Norbert Scholl
Kleriker unter sich – Die Kölner Katechese von Kurienkardinal Kasper


Kurienkardinal Walter Kasper hat bei dem von Kardinal Meisner veranstalteten „Eucharistischen Kongress“ in Köln für 700 Kleriker und solche, die es werden wollen, eine „Katechese“ gehalten, die eine größere Aufmerksamkeit verdient.

(http://www.eucharistie2013.de/fileadmin/redaktion/bilder/Bildergalerien/news_ab050613/downloads/2013-06-07-K-Kasper-Katechese.pdf)
Als Thema wählte er den letzten Abschnitt der „Brotrede“ im Johannesevangelium (Joh 6,60-69). Jesus war mit seiner Mission in Galiläa gescheitert. Die Leute liefen ihm davon. Auch seine engsten Freunde waren irritiert.

Kasper zog eine Parallele zur gegenwärtigen Situation der Kirche. „Die Botschaft der Kirche und die Erwartungen eines Großteils der Menschen klaffen auseinander; die Leute beginnen hörbar zu murren. Auch im engeren Kreis, im Klerus beginnt es zu brodeln.“ Und Kasper nannte auch den Anlass: Skandale. Einige davon (Kasper bezeichnete sie etwas beschönigend als „handfeste Ärgernisse“) hätten „großen Schaden“ verursacht. Schuld daran war „der böse Feind“, der „Unkraut unter die gute Saat“ gesät hatte. Und natürlich auch „der Verräter“. Aber keine Aufregung: „Das gab es schon immer“ … und wird es auch immer geben – so könnte man den Satz weiterführen und die nächsten Missbrauchsskandale ruhig abwarten. Nur eins kann noch helfen: Wir müssen „in regelmäßigen Abständen das Sakrament der Buße empfangen. Der Verfall des Sakraments der Buße, wir könnten auch sagen: des Sakraments der Barmherzigkeit ist eine der tiefen schwärenden Wunden im Leib Christi.“ Nicht die Missbrauchsskandale, nicht die episkopalen Vertuschungsmanöver, sondern die leeren Beichtstühle. Endlich ist die Lösung gefunden! Warum ist nur noch niemand auf diese Idee gekommen?

Dann gibt es „scandala“ aufgrund von „Missverständnis und Unverständnis“ – natürlich bei den Anderen. Sie betreffen lt. Kasper „unsere priesterliche Existenz, die Ehelosigkeit insbesondere. Das alles sind Wirklichkeiten, die in sehr vielen Fällen kaum mehr vermittelbar sind; … schon Jesus selbst hatte dieses Problem.“
Viele Skandale, so Kasper, seien „unnötig“. Einige davon benannte er: „Bischofsernennungen, Hand- oder Mundkommunion, Zelebration zum Volk hin, Diakoninnen.“ Unnötig? Das provoziert die Frage, ob die Skandale um die dubiose vatikanische Finanzpolitik, um die Enthüllungen mancher Vatikan-Interna („Vati-leaks“) und vor allem um die vielfachen Kindesmisshandlungen durch Kleriker, die das gesamte Volk Gottes zutiefst erschütterten, etwa „nötig“ waren? Der Kardinal qualifizierte die von ihm als „unnötig“ betrachteten Skandale als „Nebenfragen, Nebenkriegsschauplätze“ ab. Damit brüskierte er eine große Zahl von zutiefst irritierten, aber treu zur Kirche stehenden Gläubigen. Ist es wirklich eine „Nebenfrage“, wenn, nur um der Aufrechterhaltung eines Kirchengebots aus dem 12. Jahrhundert willen, immer mehr Pfarreien zu „eucharistiefreien“ Zonen erklärt werden und den Gläubigen zugemutet wird, sich sonntags ins Auto zu setzen, um kilometerweit zur einzigen Eucharistiefeier in weitem Umkreis zu fahren mit der Begründung, sie würden ja auch den weiten Weg zum Supermarkt in Kauf nehmen? Ist es ein „Nebenkriegsschauplatz“, wenn von der kirchlichen Basis immer dringender die stärkere Beteiligung von Nicht-Klerikern und Frauen an Leitungsaufgaben der Kirche, ein Diakonenamt für Frauen, ein barmherziger Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder eine akzeptable Regelung der Fragen des kirchlichen Arbeitsrechtes gefordert wird? Ganz zu schweigen von den noch weiter gehenden Forderungen nach Reform der Sexualmoral, der Eindämmung des wuchernden römischen Zentralismus, der Aufhebung des Pflichtzölibats, dem priesterlichen Dienst für Frauen, der Stärkung und Erweiterung synodaler Strukturen. Immerhin nahm sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, volle 3 Tage Zeit, um sich, wie er sagte, „mitten in der Pilgergruppe“ solchen „Nebenfragen“ von 300 Männern und Frauen aus der Diözese Freiburg zu stellen. Kardinal Kasper beklagt einen „ideologischen Drahtverhau mit vielen Grabenkämpfen“ in der Kirche. Doch wer errichtet eigentlich diesen „Drahtverhau“? Vielleicht der australische Bischof Morrison, der von Benedikt XVI. seines Amtes enthoben wurde, nur weil er sich für die Priesterweihe von Frauen ausgesprochen hatte?

