen, gestohlen und verfälscht.“

Hier wurde jungen Menschen ein Weg zur Opposition gewiesen. Das sahen auch Außenstehende wie der spätere Bundeskanzler Willy Brandt, damals Mitglied der „Sozialistischen Arbeiterpartei“ und selbst Emigrant. Im Dezember 1937 schrieb er in der Zeitschrift „Freie Deutsche Jugend“: „Viel zu wenig Aufmerksamkeit wird im allgemeinen der großen Zahl jener Jugendkreise geschenkt, die etwa als Fahrtengemeinschaften bestehen (…). Vielfach sind diese heute das Reservoir der illegalen Bewegung und ihre Brücke zur Masse der Jugendlichen.“

Ganz sicher gilt diese Kennzeichnung für Theo Hespers, der 1939 in der „Kameradschaft“ unversöhnlich mit dem Nationalsozialismus abrechnete:

„Die Hitler-Diktatur besteht nur auf Grund ihres Systems, das da ist: die vollständige Vernichtung der menschlichen Persönlichkeit und Freiheit, um die Allgewalt der Herrschenden zu erreichen und zu sichern. Wenn man dies in seiner ganzen Tragweite erkannt hat, weiß man, dass es belanglos ist, ob der Nationalsozialismus diese oder jene Besserung oder Erneuerung durchgeführt hat. Denn in allen seinen Maßnahmen, selbst da, wo sie sozial erscheinen, handelt der Nationalsozialismus nicht um der Sache, etwa der sozialen Frage oder der deutschen Kultur willen, sondern um seinem Ziel zu dienen, der Erreichung und Erhaltung der totalen Herrschaft. Wir wissen, dass der Weg zu Erreichung dieses Zieles Deutschland innerlich wie äußerlich zu Grunde richten muss. Wenn wir selber kein eigenes Ziel hätten, so würden wir schon darum allein den Nationalsozialismus bekämpfen.“

Dieser Kampf verschärfte sich, als Hitler mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselte. Hespers nutzte jetzt seine Kontakte auch dazu, militärisch bedeutsame Meldungen an die Engländer weiterzugeben. Denn seine Überzeugung stand fest:

„Erst nach der Niederlage wird die Bahn frei – für Deutschland.“

So schrieb Hespers im November 1939. Doch bald holte ihn das Kriegsgeschehen selbst ein.

Am 10. Mai 1940 fielen deutsche Truppen in den Niederlanden ein. Dirk Hespers erinnert sich:

„Die Fallschirmjäger hatten die Stellungen der Niederländer bereits besetzt, bevor überhaupt die Mobilmachung angeordnet worden war, die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte waren besetzt, die Schützengräben waren besetzt, überall waren die Fallschirmjäger, die Schleusen waren besetzt. Um den Nazitruppen zu entkommen, gab es nur die Möglichkeit, über die friesischen Inseln nach Belgien zu gelangen. Von dort ging es mit den Flüchtlingsströmen, unter zeitweiligen Angriffen der deutschen Luftwaffe, der Stukas, nach Frankreich. Dort hatte inzwischen die englische Armee auch den Rückmarsch angetreten und war dabei, sich in Dünkirchen einzuschiffen. Mein Vater begab sich in Dünkirchen zum englischen Hafenkommandanten mit der Bitte, nach England mit der Familie mitgenommen zu werden; der englische Kommandant bedauerte: das Reglement ließe nur zu, dass er Männer mitnähme, nicht aber Frauen und Kinder.“

Theo Hespers wollte seine Familie nicht allein zurücklassen. Mit ihr floh er zurück nach Belgien und lebte illegal als Koch eines Waisenhauses in Antwerpen, bis er am 10. Februar 1942 entdeckt und verhaftet wurde. Am 22. Juli 1943 befand der Volksgerichtshof für Recht: „Der Angeklagte hat als Emigrant in den Niederlanden an der Einfuhr kommunistischer und anderer marxistischer Hetzschriften in das Reich mitgewirkt. Er hat weiter in England hergestellte Zersetzungsschriften, die den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung untergraben sollten, in das Reich eingeführt. Er hat endlich vom Herbst 1939 bis Anfang Mai 1940 es fortgesetzt unternommen, sich militärische Nachrichten im Reichsgebiet zu verschaffen, und sie verraten. Er wird deshalb zum Tode verurteilt.“

