Dossier zum neuen Papst Franziskus

Für imprimatur sind der Rücktritt des bisherigen Papstes und die Wahl des neuen Papstes natürlich ein wichtiges Thema. Allerdings haben wir in der Redaktion festgestellt, dass es bei der Fülle der Nachrichten über und von dem neuen Papst Franziskus nicht einfach ist, eine umfassende Berichterstattung zusammenzustellen, die unseren Leserinnen und Lesern hilfreich sein kann, dieses Ereignis angemessen einzuordnen.

Wir haben uns entschlossen, neben unserer eigenen Einschätzung ein Dossier mit Fakten und Meinungen zusammenzustellen, die helfen können, eine erste Einschätzung vorzunehmen.

Kirche – heraus an die Peripherien!
Rede Bergoglios an die Versammlung der Kardinäle, Rom 9. März 2013

Der kubanische Kardinal Jaime Ortega hat das Manuskript der Rede veröffentlicht, die Kardinal Jorge M. Bergoglio während einer der Generalkongregationen im Vor-Konklave gehalten hat und die vermutlich mitentscheidend war für seine Wahl zum Papst. Kardinal Ortega versichert, der Papst habe ihn zu dieser Veröffentlichung autorisiert. Der spanische Wortlaut des Textes findet sich hier: http://www.valoresreligiosos.com.ar/ver_nota.asp?Id=33864

Über die Evangelisierung ist bereits gesprochen worden. Die Kirche ist dazu da zu evangelisieren. „Die innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums“

(Paul VI. – Anm. d. Übers.: Evangelii Nuntiandi 80)

Jesus Christus selbst drängt uns innerlich dazu.

Evangelisieren hat apostolische Leidenschaft zur Voraussetzung.

Evangelisieren setzt voraus, dass die Kirche freimütig aus sich selbst herausgeht. Die Kirche ist dazu aufgerufen, aus sich selber heraus und an die Peripherien zu gehen, nicht nur an die geographischen, sondern auch an die existentiellen Peripherien: jene des Mysteriums der Sünde, des Leidens, der Ungerechtigkeit, der Unkenntnis bzw. der Missachtung des Glaubens, an die Peripherie des Denkens und allen Elends.

Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um zu evangelisieren, bleibt sie nur bei sich selbst und wird krank (vgl. die gekrümmte Frau im Evangelium – Anm d. Übers.: Lk 13,10 ff.). Die Missstände, die sich im Laufe der Zeit in den Institutionen der Kirche gezeigt haben, haben ihren Grund in dieser Selbstbezüglichkeit, in einer Art theologischem Narzissmus.

In der Apokalypse sagt Jesus, er stehe vor der Tür und klopfe an. Offensichtlich bezieht sich der Text darauf, dass er von außen an die Tür klopft, damit er hineinkommen kann….. Aber ich denke jetzt an jene Momente, in denen Jesus von innen klopft, damit wir ihn hinausgehen lassen. Die selbstreferentielle Kirche will Jesus in ihren eigenen Reihen festhalten und nicht hinausgehen lassen.

Wenn die Kirche auf sich selbst bezogen ist, ohne es zu bemerken, glaubt sie, sie selbst besäße das Licht; dann verliert sie ihr „mysterium lunae“ (Anm. d. Übers.: ein Bild der Kirchenväter: Die Kirche ist wie der Mond, der das Licht von der Sonne – Christus – empfängt und weiter gibt – bildet auch den Hintergrund von Lumen gentium) und verfällt der so schrecklichen Misere spiritueller Weltlichkeit (Für de Lubac ist sie die schlimmste Misere, die in der Kirche zum Vorschein kommen kann), jenem Lebensstil, bei dem man sich nur gegenseitig Ehre erweist.

Um es vereinfacht zu sagen: Es gibt zwei Ansichten von der Kirche: die evangelisierende Kirche, die aus sich herausgeht „Gottes Wort voll Ehrfurcht hörend und voll Zuversicht verkündigend“ (Dei Verbum religiose audiens et fidenter proclamans“ –Anm.d. Übers :DV 1) und die verweltlichte Kirche, die in sich, aus sich und für sich selber lebt.

Diese Erkenntnis kann uns die Augen öffnen für mögliche Veränderungen und Reformen, die notwendig sind, um die Seelen zu retten.

