«Pfarreiinitiative Schweiz»
Den Unterzeichnern der Pfarreiinitiative drohen personelle Konsequenzen

Die «Pfarreiinitiative Schweiz» zieht über die Schweiz hinaus eine große Aufmerksamkeit auf sich. Neben der österreichischen Initiative, die sich kritisch mit der Lage der Kirche in ihrem Land auseinandersetzt, haben jetzt 464 Seelsorgerinnen und Seelsorger aus der Deutschschweiz einen Text unterzeichnet. Mit dem Text machen sie darauf aufmerksam, dass die seelsorgerliche Praxis in den Pfarreien längst nicht mehr den offiziellen Vorgaben der Kirche entspricht.

Der Churer Bischof Vitus Huonder hat bei den rund 60 Unterzeichnern im Bistum Chur via Weihnachtspost nachgefragt, warum sie die Initiative unterzeichnet hätten und wie sie dazu stehen würden. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen zu ihrem Text und haben am 13. Januar 2013 zum Bischofssitz in Chur eingeladen, wo sie erneut einen Brief übergeben haben, allerdings nicht an den Bischof, der sich nicht zeigte, sondern an seinen Generalvikar, der zu einer schillernden Figur in der Auseinandersetzung wird.

Wir dokumentieren das Grußwort, das ein Mitglied der Sprechergruppe bei diesem Anlass öffentlich verlesen hat:

Grußwort, das Monika Schmid, Mitglied der Sprechergruppe der Pfarrei-Initiative, an den Bischof gerichtet hat anlässlich der Briefübergabe am 13. Januar 2013 beim Bischofssitz in Chur

Liebe Seelsorgerinnen und Seelsorger,
Kolleginnen und Kollegen.
Liebe Katholikinnen und Katholiken,
Mitchristen und Mitchristinnen, die mit uns hier nach Chur gekommen sind,

Ich danke euch, dass ihr da seid, wenn wir nun gemeinsam dem Bischof unsere Anliegen vortragen.

Lieber Herr Bischof!

Wahrscheinlich gegen 60 ihrer engen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zur ältesten Kathedrale der Schweiz – zur Kirche unseres Bistums – gepilgert und möchten Ihnen, wie Sie es gefordert haben, die Motive darlegen, warum sie die Pfarrei-Initiative unterschrieben haben.

Sie, Herr Bischof, haben Ihre Gründe, heute abwesend zu sein. Sie haben andere Prioritäten. Wir wollen uns nicht überschätzen, aber wir glauben, dass allein schon die Tatsache, dass so viele Seelsorge-Verantwortliche und noch viel mehr besorgte Katholikinnen und Katholiken, die Tausende andere repräsentieren, hier anwesend sind, Ihre Prioritäten in Frage stellen. Denn wir sind überzeugt, dass es das Amt eines Bischofs ist, Brückenbauer zu sein.

Vor Ihnen stehen Menschen, denen die Seelsorge in unserer Kirche und ihr Kirche-Sein nicht gleichgültig ist. Gemeinsam haben wir all das mitgebracht, was in unseren Pfarreien selbstverständliche und bewährte Praxis geworden ist, ohne diese, die Seelsorge in den Pfarreien zunehmend verkümmert und Menschen in ihrer Not, Menschen mit ihren Fragen allein gelassen werden. Nicht dass wir so naiv wären zu meinen, es wäre alles gut, wenn die Bischöfe ein Stück Realitätsverweigerung aufgäben und die Dinge so sähen, wie sie sind und dazu stünden, wie sie längst praktiziert werden.

Aber eines glauben wir zu wissen:

Die Kirche ist ein bisschen näher bei den Menschen und steht treuer zur Verkündigung Jesu, wenn sie in ihrer Gemeinschaft auch jene aufnimmt, die durch die Zufälle der Geschichte in einer anderen Kirchengemeinschaft getauft wurden.

Wir stehen Jesus näher, wenn wir Gottes Barmherzigkeit auch für jene Menschen erbitten und zum Ausdruck bringen, deren frühere Ehe gescheitert ist.

Wir stehen Jesus und den Menschen näher, wenn wir auch jene in ihrer Würde voll anerkennen und aufnehmen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben.