Schließlich kam Kasper zum Wesentlichen. „Christsein ist kein Festhalten an einem Dogmen- und Moralsystem. Sosehr Dogma und Moral mit dazu gehören.“ Was gilt nun? Festhalten (nur) am Inhalt oder auch an der Form, am heute teilweise missverständlichen Wortlaut der Dogmen („Person“, Substanz)? Braucht man an einigen Sätzen im Dogmensystem nicht festzuhalten? An welchen? Unfehlbarkeit des Papstes, leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel? Was gehört zum „Moralsystem“? Gibt es so etwas überhaupt? Woran muss festgehalten werden? Am Verbot von Präservativen („Humanae vitae“)? Was davon ist entbehrlich? Und wie ist das mit den kirchlichen Lehren, die nicht Dogmen sind, an denen aber dennoch verbissen festgehalten wird (Verbot der Frauenordination, Zölibat)?

Und weiter: „In erster Linie aber ist Christsein … in besonderer Weise Nachfolge Christi, Freundschaft mit Christus, Leben und Gemeinschaft mit Christus und in Christus, letztlich Schicksalsgemeinschaft mit Jesus Christus. Damit steht und fällt alles.“ Was heißt das genau? Freundschaft mit dem verkündigten „Christus“ der offiziellen Christologie oder mit dem verkündigenden Jesus des Neuen Testaments? Was ist mit denen, die sehr wohl eine innige Verbundenheit mit Jesus, dem Handwerker aus Nazaret, mit seiner Botschaft, seinem beispielgebenden Handeln und seiner bedingungslosen Liebe haben, die aber nicht (mehr) glauben (können) an „Christus“, den „eingeborenen Sohn Gottes“, der (lt. dem Präfekten der Glaubenskongregation, Erzbischof Müller) keinen leiblichen Vater hatte und von einer Jungfrau geboren wurde (DH 1880)? Gehört zu „Leben und Gemeinschaft mit Christus und in Christus“ auch das Festhalten an der gesamten dogmatisierten christologischen Begriffssprache samt deren neoscholastischem Verständnis? Auch hierauf gibt Kasper keine Antwort.

Zum Abschluss seiner „Katechese“ stellt der Kardinal klar: „Es geht um die Gottes- und um die Christusfrage“. Dem könnte man uneingeschränkt zustimmen, wenn nicht schon wieder zu fragen wäre: Was meint er damit genau? Festhalten am Gottesbild der Antike, wie es sich im kirchlichen Credo spiegelt? Festhalten an Christus, „gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater…, herabgestiegen vom Himmel“? Schon vor 40 Jahren betonte Karl Rahner, dass das Apostolische Glaubensbekenntnis „so sehr es immer eine bleibend verpflichtende Glaubensnorm sein wird, dennoch heute nicht einfach die Funktion einer solchen Grundformel in genügender Weise ausüben kann, weil es eben doch zu wenig unmittelbar die heutige geistige Situation anruft“ (Grundkurs des Glaubens, Freiburg 1976).

Kardinal Kasper dürfte (hinter vorgehaltener Hand) kaum eine andere Ansicht vertreten. Warum sagt er das nicht in aller Offenheit und mit gebotener Klarheit? Und warum macht er als angesehener und (in jüngeren Jahren) kompetenter Theologe nicht selbst den Versuch, die tradierte Gottes-„Lehre“ und die Christologie in die „heutige geistige Situation“ zu übersetzen? Warum bemüht er sich nicht, die zum Teil ursprünglich ganz andere Bedeutung mancher theologischer Begriffe (Person, Substanz) in heutige Begrifflichkeit zu übertragen und sie im Horizont der neuzeitlichen theologischen, philosophischen, historisch-kritischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse neu zu buchstabieren? Warum wagt er es nicht, sein eigenes Postulat „Es geht um die Gottes- und um die Christusfrage“ mit Inhalt und Substanz zu füllen? Warum kanzelt er die weltweit verbreiteten Forderungen nach einer gründlichen und umfassenden Strukturreform der römisch-katholischen Kirche derart ab? Warum desavouiert er das noch immer vorhandene Engagement vieler treuer, aber zunehmend kritischer werdenden Katholikinnen und Katholiken?

Ich hätte mir vom Kardinal eine theologisch tiefer fundierte, der aktuellen Situation besser entsprechende, weniger selbstgerechte und ehrlichere Katechese erwartet.


© imprimatur Oktober 2013
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