Der nächste Papst sollte ein Mensch sein, der von der Kontemplation Jesu Christi und von der Anbetung Jesu Christi aus der Kirche hilft, aus sich heraus und an die
existentiellen Peripherien zu gehen; der der Kirche hilft, eine segensreiche Mutter zu sein und „die innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums“ zu erfahren.

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz

In einem Kommentar schreibt Ludwig Ring-Eifel dazu u.a.:

Vielleicht löst Franziskus ja einen Wettlauf um Bescheidenheit aus, die tiefer reicht. Seine Brandrede im Vorkonklave, in der er eine radikale Richtungsänderung für die Kirche und ein Ende der innerkirchlichen Nabelschau fordert, gab einen Vorgeschmack auf das Kommende. Kein Kleriker, der seinen Auftrag ernst nimmt, kann sich dieser kritischen Analyse und dieser neuen Vision entziehen. Und für Laien gilt Ähnliches. Die Kirche muss endlich wieder begreifen, dass es nicht um sie und ihre innere Befindlichkeit geht. Sie hat einen Auftrag von Jesus Christus. Den soll sie erfüllen und nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen.

Seltsam, dass scheinbar so Nebensächliches wie Prunk, Besitztümer und Machtgehabe plötzlich wichtig wird als Gradmesser für Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Die franziskanische Karte, die der erste Jesuit im Petrusamt ausspielt, sticht in Deutschland noch wirkungsvoller als anderswo. Denn hierzulande unterhöhlte der Vorwurf "Sie predigen Wasser und trinken den Wein!" seit jeher die Glaubwürdigkeit der Kirche. Davon ließ sie sich in Abwehrschlachten zugunsten der eigenen Institution und ihrer Privilegien verstricken. Und das hinderte sie mitunter daran, ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen. Das könnte sich jetzt ändern.


Papst Franziskus in Zitaten

Was sagte Kardinal Jorge Mario Bergoglio, seit kurzem Papst Franziskus, zu den Themen Glaubensverkündigung, Abtreibung und zur gleichgeschlechtlichen Ehe?
Diese Zitate liefern die Antwort!

Gewissheiten:
„Unsere Gewissheiten können zur Mauer werden, zu einem Gefängnis, das den Heiligen Geist gefangen hält. Wer sein Gewissen vom Weg des Volkes Gottes isoliert, kennt nicht die Freude des Heiligen Geistes, die die Hoffnung aufrecht hält. Das ist das Risiko, das das isolierte Gewissen eingeht; das Risiko derer, die sich von der geschlossenen Welt ihres Tarsis (entlegener Ort in der Bibel, bildlich für das Ende der Welt; Anm. d. Red.) über alles beklagen oder sich, wenn sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, in Schlachten stürzen, um letztendlich nur noch mehr mit sich selbst beschäftigt, auf sich selbst konzentriert zu sein.“ (Was ich beim Konsistorium gesagt hätte - Interview mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio, in: 30 Tage, 11/2007)

Traditionalisten:
„Paradoxerweise wandelt man sich gerade dann, wenn man sich treu ist. Man bleibt nicht, wie die Traditionalisten oder die Fundamentalisten, dem Buchstaben treu. Treue ist immer Wandel, Aufkeimen, Wachstum. Der Herr bewirkt Veränderung in dem, der ihm treu ist. Das ist die katholische Glaubenslehre.“ (Was ich beim Konsistorium gesagt hätte)

Glaubensverkündigung:
„Für mich bedeutet apostolischer Mut ein Säen, das Wort säen. Es jenem Mann oder jener Frau vermitteln, für die es gegeben ist. Ihnen die Schönheit des Evangeliums geben, das Staunen der Begegnung mit Jesus ... und zulassen, dass der Heilige Geist den Rest macht.“ (Was ich beim Konsistorium gesagt hätte)

Heiliger Geist:
„Die frühen Theologen haben gesagt, dass die Seele wie eine Art Segelboot ist und der Heilige Geist der Wind, der in die Segel bläst, um das Boot voranzutreiben. Die Impulse und Windschübe sind die Gaben des Geistes. Ohne sein „Anschieben“, ohne seine Gnade kommen wir nicht voran.“ (Was ich beim Konsistorium gesagt hätte)