Wir stehen Jesu Verkündigung näher, wenn wir uns sein Wort auch von Frauen und Männern deuten lassen, welche die theologischen und spirituellen Voraussetzungen dazu haben, auch ohne eine Weihe.

Wir stehen Jesus und den Menschen näher, wenn wir Kranken die ermutigende Nähe Gottes zusprechen oder versöhnungsbereiten Menschen Zeichen des Heils vermitteln, ungeachtet unseres hierarchischen Status.

Wir stehen Jesus und den Menschen näher, wenn die Orte, wo wir miteinander den Glauben feiern und leben überblickbar bleiben. Anonymität ist der Tod jeder Gemeinschaft.

Wir stehen Jesus näher, wenn wir uns am Evangelium orientieren, als an einer von Menschen gemachten Rechtsstruktur.

Werter Herr Generalvikar Martin Grichting!

Ich habe Sie zu Beginn als Seelsorger angesprochen, zusammen mit allen anderen Seelsorgenden. Ich möchte Sie nun auch als beauftragter Briefträger ansprechen. Wir sind Ihnen dankbar, wenn Sie dem Bischof unsere Anliegen und Motive vortragen. Und weil Sie ja ein Mann des klaren Wortes sind, möchte ich bei dieser Gelegenheit auch unsererseits Klartext reden.

Wir hören von den Bischöfen, dass unsere Pfarrei-Initiative theologisch dürftig sei. Bitte reichen Sie unserem Bischof auch noch diese Frage weiter: Wodurch könnte die pastoral-theologische Dürftigkeit einer kirchlichen Vorschrift unterboten werden, welche unsere Pfarreien eucharistisch aushungert und dem Gebot Jesu „Nehmet und esset!“ direkt widerspricht? Fragen Sie ihn, welche Antwort er geben wird, wenn Jesus zu ihm sagt: „Mich erbarmt des Volkes!“?

Und zum Vorwurf, die Pfarrei-Initiative sei eine Sackgasse. Da kann ich nur sagen: Wir wollen gerade heraus aus der Sackgasse, in die uns andere geführt haben.
Dann aber auch ein paar Fragen an Sie, Herr Generalvikar.

Sie haben kürzlich in der Luzerner Zeitung zu Protokoll gegeben, dass viele der in der Pfarrei-Initiative formulierten “Selbstverständlichkeiten” Übergriffe – ja Sie nennen es so – „Übergriffe in den Bereich der Geweihten“ darstellen. Herr Generalvikar, sind Sie – wenigstens im Nachhinein – nicht doch der Meinung, dass Sie sich da wohl im Dossier vergriffen haben?

Sie haben ferner uns Pastoralassistentinnen und –Assistenten gegenüber menschliches Verständnis dokumentiert, dass wir frustriert seien, weil wesentliche Dinge der Seelsorge an die Weihe gebunden seien. Bitte Herr Generalvikar, schauen Sie uns an: Sehen wir frustriert aus? Wir sind besorgt, ja und auch müde. Doch über eine fehlende Priesterweihe kann man so wenig frustriert sein wie über eine nicht vollzogene Bischofsweihe. Aber eines wollen wir mit allem Nachdruck: Uns wehren gegen die Spirale von Resignation und Schweigen, die hier an diesem Bischofssitz einen Brennpunkt, ja ein Epizentrum hat. Welches Wort Jesu, Herr Generalvikar, gibt Ihnen das Recht für die lebenszerstörende Resignation, in die hinein ganz maßgeblich Sie, viele Katholikinnen und Katholiken treiben?

Sie attestieren uns auch, Herr Generalvikar, dass wir ein Berufsbild verfolgen, dass längst zum Scheitern verurteilt sei. Und Sie begründen es damit, dass das Konzil die Laien in die Welt hinaus gesandt und nicht in die Sakristei gerufen habe. Da möchte ich Sie, Herr Generalvikar, doch mal bitten, aus der bischöflichen Sakristei in die Welt hinaus zu gehen und dort die Menschen zu fragen, ob sie denn in ihren Pfarreien nach dem Verzicht auf Priester auch noch auf uns verzichten möchten. Ich glaube, die Antworten würden Sie überraschen – mal ganz abgesehen davon, dass wir nirgends in unseren zehn Punkten die Ordination verlangen.

Und wenn Sie am Schluss des besagten Interviews meinen: „Daran wird sich nichts ändern!“, dann kann ich nur vermuten, dass Sie auch da noch Überraschungen
überleben werden. Wer auf dem ewigen Eis sitzt und meint, es genüge, dass er sich an eine Scholle klammere, wenn es tief unter ihm rumort und alle Dinge in Fluss geraten, der lebt gefährlich.

Ich schließe mit dem Gebot der Einheit der Kirche, an das uns der Bischof in seinem Info-Mail erinnert hat: Ut unum sint. Wer die Dinge nüchtern betrachtet und nicht den Teufel an die Wand malen will, der weiß, dass unsere Pfarrei-Initiative auch nicht im Entferntesten das Zeug zu einer Kirchenspaltung hat, sonst wäre sie längst eingetreten, weil wir ja nur öffentlich benennen, was längst Praxis ist. Wer in die leidige Geschichte der Kirchenspaltungen blickt, weiß aber auch, dass keine einzige Spaltung verhindert wurde, indem die Kirchenleitung an den Gehorsamsreflex appellierte. Denn dieser heißt ja im Klartext nur: Wir haben Recht, und ihr habt euch zu fügen. So löst man keine Konflikte.

Ut omnes unum sint – dass alle eins seien. Ich habe die Stelle bei Johannes 17 nochmals gelesen. Da kommt kein Gehorsam vor, da kommt kein Bischof vor und da ist von keiner kirchlichen Institution die Rede. Einzig von sich und von seinem Vater spricht Jesus, und von der Liebe zwischen ihnen. Und diese einigende Kraft macht Jesus zum Modell der Einheit unter denen, die an ihn glauben. Die Liebe ist also der Glaubwürdigkeitstest für die Verkündigung und für die Seelsorge.

Sehr geehrter Herr Generalvikar! Ich glaube, in diesem Punkt könnten wir uns finden. Dieses Jesuswort müsste uns einen. Jedenfalls liegt uns sehr viel daran. Das war auch der Grund, warum wir zuerst in der Kathedrale verweilten um zu beten, bevor wir Ihnen unsere Anliegen vortragen.

Beten heißt ja: ein anderer steht über uns, und wir alle, ob einfache Gläubige, Assistentinnen, Diakone, Vikare, Priester oder Episkopen, wir alle neigen uns vor ihm.
In diesem Sinn übergebe ich Ihnen meine Antwort an den Bischof! Und die anderen Seelsorgenden tun es mit mir.

Dazu haben wir ein Buch als Geschenk für den Bischof mitgebracht.

Das Buch von Erzbischof Rouet aus Poitiers (FR) – ein Nachfahre von Bischof Hilarius, der im Jahr 351 den heiligen Martin getauft hat, Martin der heiligmäßige Bischof, durch das Volk berufen.

Das Buch trägt den Titel: „Aufbruch zum Miteinander“. Wie Kirche wieder dialogfähig wird. Mit diesem Geschenk hoffen wir auf einen echten und ehrlichen Dialog, zum Wohle unserer Kirche, dass sie sich immer und ganz zuerst an Jesus, dem Christus orientieren möge.

Monika Schmid, Gemeindeleiterin in Effreikon und Mitglied der Sprechergruppe der Pfarrei-Initiative

Laut Kipa schreibt der Zürcher Journalist Michael Meier dazu in der Zeitschrift "Aufbruch":

"Die Wallfahrt öffnete aber auch vielen die Augen, dass die mutigen Seelsorger womöglich selber Opfer der bischöflichen Pastoral des Ausschlusses werden. In einem unmittelbar nach dem Anlass veröffentlichten Communiqué erklärte der Bischof, dass er auf Personalentscheide verzichte, 'bis das weitere Vorgehen klar ist’. Wichtig sei auch, dass sich die Bischöfe jetzt nicht auseinander dividieren ließen. Bei aller Würde und Feierlichkeit machte der Solidaritäts-Tag letztlich klar, dass Huonder, angespornt von seinem Generalvikar, sich nicht scheuen wird, gegen die Unterzeichner hart durchzugreifen."


© imprimatur März 2013
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