Theo Hespers hat sich bei all dem nicht als Vertreter der Kirche gefühlt; er hatte Kontakt zu einzelnen sympathisierenden Geistlichen, nicht zur höheren Hierarchie. Aber er war aus katholischem Mutterboden gewachsen. Es passt, dass die erste Station nach der Flucht das Dominikanerinnen-Kloster bei Venlo war – eine Tante war dort als Sr. Christophera Priorin. Kontakte gab es zu einem katholischen Flüchtlingshilfe-Komitee und zur Exilzeitschrift „Der Deutsche Weg“ des ebenfalls nach Holland geflohenen Jesuiten Friedrich Muckermann. Und was blieb und später auch im Gefängnis trug, war der lebendige Glaube, den Hespers seit Kindheitstagen in der Seele trug. So heißt es in Briefen aus der Haft an die Mutter: „Für Deine und anderer lieber Menschen Gebete bin ich immer sehr dankbar. Es stärkt mich immer, wenn ich weiß, dass man meiner gedenkt. An Gott macht mich nichts irre.“ Oder später in einem anderen Brief: „In Wirklichkeit habe ich Christentum und Kirche immer sehr ernst genommen und mich ernsthaft dafür eingesetzt. Ja, das ist ursprünglich die Triebfeder zu allem gewesen, dass ich die sozialen Forderungen Christi verwirklichen wollte.“ Manche Hoffnungen auf die Kirche waren aber auch enttäuscht worden; schon 1938 hatte er in einem langen Grundsatzartikel geklagt: „Lange haben wir gewartet auf einen Aufruf der Kräfte in den eigenen Reihen von Seiten führender katholischer Männer. Aber alle, die früher das Wohl des Volkes im christlichen und katholischen Lager vertraten, schweigen heute.“ Da sahen sich die jungen Jugendbewegten in der Pflicht.

Auch nach dem Krieg wurde über Theo Hespers lange geschwiegen. Er passte nicht recht in die gängigen Schablonen von rechts und links, von fromm und politisch. Nicht zuletzt dem zähen Ringen des Sohnes Dirk und der 1993 von ihm gegründeten Theo-Hespers-Stiftung ist es zu verdanken, dass jetzt nicht nur ein Ehrenmal auf dem Hauptfriedhof von Mönchengladbach steht, sondern in regelmäßigen Veranstaltungen die einstige Leitartikelfrage Hesters’ „Wie wollen wir Deutschland?“ neu und öffentlich diskutiert wird. Innerkirchlich hat vor allem der Bund Quickborn und sein Mitglied Dr. Meinulf Barbers immer wieder an den früheren Quickborn-Führer Theo Hespers erinnert; eine Spätfolge davon dürfte auch die Aufnahme in die Neuauflage (2007) des von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen „Deutschen Martyrologiums des 20. Jahrhunderts“ sein. Spät ist sie gekommen, aber nicht zu spät, um eine der interessantesten Figuren aus dem demokratischen Widerstand gegen das NS-Regime auch kirchlich so zu ehren, wie er es verdient hat.

Literatur:
Meinulf Barbers: Theodor Hespers, in: H. Moll, Zeugen f. Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Paderborn 4/2007, Bd. II, S. 1273 – 1277.
Meinulf Barbers: Theo Hespers – Ein Widerstandskämpfer, der aus dem Quickborn kam. In: Online Archiv der Theo-Hespers-Stiftung e.V. (www.theo-hespers-stiftung.de)
Jutta Finke-Gödde: Theo Hespers. Bd. 22 der Buchreihe „Zeugen städtischer Vergangenheit“, Mönchengladbach 2004


© imprimatur November 2013
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