Laien:
„Ihre Klerikalisierung ist ein Problem. Die Priester klerikalisieren die Laien, und die Laien bitten uns, klerikalisiert zu werden ... Eine sündige Komplizenschaft.“ (Was ich beim Konsistorium gesagt hätte)

Abtreibung:
„Abtreibung ist nie eine Lösung. Wenn man von einer schwangeren Mutter spricht, sprechen wir von zwei Leben: beide müssen geschützt und respektiert werden, weil das Leben ein absoluter Wert ist.“ (nach der Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“, 13. März 2013)

Homo-Ehe:
„Hier wirkt der Neid des Teufels, durch den die Sünde in die Welt kam: ein Neid, der beharrlich das Ebenbild Gottes zu zerstören sucht - Mann und Frau, die den Auftrag erhalten, zu wachsen, sich zu mehren und sich die Erde untertan zu machen. Seien wir nicht naiv: Es geht nicht einfach um einen politischen Kampf, sondern um einen Versuch der Zerstörung des Planes Gottes.“ (Brief zur Senatsabstimmung in Buenos Aires über ein Gesetz zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen und der Adoption durch Homosexuelle, 15. Juli 2010)

Kunst:
„Mein Lieblingsbild? Die „Weiße Kreuzigung“ von Chagall.“ (El Jesuita)

Hölderlin:
„Ich liebe seine Dichtung.“ (El Jesuita)

Tango:
„Tango hat mir sehr gefallen. Als junger Mann habe ich ihn getanzt.“ (El Jesuita)

Verlobte:
„Ja, sie gehörte zu der Gruppe von Freunden, mit denen wir tanzen gingen. Später habe ich meine religiöse Berufung entdeckt.“ (El Jesuita)

Grabspruch:
„Jorge Bergoglio, Priester.“ (El Jesuita)

(kna 14.03.2013 pd)


Interview mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires

„30 Tage“: Die Mission vollbringt also der Heilige Geist?
BERGOGLIO: Die frühen Theologen haben gesagt, dass die Seele wie eine Art Segelboot ist und der Heilige Geist der Wind, der in die Segel bläst, um das Boot voranzutreiben. Die Impulse und Windschübe sind die Gaben des Geistes. Ohne sein „Anschieben“, ohne seine Gnade kommen wir nicht voran. Der Heilige Geist lässt uns in das Geheimnis Gottes eintreten und errettet uns vor der Gefahr einer gnostischen Kirche, einer auto-referentiellen Kirche, und führt uns zur Mission.

Das bedeutet aber auch, dass all unsere funktionellen Lösungen, all unsere konsolidierten Pläne und pastoralen Projekte
über den Haufen geworfen werden …

BERGOGLIO: Ich habe nicht gesagt, dass pastorale Systeme unnötig sind. Im Gegenteil. An sich ist alles, was auf Gottes Wege führen kann, gut. Meinen Priestern habe ich gesagt: „Tut eure Pflicht; die Aufgaben eures Amtes kennt ihr ja, übernehmt eure Verantwortung und lasst dann die Tür offen.“

Unsere Religionssoziologen sagen uns, dass sich der Einfluss einer Pfarrei auf einen Umkreis von 600m erstreckt. In Buenos Aires liegen zwischen einer Pfarrei und der nächsten ca. 2000m. Ich habe den Priestern damals gesagt: „Wenn ihr könnt, mietet eine Garage, und wenn ihr den einen oder anderen disponiblen Laien auftreiben könnt, dann lasst ihn nur machen! Er soll sich um diese Leute hier kümmern, ein bisschen Katechese machen, ja, auch die Kommunion spenden, wenn er darum gebeten wird.“ Ein Pfarrer entgegnete mir: „Aber Pater, wenn wir das tun, kommen die Leute nicht mehr in die Kirche!“ „Na, und?“ meinte ich nur: „Kommen sie denn jetzt zur Messe?“. „Nein“, musste er zugeben. Und wenn schon! Aus sich selbst hinauszugehen bedeutet auch, aus dem Garten seiner eigenen Überzeugungen hinauszugehen, die unüberwindbar werden, wenn sie sich als Hindernis entpuppen und den Horizont verschließen, der Gott ist.

Das gilt auch für die Laien…
BERGOGLIO: Ihre Klerikalisierung ist ein Problem. Die Priester klerikalisieren die Laien, und die Laien bitten uns, klerikalisiert zu werden … Eine sündige Komplizenschaft. Und wenn man bedenkt, dass allein die Taufe genügen könnte. Ich denke an die christlichen Gemeinschaften in Japan, die über 200 Jahre keinen Priester hatten. Als die Missionare zurückkehrten, fanden sie dort alle getauft vor, alle waren kirchlich verheiratet und alle Verstorbenen hatten ein katholisches Begräbnis bekommen. Der Glaube war intakt geblieben dank der Gaben der Gnade, die das Leben dieser Laien, die nur die Taufe empfangen hatten und ihre apostolische Mission allein kraft der Taufe lebten, mit Freude erfüllt hatten. Man darf keine Angst davor haben, allein von Seiner Zärtlichkeit abzuhängen…

Aus einem Interview 2007 in der Zeitschrift „30 Tage“.


Horst Hohmann
Sehr, sehr sympathisch

Trotz aller Rivalitäten zwischen uns Brasilianern und den Argentiniern müssen wir einfach neidlos anerkennen, dass die Herren Kardinäle keinen besseren Nachfolger für Benedikt XVI. hätten finden können. Jorge Mario Bergoglio, bisher Erzbischof von Buenos Aires und jetzt Papst Franziskus, ist ein Glückstreffer.

Der Argentinier war mir auf Anhieb sehr sympathisch: wie er den Zeremonienmeistern des Kirchenstaates ein ums andere Mal vom „Thron“ herunter sprang und sich unters Volk mischte. Wie er bei seiner Amtseinführung die Präsidentinnen Brasiliens und seines Heimatlandes Argentinien herzlich umarmte und auf die Wangen küsste. Wie er einer schwangeren Audienzteilnehmerin aus den USA segnend die Hand auf den Bauch legte und uns allen zu verstehen gab, dass ein Jorge Mario keine Berührungsängste kennt. Wie er in seinen verbeulten, halbhohen schwarzen Schuhe schmunzelnd durch den Päpstlichen Palast marschierte und seinen verdutzten Begleitern kundtat, dass er hier nicht wohnen und arbeiten möchte. Wie er sich für eine bescheidene Wohnung im Gästehaus „Santa Marta“ entschied (wo man immer jemand zum plaudern trifft!) und wie er dadurch nicht nur Joachim Meisner in Köln, sondern auch viele andere konservative Gläubige zu der besorgten Feststellung brachte, „dass der Neue den Laden ja ganz schön aufmischt!“

Großartig fand ich dann aber vor allem, wie Franziskus seine Fünf-Minuten-Ansprache aus dem Vorkonklave dem kubanischen Kardinal Ortega zur Veröffentlichung in der Kirchenzeitung von Havanna überließ, weil er uns vorab schon mal mitteilen wollte, was sich nach seiner festen Überzeugung in der Kirche ändern muss: dass mit der Bunkermentalität Schluss sein muss in der Kirche und mit der Selbstbeweihräucherung der klerikalen Eliten. Schluss mit blutleerer Theologie, die keinen Weg mehr zu den Menschen am Rand der Gesellschaft findet. Schluss mit der krankhaften Sucht, alles und jeden kontrollieren zu müssen.

Wir können es Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, wahrhaftig nicht verübeln, dass er vor einigen Wochen zuversichtlich erklärte, es würde jetzt nach der Wahl des Argentiniers wohl wieder „Spaß machen katholisch zu sein“. Ahnt der Freiburger Erzbischof zusammen mit mir, dass uns der lange ersehnte Klimawandel in der Kirche bevorsteht – wo endlich wieder Fenster und Türen geöffnet werden, wo man sich nicht mehr bespitzelt und gedemütigt fühlen muss, wo man frei sprechen darf, wo Fragen und Kritik erlaubt sind, wo man guten Gewissens wieder das schöne Wort „Kollegialität“ in den Mund nehmen darf!?

Wir Laien vergessen bisweilen, wie schlimm den engsten Mitarbeitern „Seiner Heiligkeit“ in vergangenen Jahrzehnten mitgespielt wurde: wie sie bei römischen Behörden antanzen mussten und niedergebügelt wurden, wie man sie mitunter bis an den Rand der Verzweiflung brachte, wie man sie wie kleine Schuljungen behandelte und sie entmündigte, wie man ihnen beim synodalen Gespräch mit dem Kirchenvolk zynisch in den Rücken fiel und ihre ehrlichen Absichten verhöhnte.

Nicht nur Robert Zollitsch träumt in diesen ersten 100 Tagen des Argentiniers von neuen Umgangsformen in unserer Kirche. Auch die über 700000 katholischen Ordensfrauen tun das. Seit Jahrzehnten zum ersten Mal wurden vor kurzem die rund 800 Vertreterinnen ihrer Dachverbände bei einem einwöchigen Treffen in Rom wieder von einem Papst empfangen – ein Neuanfang, der natürlich den unglaublichen Skandal nicht vergessen lässt, dass sich Johannes Paul II. und Benedikt XVI. lieber mit Persönlichkeiten aus Europas Fürstenhäusern oder mit sonstigen Prominenten trafen als mit „armen Dienstmägden des Herrn“!

Frühestens im Spätherbst 2013 werden wir mehr über die Gestaltungsmöglichkeiten von Papst Franziskus wissen, wenn er seine Regierungsmannschaft vorstellt und die wichtigsten Ziele seiner Amtszeit nennt.

Während Jorge Mario Bergoglio in den kommenden Monaten zusammen mit seinen Beratern das Regierungsprogramm vorbereitet, werden ihm bestimmt aus aller Welt Reformvorschläge unterbreitet. Auch ich erlaube mir hier in aller Bescheidenheit, aus dem fernen Südbrasilien und in guter Nachbarschaft zum Heimatland unseres Papstes einige Bitten vorzutragen.

Erstens: Mach weiter so wie bisher, Jorge Mario. Räum dort auf, wo du glaubst zum Wohl der Gesamtkirche aufräumen zu müssen. Sorge in der Kurie für Transparenz. Zeige ihnen, dass du dir nicht auf der Nase herumtanzen lässt!

Zweitens: Entwickle unter allen Umständen für die sogenannte Glaubensbehörde ein neues Profil. Wichtiger als die „reine Lehre“ sind die Werke, von denen es im Jakobusbrief heißt, dass ohne sie der Glaube tot ist und wir ohne sie aufhören „praktizierende Katholiken“ zu sein. Berufe auf jeden Fall einen neuen Chef der Glaubensbehörde. Von Erzbischof Müller wissen wir (dokumentarisch belegt!) aus seiner Regensburger Zeit, dass er ein notorischer Lügner, Spalter und Ehrabschneider ist und als der „Prototyp eines reaktionären Kirchenfunktionärs“ betrachtet werden muss. Müller ist eine Zumutung fürs Kirchenvolk und für die delikaten Leitungsaufgaben in der Glaubenskongregation absolut ungeeignet

Drittens: Lass Deine „Brüder im Bischofsamt“ spüren, dass sie Entscheidungsspielraum haben und nicht einfach nur Vollzugsbeamte und Hampelmänner von kurialen Einpeitschern sind. Mache es in Rom zur Regel, das die Ortsbischöfe von deinen Regierungsmitgliedern immer nach ihrer Meinung gefragt werden!

Viertens: Bestehe darauf, dass wir die Rolle der Frauen in unserer Kirche völlig neu überdenken und dass Frauen endlich in allen Führungs- und Entscheidungsgremien der Kirche paritätisch vertreten sind und endlich zu einem spürbaren Gegengewicht zur unerträglichen und skandalösen „Männerwirtschaft“ in unserer Glaubensgemeinschaft werden.

Fünftens: Möchte ich dir sagen, dass ich deine Sprache herzerfrischend, prägnant und packend finde. Verdonnere Deine Mitarbeiter in Rom dazu, sprachlich vom „hohen Ross“ runter zu kommen und sich u.a. regelmäßig zu fragen, ob der Mann auf der Straße ihrem „frommen Gesülze“ folgen kann oder nur „Bahnhof“ versteht. Niemals sollte die Sprache in unserer Kirche menschenverachtende und verletzende Formen annehmen! Denn wen packt nicht heiliger Zorn, wenn er ins Gesicht geschlagen wird und anschließend nur ein „Entschuldige, falls es weh getan haben sollte!“ hört?!

PS. Dass Rudolf Voderholzer, der neue Bischof von Regensburg, meint, zwischen Benedikt XVI. und seinen argentinischen Nachfolger passe „lehrmäßig kein Blatt Papier“, zeugt von einer beschämenden Unkenntnis der Schriften und des bisherigen Lebenswerkes von Jorge Mario Bergoglio. Wir hatten eigentlich gehofft, dass uns künftig besserwisserische Belehrungen aus Regensburg erspart bleiben!

Horst Hohmann ist Journalist und regelmäßiger Leser von imprimatur. Er lebt in Brasilien.


Ex-Misereor-Chef Josef Sayer: „Ich kann mir vorstellen, dass Opus Dei und Co. keineswegs erfreut sind über die Wahl von Papst Franziskus.“
Papst steht an der Seite der Armen

Herr Sayer, was halten Sie von der Wahl Jorge Bergoglios zum neuen Papst?
Als ich sah, weißer Rauch nach dem fünften Wahlgang, dachte ich: Oh, das ist viel zu früh für ihn.

Das heißt, Sie hatten Bergoglio als möglichen Papst im Sinn?
Er gehörte zum Kreis meiner Wunschkandidaten. Ich habe ihn auf der Versammlung der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz 2007 in Aparecida vier Wochen lang erlebt. Gleich zu Beginn wurde Bergoglio an die Spitze der Redaktionskommission gewählt, die verantwortlich ist für das Abschlussdokument und damit für ein Zehnjahres-Programm der Kirche in Lateinamerika. Das war ein klarer Vertrauensbeweis seiner Mitbrüder. Die Arbeit hatte er in einem gewählten Gremium zu leisten, in dem so weltoffene und kluge Leute saßen wie Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras oder Carlos Aguillar aus Mexiko, dem derzeitigen Präsidenten des lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM).

Der neue Papst ist ein Teamspieler?
Ja, und er kann auf andere hören, deren Meinungen und Positionen aufnehmen und zum Wohl des Ganzen zusammenführen. Die Konferenz in Aparecida hatte unter dem Mitwirken Bergoglios ganz bewusst den Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“ als Methode gewählt, obwohl einem Teil der Bischöfe das gar nicht passte.

Was soll man denn gegen dieses Vorgehen haben?
Ha, was glauben Sie! Die ganze rechte Szene war dagegen und beharrte darauf, zunächst die kirchliche Lehre darzustellen und daraus Ableitungen für das Leben zu treffen. „Sehen – Urteilen – Handeln“ geht umgekehrt vor: Erst die Situation und das Leben analysieren, also etwa die Lage der Menschen in Lateinamerika. Dann die Situation von der Botschaft des Evangeliums her bedenken. Und schließlich Empfehlungen für die kirchliche Praxis geben.

Welchen Beitrag hat Bergoglio dazu geleistet?
Ich habe aus seinem Mund die schärfste Verurteilung des neoliberalen Wirtschaftsmodells vernommen, die ich bis dahin gehört habe: Diese globale Wirtschaftsordnung braucht die Armen nicht. Sie sind nicht nur Marginalisierte und Ausgeschlossene, sondern lediglich „Abfall“. Diese Aussage mit ihrem klaren Blick für die Realität, für Ungleichheit und Ungerechtigkeit prägt auch das Schlussdokument von Aparecida.

Venezuelas Interims-Präsident Nicolás Maduro ist sich sicher, dass der vor über einer Woche gestorbene venezolanische Staatschef Hugo Chávez bei der Papst-Wahl seine Hände im Spiel hatte. „Wir wissen, dass unser Kommandant (Chávez) in diese Höhen aufgestiegen ist und Christus gegenübersteht. Er muss einen Einfluss auf die Wahl eines südamerikanischen Papstes gehabt haben“, sagte Maduro am Mittwoch in Caracas nachdem feststand, dass der neue Papst aus Lateinamerika stammt.

Wie passt diese Wachheit in sozialen Fragen zu der doktrinären Härte, die aus anderen Worten Bergoglios spricht, etwa zu homosexuellen Partnerschaften?
Langsam! Sie nehmen da eine typisch westliche Sicht ein. Aus afrikanischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Perspektive stehen die sozialen Bedrängnisse der Menschen weit, weit im Vordergrund. Denken Sie daran, dass 870 Millionen Menschen auf der Erde Hunger leiden und viele von ihnen sogar verhungern. Sie haben keine so vernehmbare Lobby wie manche Kritiker, die die katholische Kirche immer so gern als rückständig hinstellen. Dass Bergoglio den Papstnamen Franziskus gewählt hat, ist doch Programm! Er stützt sich nicht auf Vorbilder aus der Papstgeschichte, sondern auf den heiligen Franz von Assisi.

Was entnehmen Sie daraus?
Wenn es jetzt heißt, mit Franziskus verbinde sich vor allem die Tugend der Demut, entgegne ich: In erster Linie war Franz von Assisi derjenige, der das Evangelium in seiner Zeit wieder ins Zentrum rückte, von dort her die Armen neu entdeckte und ins Leben integrierte. Und noch etwas war für den heiligen Franziskus entscheidend: die ganz neue Wertschätzung für die Schöpfung, woraus wir einen nachhaltigen Umgang mit der Natur ableiten. Dass das gerade heute eine Schicksalsfrage der Menschheit ist, brauche ich angesichts von Klimawandel und Ressourcenverschwendung zulasten der armen Länder im Süden kaum zu betonen. Diese Probleme kann der neue Papst mit Nachdruck wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik und Wirtschaft bringen.

Wird er auch den Leitungsstil der katholischen Kirche verändern?
Er hat ja schon damit begonnen. Alles, was er bisher gesagt und getan hat, entsprach nicht dem kurialen Stil, war nicht triumphalistisch, nicht hochfahrend. Ein Mann, der in Buenos Aires mit dem Bus herumgefahren ist, aus dem Bischofspalast in eine ganz normale Wohnung gezogen ist, sich selbst bekocht hat – ein solcher Mann wird doch versuchen, einen neuen Stil in der Kurie einzuführen.

Befürchten Sie nicht, dass er dabei in der Mühle der römischen Kurie zerrieben wird?
Ich vertraue auf seine Menschenkenntnis und die soziale Kompetenz, fähige Leute um sich zu scharen, beginnend mit einem neuen Kardinalstaatssekretär. Papst Franziskus weiß ja ganz genau, dass Reformen der Kurie anstehen und von denen unterstützt werden, die ihn gewählt haben. Ich halte es sogar für einen Vorteil, dass er kein Mann der Kurie ist, sondern von außen kommt. ist von niemandem abhängig und niemandem verpflichtet.

Lateinamerikanische Bischöfe geraten gern in den Verdacht einer unpassenden Nähe zu den Regierungen ihrer Länder. Was wissen Sie über die politische Haltung des neuen Papstes?
Ich weiß, dass er sich mit der jetzigen Regierung Argentiniens angelegt hat. Viele Bischöfe Lateinamerikas sind alles andere als regierungsnah, sondern prangern auf der Basis der katholischen Soziallehre und der Befreiungstheologie Ungerechtigkeit und Ausbeutung an. Natürlich gibt es auch die anschmiegsamen Parteigänger auf Opus-Dei-Linie. Dazu gehört Bergoglio überhaupt nicht. Der Opus-Dei-Kardinal Juan Luis Cipriani aus Lima hatte die Versammlung in Aparecida 2007 ja sogar vorzeitig verlassen, weil er mit verschiedenen Akzenten nicht einverstanden war, zum Beispiel mit der „Option für die Armen“ und den positiven Aussagen der Konferenz über die Basisgemeinden. Und ich kann mir vorstellen, dass Opus Dei und Co. auch heute keineswegs erfreut sind über die Wahl von Papst Franziskus.

Das Gespräch führte Joachim Frank.
Aus: Frankfurter Rundschau vom 14.03.2013


Papst Franzikus, Bischof seiner Diözese Rom

Neue Worte hörten die Kenner der Zeremonie bei der Einführung des Papstes als Bischof von Rom in der Lateranbasilika.

Statt patristisch-liturgischem Text gab es eine Neuschöpfung mit Folgen.

Der Kardinalvikar sagte zum neuen Papst: „Wie der Winzer, der von oben den Weinberg überwacht, bist du in erhöhter Position gesetzt, um das Dir anvertraute Volk zu regieren und zu behüten.“

Beim jetzigen Papst musste Kardinalvikar Agostino Vallini einen neuen Text vorlesen, dass der Papst von diesem „erwählten Ort in der Liebe allen Kirchen vorsteht und mit entschlossener Sanftheit alle auf den Wegen der Heiligkeit führt“.

Die Formulierung macht sich den „Liebesprimat“ zu eigen, wie ihn die orthodoxe Kirche kennt, den allerdings seit Jahrzehnten in der katholischen Kirche auch jene im Mund führen, die das Papsttum schwächen wollen. Es fallen zwei Purale auf: „Kirchen“ und „Wege der Heiligkeit“. „Worte, aus denen das Echo neuer Wege zu hören ist“, wie der Vatikanist Paolo Rodari anmerkte. Unüberhörbar ist die Entschlossenheit von Papst Franziskus, das Papstum neu zu definieren und zwar in zweifacher Hinsicht. Einmal, indem er einmal mehr betonte, dass es wohl einen Primat des Papstes gibt, dass es aber ein Primat der Liebe ist. Zum anderen die klare Absicht, die Leitung der Kirche, dessen vertikale Spitze er ist, horizontal zu erweitern. Die Vertikalität der Kirche soll durch eine Horizontalität ergänzt werden.

Diese Neudefinition der Ekklesiologie ist der bisher deutlichste Punkt des Regierungsprogrammes von Papst Franziskus.


Papst im Jugendgefängnis: „Wo ich Demut lerne“

Franziskus hat am Gründonnerstagabend in der römischen Jugendstrafvollzugsanstalt „Casal del Marmo“ die Abendmahlsmesse gefeiert. „Der Höchste muss den anderen dienen“, sagte der Papst, der bei der Messe „in Coena domini“ zwölf jugendlichen Häftlingen die Füße wusch. „Lasst euch nicht die Hoffnung rauben. Verstanden? Immer voran mit Hoffnung!“

„Vater, warum bist du heute hier hingekommen?“, fragt ihn einer der Jugendlichen – alle waren überrascht, ja fassungslos gewesen nach Ankündigung des hohen Besuchs. „Es war ein Gefühl im Herzen: dort hinzugehen, wo die sind, die mir am besten helfen, demütig zu sein, ein Diener zu sein, wie es ein Bischof sein sollte“, antwortet Jorge Mario Bergoglio, der neue Bischof von Rom. (rv/kna)


Leonardo Boff: Vermutlich verlässt der Papst den Vatikan

Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff vermutet, "dass der Papst den Vatikan verlässt". Ansonsten könne er kaum eine Reform der Kurie durchführen, sagte Boff gegenüber dem Berner Pfarrblatt (23. März). "Der Kopf denkt von dem Ort aus, wo die Füße stehen. Wenn jemand in einem Palast lebt, fängt er an zu denken, wie es die Logik des Palastes verlangt", ist der Mitbegründer der Befreiungstheologie überzeugt.

Draußen, "mitten im Volk", werde Papst Franziskus auf andere Gedanken über die Mission der Kirche in der Welt kommen, so Boff weiter.

Die Tatsache, dass mit der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio ein Mann aus der südlichen Welthalbkugel Papst ist, bietet aus Sicht von Boff die Gelegenheit, "eine neue Phase in der Weltkirche einzuläuten". In der Dritten Welt lebten 60 Prozent aller Katholiken. Es sei deshalb Zeit, "dass der Reichtum dieser peripheren Kirchen zum Allgemeingut für die Weltkirche wird", sagte der Befreiungstheologe.

Boff wurde 1938 als Sohn italienischer Einwanderer in Concordia in Südbrasilien geboren. Er trat 1959 dem Franziskaner-Orden bei, studierte Philosophie und Theologie unter anderem in München. Boff ist Mitbegründer der Befreiungstheologie, die den Kampf gegen Armut und Unterdrückung als Hauptaufgabe der Kirche propagiert. 1985 erteilte ihm der Vatikan ein Rede- und Lehrverbot. 1992 legte Boff sein Priesteramt nieder. Mittlerweile ist der Theologe verheiratet und lebt mit seiner Frau in Petrópolis bei Rio de Janeiro. (kipa/arch/bal/gs)


© imprimatur Juli 2013
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