Die Glosse

Ein skandalöses Urteil

Lieber Joseph,

ich halte es fuer einen ausgesprochenen Skandal, dass Paolo Gabriele, der Ex-Butler von Benedikt XVI., zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Dieser unglaubliche Richterspruch hat mich nicht umsonst an Sascha Heil, den Linksaußen meines Heimatvereins SG Helvetia Kerzell, erinnert, der wegen einer läppischen Hakelei vor kurzem die rote Karte sah und für sage und schreibe 6 Spiele gesperrt wurde. Zu Recht haben wir alle gefragt: Wo bleibt da das Augenmaß?! Denn schließlich hat ja nicht jeder Gruppenligaverein für seinen Linksaußen 5 gleichwertige Spieler auf der Bank, die er ersatzweise einwechseln könnte! Solche juristische Nackenschläge haben schon manchem Verein den Klassenerhalt gekostet!

Ja, und genauso wie’s gute Linksaußen nicht wie Sand am Meer gibt, musst du auch einen guten päpstlichen Kammerdiener mit der Lupe suchen. Hat einer der drei Richter des Prozesses im Vatikan auch einmal daran gedacht? Ganz offensichtlich nicht! Sonst hätten sie „Paoletto“, wie er auch von Benedikt XVI. liebevoll genannt wurde, nicht so mir nichts dir nichts in den Knast geschickt!

Paolo Gabriele war ja, wie du weißt, vor seinem Wechsel in den Päpstlichen Palast für die Pflege der Marmorböden im Petersdom zuständig. Diese sollen, wenn man Vatikan-Insidern glauben darf, damals so blitzeblank und staubfrei gewesen sein, dass selbst Johannes Paul II. und sein oberster Glaubenshüter Joseph Ratzinger es manchmal kaum gewagt hätten, ihren Fuß in die Heiligen Hallen zu setzen.

Jetzt, wo der Gänswein und andere Kurienoffizielle bestimmt schon verzweifelt nach einem neuen Kammerdiener für Benedikt XVI. suchen, fällt mir, der ich ja nun wirklich viel rumgekommen bin und viele Leute kenne, gerademal eine einzige Person ein, die für dieses anspruchvolle Amt in Frage käme: mein südtiroler Freund Albert Oberarzbacher aus Issing im Pustertal – einem kleinen Ort unweit von Raas bei Brixen, wo die Oma mütterlicherseits von Joseph Ratzinger das Licht der Welt erblickte. Albert ist ein grundsolider Katholik. Er ist seit über 45 Jahren mit seiner aus dem Ahrntal stammenden Paula verheiratet, ist Vater von vier erwachsenen Kindern und – man höre und staune – war einer der bekanntesten Bodenleger und –pfleger Südtirols (Slogan der Firma Oberarzbacher: „Mit uns haben Sie immer festen Boden unter den Füßen“). Albert ist inzwischen im wohlverdienten Ruhestand. Unter preußischen Touristen, die er zwischen Monte Piano und Drei Zinnen gerne auf die Suche nach „Gemsen-Eiern“ schickt, gilt er als versierter Bergführer. Er spricht fließend Deutsch und Italienisch und hätte somit in keiner der beiden Sprachen Probleme mit schriftlichen Vermerken des Papstes oder dessen Sekretärs, wenn es beispielsweise darum geht, Unterlagen zu vernichten! Meinst du, es wäre sehr vermessen, via Pater Gscheitle meinen Freund Albert bei den Römern für den Butler-Posten ins Gespräch zu bringen?

Doch zurück zum Urteil gegen Paolo Gabriele. Viele Fragen, die zur Entlastung dieses armen und, wie ich finde, völlig unterbezahlten Familienvaters hätten beitragen können, sind im Prozess entweder nur beiläufig oder überhaupt nicht zur Sprache gekommen.

Erstens muss ja wohl mal ganz grundsätzlich die Frage erlaubt sein, ob Schecks und Goldbarren in den päpstlichen Gemächern einfach so herumliegen? Ob selbige da nicht auch mal versehentlich in den Papierkorb wandern könnten und ob dann halt nicht sofort der aus hunderten von Krimis bekannte und eigentlich auch naheliegende Verdacht aufkommt, dass es vermutlich mal wieder der Butler war?!

Wieso hat Paolo Gabriele eigentlich den Scheck über 100.000 Euro (!) und den Goldbarren nicht in einer römischen Filiale der „Banco di Misericordia“ eingelöst und das ganze Geld an einem verlängerten Erste-Klasse-Wochenende in Paris auf den Kopf gehauen? Ganz einfach, mein lieber Freund: weil er kein Schuft ist, sondern ein bis auf die Knochen ehrlicher Mensch, bei dem sich so manche klerikale Kurienangestellte eine Scheibe abschneiden könnten. Fällt es inzwischen selbst im Kirchenstaat nicht mehr ins Gewicht, wenn jemand mit gutem Beispiel vorangeht?!

Natürlich war auch ich zuerst mal richtig schockiert, als es in den Nachrichten hieß, die vatikanischen Gendarmen hätten nach ihrer Durchsuchung 84 (!) Kisten „Diebesgut“ aus Paolo Gabrieles Dienstwohnung abtransportiert! Das ist eine Menge! Und man fragt sich ganz spontan: wie hat „Paoletto“ jeweils nach Feierabend das alles aus dem Päpstlichen Palast raustragen können, ohne bei den Sicherheitskräften Aufsehen zu erregen? Es gibt nach meinem Dafürhalten nur eine Erklärung: Paolo Gabriele war über jeden Verdacht erhaben. Und wenn er gelegentlich mit prall gefüllter Tasche und Rucksack durch die Kontrollen lief, gingen die Beamten wahrscheinlich einfach davon aus, dass der Kammerdiener vom Papst mal wieder eine Gehaltsaufbesserung in Form von Naturalien (Nudeln, Obst, Fleisch und gelegentlich sogar ein paar Flaschen Paulaner) erhalten hatte. Rührend, findest du nicht auch?

