Paul M. Müller
„Jesus von Nazareth“ kontrovers
Rückfragen an Joseph Ratzinger, LIT VERLAG Dr. W. Hopf Berlin 2007, 2. Auflage, 160 Seiten

Im Vorwort zum ersten Teil seines nunmehr dreibändig vorliegenden Jesusbuches formuliert Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. - auch in Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Methode - seinen Zugang zu der Person des authentischen Jesus: „Für meine Darstellung Jesu bedeutet dies vor allem, dass ich dem Evangelium traue. Natürlich ist all das vorausgesetzt, was uns das Konzil und die moderne Exegese über literarische Gattungen, über Aussageabsicht, über den gemeindlichen Kontext der Evangelien und ihr Sprechen in diesem lebendigen Zusammenhang sagen. Dies alles - so gut ich konnte - aufnehmend, wollte ich doch den Versuch machen, einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den ’historischen Jesus’ im eigentlichen Sinn darzustellen. Ich bin überzeugt und hoffe, auch die Leser können sehen, dass diese Gestalt viel logischer und auch historisch betrachtet viel verständlicher ist als die Rekonstruktionen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten konfrontiert wurden. Ich denke, dass gerade dieser Jesus - der der Evangelien - eine historisch sinnvolle und stimmige Figur ist.“ (S. 20/21)

Offensichtlich ist sich Ratzinger bewusst, dass er - gerade im Kontext seiner Methodendiskussion - mit einer kritischen Reaktion rechnen muss. Fast klingt es, als wolle er diese Kritik dadurch mäßigen, indem er sagt, was zu sagen er nach seiner Meinung eigentlich nicht bräuchte, aber dennoch sagt: „Gewiss brauche ich nicht eigens zu sagen, dass dieses Buch in keiner Weise ein lehramtlicher Akt ist, sondern einzig Ausdruck meines persönlichen Suchens ’nach dem Angesicht des Herrn’ (vgl. Ps 27,8). Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen. Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt“. (S. 22)

Der LIT Verlag greift die von Ratzinger angebotene Freiheit des Widerspruchs in seinem Buch „Jesus von Nazareth kontrovers, Rückfragen an Joseph Ratzinger“ mit einer Reihe von 14 Beiträgen auf, die das Jesusbuch Ratzingers mit unterschiedlichen Aspekten kritisch beleuchten. Drei Beiträge bieten eine Hinführung zu Ratzingers Jesusbuch. Weitere 6 Artikel verstehen sich als „Theologische Rückfragen“ an Ratzingers Jesusbuch auf seinem individuellen Weg der Suche nach dem „authentischen“ und „stimmigen“ Jesus. Schließlich geht es im letzten Teil der kritischen Rückfragen „Jenseits aller Theologie“ um sozialwissenschaftliche und lebensweltliche Stellungnahmen zu Ratzingers Veröffentlichung.

Am 14. April 2007 hat Kardinal Lehmann in einer Pressekonferenz des Verlages Herder eine Einführung in Ratzingers Jesusbuch unter dem Titel „Erste Hinführung zum neuen Buch von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI“ mit viel „Sympathie“ vorgetragen. Dies allerdings nicht ohne auch auf die zu erwartenden Auseinandersetzungen, vor allem mit den Vertretern der historisch-kritischen Bibelauslegung, hinzuweisen. Er zitiert in diesem Zusammenhang den Autor: „Ich hoffe, dass den Lesern aber deutlich wird, dass dieses Buch nicht gegen die moderne Exegese geschrieben ist, sondern in großer Dankbarkeit für das viele, das sie uns geschenkt hat und schenkt“. (S. 5)

Einen Tag vor Kardinal Lehmann hatte Kardinal Schönborn in einer Pressekonferenz im Vatikan das Jesusbuch des Papstes unter dem Titel „Der Papst auf der Agora“ vorgestellt. Er lobt dabei Ratzingers herausragende geistige Leistung: „Im Vordergrund steht die nie ermüdende geistige Auseinandersetzung, die Mühe des Begriffs, die Leidenschaft des objektiven Suchens nach der Wahrheit, die Kraft der Argumente.., das Bemühen, allen Fragenden und Suchenden Rechenschaft zu geben über den Grund der eigenen Hoffnung (vgl. 1 Petr 3,15)“ (S. 10). „Deshalb“, so Schönborn weiter, „begibt sich der Papst auf die Agora, den Platz der öffentlichen Debatte. Auf dem Areopag (vgl. Apg 17,22) der heutigen Meinungsvielfalt trägt er seine Sicht von Jesus vor (S. 10). Schönborn sieht, dass die Rechenschaft, die Joseph Ratzinger
über die eigene Hoffnung ablegt, durchaus subjektiver Natur ist. Er fragt mit dem Autor nach dem, was Jesus denn eigentlich der Menschheit objektiv „gebracht“ habe. Er übernimmt die Antwort Ratzingers: „Jesus hat Gott gebracht und damit die Wahrheit über unser Wohin und Woher“ (S. 15).

Exemplarisch für die „theologischen Rückfragen“ an Ratzingers Jesusbuch sind die Beiträge von Klaus Berger und Karl-Heinz Ohlig. Klaus Berger, emeritierter evangelischer Neutestamentler, titelt seinen Beitrag folgendermaßen: „Kant sowie die ältere protestantische Systematik, Anfragen des Exegeten an Benedikt XVI.“ Berger bekundet eine Form der Zustimmung zu Person und Theologie Joseph Ratzinger, die über die vom Papst erbetene Sympathie hinausgeht: „Alles in allem erscheint J. Ratzinger in seinem Buch als Lehrer der Ausleger, und ich bekenne, dass ich durch das Buch eine Menge dazugelernt habe und der Richtung grundsätzlich und von Herzen zustimme… Mutig und fruchtbar interpretiert der Papst Reich Gottes, Sabbat, Gleichnisse und Seligpreisungen konsequent christologisch“ (S. 38).

Berger macht seine Kritik u.a. an Ratzingers Nähe zur abendländischen Geistestradition, an der Logik von „Aristoteles bis Kant“ fest. Er schreibt: „So sehr ich das Anliegen des Papstes unterstütze, Exegese und Theologie nicht ohne Gott zu treiben, so klar möchte ich auf der anderen Seite für eine Erweiterung seines relativ engen europäischen Begriffs des Denkens votieren… Ich bejahe die Hauptthese des Papstes, Glauben und Vernunft seien vereinbar… Ich bin aber mit Nachdruck für eine Erweiterung des Verstehens… Der Vernunftbegriff Ratzingers ist noch nicht weit genug und daher stellenweise der Bibel noch nicht angemessen“ (S. 39/40).

Karl-Heinz Ohlig, Professor für Religionswissenschaft und Geschichte des Christentums, Universität Saarbrücken, emeritiert seit 2006, nennt seinen Beitrag: „Der Papst schreibt ein theologisches Buch. Soll er das?“. Ohlig stellt den von Ratzinger erbetenen Vorschuss an Sympathie gleich zu Beginn in Frage, weil er befürchtet, dass das Jesusbuch des Papstes allzu leicht zu einem autoritativen Dokument des päpstlichen Lehramtes mutieren könnte: „Warten wir also ab, wie die ausdrücklich eingeräumte Freiheit zum Widerspruch aussehen wird.“ (S. 41) Aber trotz seiner kritischen Grundposition erwähnt er in seiner Rezension eine Reihe positiver Aspekte des Ratzingerbuches: Die angenehme Sprache, das persönliche Bemühen um die Gestalt Jesu, die bemerkenswerte Vertiefung in das Alte und Neue Testament, die Polemik gegen die Einheitsübersetzung und seinen Dienst an der katholischen Theologie (vgl. S. 43).

Dann aber der Widerspruch von Karl-Heinz Ohlig: „Leider aber muss den Thesen dieses Buches widersprochen werden, nicht nur in Details, sondern in sehr grundsätzlicher Weise“: (S. 43) „Der hermeneutische Schlüssel für das Verständnis Jesu ist für Ratzinger das Konzil von Nizäa im Jahre 325 mit seinem Bekenntnis zum Sohn als ’gleichwesentlichem’ Gott“ (S. 44). Und: „Ratzinger liest die Bibel von einem späteren Standpunkt aus, von der hellenistisch-christlichen Theologie her, die er schon in seiner Regensburger Vorlesung zum Maßstab erklärt hat (S. 45).

Auch Karl Heinz Ohlig fragt zum Schluss seiner kritischen Untersuchung mit Ratzinger, was denn Jesus den Menschen gebracht habe, wenn nicht den Weltfrieden oder den allgemeinen Wohlstand. Ratzingers Antwort „er hat Gott gebracht“ reicht ihm nicht. Er beantwortet diese „letzte Frage“ aus seiner Sicht folgendermaßen: „Jesus hat aber zur Hoffnung auf Gott, den er, wie häufig im Frühjudentum, Vater nennt, angestoßen. Diese Hoffnung in seiner Nachfolge macht das Christentum aus“ (S. 46).

„Das Jesus-Buch von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI: ist nicht nur ein mediales Großereignis, sondern eine bewusste Einladung zu kontroverser Diskussion. Ratzingers Sicht auf Bibel und Welt fordert dazu auf, das heute angemessene Jesusbild, den Zusammenhang von Bibelauslegung, Theologie und Wissenschaft sowie die Relevanz der christlichen Gottesrede neu zu bedenken und ggf. kritisch zu hinterfragen.“

Dieser „redaktionellen Notiz“ von Verleger und Lektor zu „Jesus von Nazareth kontrovers“ kann man im Wesentlichen unter der Bedingung zustimmen, dass die von Bendikt XVI. in seinem Jesusbuch erbetene Kritik entsprechend in das weitere theologische Gespräch über Jesus von Nazareth aufgenommen wird. Aber man wird hinzufügen dürfen, was Karl-Heinz Ohlig in seinem Beitrag in „Jesus von Nazareth kontrovers“ eher skeptisch formuliert: „Warten wir also ab, wie die ausdrücklich eingeräumte Freiheit zum Widerspruch aussehen wird“ (S.41).


© imprimatur März 2013
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