Ich komme nun zweitens zu der wohl brisantesten Frage. Warum hatten die Richter für den Ex-Butler immer nur ein herablassendes Lächeln übrig, wenn er behauptete, er habe die ganzen Briefe, Dokumente, Dossiers und sonstigen Unterlagen seiner Heiligkeit allein aus „Fortbildungs-Gründen“ d.h. zu Studienzwecken in seine Wohnung verbracht! Joseph, ist es ein Verbrechen, wenn der Kammerdiener des Papstes wissen will, was seinem Vorgesetzten Kopfzerbrechen bereitet, was ihn manchmal so zornig macht und warum er - öfter als man glauben möchte - seine hochnäsige Diplomatenriege zum Teufel wünscht? Kann man es einem mitfühlenden Menschen (auch wenn er nur ein einfacher Laie ist!) verübeln, wenn er Informationen sammelt, um letztlich Schaden vom Oberhaupt unserer Kirche abzuwenden?! Wir beide (und der Gewerkschafts-Sepp sowieso) wissen doch seit ewigen Zeiten, dass auch im Vatikan machthungrige und perverse Monsignoris immer mal wieder Verschwörungen anzetteln und sich einen Dreck darum scheren, dass dabei das Image der Kirche leidet!

Paolo Gabriele verdient allein schon deshalb Dank und Anerkennung, weil er in vorauseilender Klugheit das getan hat, was Papst, Kurie und Bischöfe weltweit schon lange hätten tun müssen: für größere Transparenz in unserer Kirche zu sorgen, gelegentlich den famosen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen und generell sicherzustellen, dass sowohl die hauptamtlichen Kirchenbediensteten als auch das Kirchenvolk insgesamt wissen, wo die Glocken hängen. Ich schäme mich immer, wenn ich von Mitarbeitern bei Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar höre, dass sie periodisch auf Fortbildungskurse für neueste Waffentechnik (hauptsächlich in der Schnellfeuergewehr-Branche!) geschickt werden, oder dass es bei der Deutschen Bank in Frankfurt a. Main ganz selbstverständlich ist, die Investmentbanker des Hauses wenigstens einmal pro Jahr mit den jüngsten Entwicklungen auf dem notorischen Wertpapiermarkt (wo ja saubere Geschäfte eher zur Ausnahme gehören) vertraut zu machen!

Es hat mich tief beeindruckt, wie „Paoletto“ mit fast schon kindlicher Einfalt unser aller Wunsch aufgriff, auch kirchen-intern künftig wieder häufiger mit offenen Karten zu spielen – wie man es halt in einer normalen Familie gewohnt ist.

Abwegig war es auf keinen Fall – das wollte ich drittens hier noch erwähnen, dass der Ex-Kammerdiener von Benedikt XVI. zwischendurch u.a. wissen wollte, wie hoch das „Sicherheitsrisiko“ eines Menschen ist, der – wie er selbst – an so exponierter Stelle tätig ist. Auch wenn Paolo Gabriele bei Papstreisen in den Nahen Osten, nach Mexiko, nach Deutschland oder in die Türkei vorne im Papamobile immer hinter Panzerglas saß, hätte es ihn bei einem eventuellen Anschlag zusammen mit seiner Heiligkeit doch ganz bös erwischen können. Hat er dafür eigentlich bei der Gehaltsabrechnung je einen Gefahrenzuschlag bekommen – so wie zum Beispiel meine Frau Margarete, die hier in Curitiba in einem Notfall-Krankenhaus arbeitet und dort ständig mit Aids- und Tuberkulose-Kranken sowie mit angeschossenen Verbrechern aus dem Drogen- und Zuhälter-Milieu zu tun hat?! Sie kriegt monatlich zusätzlich 320 Reais (rund 115 Euro – womit du dir natürlich auch keinen Sarg kaufen kannst).
Statt Paolo Gabriele zu eineinhalb Jahren Haft zu verurteilen, wäre es gerade jetzt, zu Beginn des am 11. Oktober 2012 eröffneten „Jahr des Glaubens“, eigentlich naheliegend gewesen, dass Benedikt XVI. dem Ex-Butler, den er ja „wie einen Sohn geliebt“ hat, ohne irgendwelche Bedingungen drei „vollständige Ablässe“ erteilt, damit er (ein später „Lastenausgleich“ sozusagen!) nach seinem Ableben hier auf Erden nicht erst noch groß im Fegefeuer rumsitzen muss, sondern gleich in den Himmel kommt?!

Lieber Joseph,

beste Grüsse an Dich und die anderen Mitstreiter in St. Korbinian sowie im Kleinhandwerkerverein von Rauschheim sendet - mitten aus dem subtropischen Frühlingserwachen - Dein Horst Hohmann!

(Horst Hohmann ist ein alter Freund unseres Glossenschreibers Joseph Bier. Er ist katholischer Journalist im Ruhestand und wohnt seit 2005 mit seiner Familie in Curitiba/Brasilien)


© imprimatur Dezember 2012
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden: