Ferdinand Kerstiens
Hoffen und Widerstehen!
Zeichen der Zeit 1962 / 2012
Konziliare Versammlung vom 18.-21. Oktober 2012 in Frankfurt/Main


Es war ein Wagnis: Vor etwa einem Jahr traf sich eine kleine Gruppe rund um das ITP (Institut für Theologie und Politik) in Münster, zu der auch ich gehören durfte. Es ging darum, den 50-jährigen Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils zu feiern und seine Interpretation nicht der Hierarchie zu überlassen. Bald war der Titel gefunden: Konziliare Versammlung. Es ging nicht um eine Veranstaltung, von wenigen organisiert mit vielen TeilnehmerInnen, sondern um eine Versammlung engagierter Menschen und Gruppen von unten, die im Sinne des Konzils, vor allem der Pastoralen Konstitution über „die Kirche in der Welt von heute“ ihr Engagement verstehen. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Ausgegrenzten, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jüngerinnen und Jünger Christi.“ (GS 1,1) Im Mittelpunkt standen also die Armen und Ausgegrenzten aller Art und die Solidarität mit ihnen als Zeichen des anbrechenden Reiches Gottes.

Teilnehmende Gruppen und Redner

Bald waren auch die großen kirchenreformerischen Gruppen gefunden, die das Anliegen mit trugen: IKvu, Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ und die LIP,
Ökumene 2017, dazu mehr als 25 andere soziale und kirchenreformerische Gruppen.

Es blieb ein Wagnis: Die ganze Organisation musste ehrenamtlich geschehen: inhaltliche Konzeption, Gäste einladen, Räume organisieren, Übernachtung, Verpflegung. Kein Büro stand zur Verfügung. Die Finanzierung musste gesichert werden: Spenden und Teilnehmerbeiträge. Wer mitarbeitete, musste auch noch zahlen. So sieht Solidarität auch aus. In Frankfurt wurde der Saalbau Gallus gefunden, in dem auch 1962-1964 die Auschwitz-Prozesse stattfanden. Die dort zuständigen katholischen Gemeinden St. Gallus und Maria Hilf, sowie die evangelische Gemeinde an der Friedenskirche stellten ihre Räume zur Verfügung, dazu auch ihre vielfältige organisatorische Mitarbeit. Eine kleine Gruppe in Münster und eine große in Frankfurt trafen sich fast monatlich.

Das Konzept: Die Abendveranstaltungen und der Sonntagmorgen sind für das Plenum gedacht, aber Freitag und Samstag, vormittags und nachmittags werden Werkstätten angeboten, die die beteiligten Gruppen, Initiativen und Personen anbieten und selber gestalten. Gäste aus Italien, Österreich, Holland, Frankreich, Brasilien, Afrika und den USA sorgten für die internationale Perspektive.

Für den ersten Abend hatten wir die Paulskirche gewählt und uns nicht hinter Kirchenmauern versteckt. Wir wollten mit Paulus auf die Agora, in die öffentliche Auseinandersetzung um den rechten Weg der Kirche heute, sowie an die Freiheits- und Demokratietradition in Deutschland und an den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels anknüpfen. Die Paulskirche war mit über 900 TeilnehmerInnen gefüllt. Etliche mussten noch zum Gallus-Saal verwiesen werden, wohin die Veranstaltung übertragen wurde.

Beeindruckend Bischof Luigi Bettazzi aus Italien, der auch viele Jahre der Internationale Präsident von pax christi war. Er sprach hier mit 88 Jahren als einer der letzten noch lebenden Unterzeichner des Katakombenpaktes für eine arme Kirche an der Seite der Armen und eine einfache Lebensführung der Bischöfe ohne Gold und Silber bei den bischöflichen Insignien und Gewändern, ohne eigene Macht oder Koalition mit den Mächtigen und Reichen. Er kam mit einer Gehhilfe und bemerkte launisch dazu: „Da seht ihr es: Im Alter wird der Bischofsstab halbiert.“ Auch in einer Werkstatt erläuterte er seinen Lebensweg und stand für seine Hoffnung, dass die Kirche sich wieder mehr an Jesus orientiere. Es war eine bewegende Begegnung mit ihm.

Der nächste Redner war Hans Küng. (Dokumentiert in dieser Ausgabe). Es war vielleicht sein letzter öffentlicher Auftritt. Etwas schwankend stieg er aufs Podium und manchmal schien es, als suchte er die Worte. Er rief dazu auf, selber zu handeln und gemeinsam voranzugehen, auch mit Zwischenlösungen und Kompromissen, und der Macht der Hoffnung zu Vertrauen. „Ich habe ‚die Träume meiner Jugend nicht verraten’: nicht den Traum von einer Erneuerung der Kirche und einer Einheit der christlichen Kirchen, nicht den Traum vom Frieden zwischen den Religionen und Zivilisationen und nicht den Traum von einer echten Gemeinschaft der Nationen.“ Sein Vermächtnis an uns: „Lassen Sie sich bei allen Enttäuschungen nicht entmutigen. Kämpfen Sie zäh und tapfer weiter in vertrauendem Glauben und bewahren Sie angesichts aller Trägheit, Torheit und Resignation die Hoffnung auf eine Kirche, die wieder mehr aus dem Evangelium Jesu Christi lebt und handelt. Und vergessen Sie bei allem Zorn, Streit und Protest die Liebe nicht!“ Lang anhaltender Beifall dankte ihm nicht nur für die Rede, sondern für seinen lebenslangen Einsatz für eine jesusnahe Kirche.

Bewusst war auch Susan George eingeladen, eine der Mitgründerinnen von Attac, um von außen einen Blick auf unsere Gesellschaft und auf die Kirche zu werfen. Sie kritisierte die europäische Sparpolitik, die den Banken diene und die Armen noch ärmer mache. Es sei „ein System, das Unschuldige bestraft und die Schuldigen freispricht“. Das dürften gerade Christen nicht hinnehmen. Jesus habe die Geldwechsler aus dem Vorhof des Tempels vertrieben. „Heute sitzen diese Leute mitten im Tempel selbst.“ Ein Rundgespräch zwischen Magdalene Bußmann, Ida Raming und Magdalene Holztrattner über die unterschiedlichen feministischen und befreiungstheologischen Forderungen an Kirche und Gesellschaft rundete den Eröffnungsabend ab. Damit war der Rahmen abgesteckt, in dem sich die jesusnahe Kirche an der Seite der Armen zu bewähren hat.

Am Freitagabend sprach zuerst der jüdische Pädagogik-Professor Micha Brumlik über das Erbe von Auschwitz in dem Saal der Auschwitzprozesse. Dann schloss sich ein Rundgespräch an über die Kirche, die wir suchen. Die feministische Theologin Elisabeth Schüssler-Fiorenza aus den USA forderte eine Kirche der Frauen. Michael Jäger sprach von der Angst, einer weitgehenden Lähmung und inneren Leere in der Gesellschaft und forderte die Kirchen auf, aus der Mitte ihres Glaubens heraus diese Angst und Lähmung zu überwinden und sich damit in die Gesellschaft einzumischen, auch wenn sie dabei Niederlagen erleiden würde. Helmut Schüller, der Initiator der österreichischen Pfarrerinitiative, erläuterte den Aufruf zum Ungehorsam, wenn kirchliche Gesetze einen evangeliumsgemäßen Dienst an den Menschen verhinderten.

Werkstätten und Außenaktivitäten

Doch die Hauptsache waren die Werkstätten am Freitag und Samstag. Es kam ein Angebot von über 50 Werkstätten zustande mit theologischen, ökumenischen, interreligiösen, kirchenkritischen, feministischen, sozialen und politischen Themen. Die Fülle der unterschiedlichen Themen kann hier nicht dargestellt und gewürdigt werden. In den verschiedenen Ansätzen der aktiven Gruppen, die einfach das tun, was ihnen möglich ist und als nötig erscheint, ohne Rücksicht auf hierarchische Bevormundungen, zeigte sich die Vielfalt des Engagements. Die Werkstätten fanden fast alle über die Initiatoren hinaus viele Interessierte zum Mitdenken und Mithandeln.

Erwähnen möchte ich hier nur die verschiedenen Außenaktivitäten: Die Aktion „Ökumene 2017“, die Frankfurter attac-Gruppe, Susan George und Gregor Böckermann von den Ordensleuten für den Frieden veranstalteten am Freitag mit 100 TeilnehmerInnen eine Demonstration vor der Deutschen Bank.

Am Samstag gab es eine alternative Stadtführung „Arm und Reich“ in Frankfurt, dicht nebeneinander. Ferner: Ein Besuch im ehemaligen KZ Katzbach in den Adlerwerken im Gallusviertel mit einem Marsch des Erinnerns entlang des historischen Todesmarsches der KZ-Gefangenen. Auch eine Moschee wurde besucht. Die beteiligten katholischen Gemeinden führten durch den sozialen Brennpunkt Gallus-Viertel mit über hundert Nationalitäten und erläuterten die kirchliche soziale Arbeit. Diese Werkstätten waren wie die ganzen Tage geprägt von einer politischen Spiritualität, von intensivem Zuhören und Mitdenken, aber zugleich auch von einer herzlichen Offenheit und Bereitschaft, die Argumente der anderen ernst zu nehmen, vor allem aber die Menschen in ihrer Not, ihrem Ausgegrenztsein wahrzunehmen.

Liturgisches Fest

Diese Spiritualität spiegelte sich vor allem in dem kommunikativen „Liturgischen Fest“, der Eucharistiefeier am Samstagabend unter der Leitung von Norbert Arntz, Annegret Laakmann und Thomas Quast von der Musikgruppe Ruhana, die den Gottesdienst mit gestaltete. Auch der Sonntagmorgen, die Abschlussveranstaltung, war von dieser Spiritualität geprägt, vor allem in der mühsamen Veränderung des vorgelegten Entwurfs für eine „Botschaft von Frankfurt“, in die die unterschiedlichen Anliegen demokratisch mit 500 TeilnehmerInnen diskutiert und eingearbeitet wurden, ein erstaunlicher Vorgang, der dann alle nach einem Imbiss und vielen Verabschiedungen von alten und neuen FreundInnen nach Hause entließ (Wortlaut der Botschaft siehe nächster Beitrag).

Eine gelungene Unternehmung

Kurzum: Das Wagnis ist gelungen! 500 DauerteilnehmerInnen harrten aus bis zum Sonntagmittag. Manche der Veranstalter sagten hinterher: Es war wie ein Wunder, besser, als ich gedacht habe. Dazu trug auch das Wetter bei: Sonne und Wärme. Dank an alle, die an der Konzeption und Organisation mitgearbeitet haben! Wie es weitergehen wird, müssen weitere Gespräche ergeben. Sicher wird es hier und auch in Rom mehrere Versammlungen und Aktionen geben, die den Weg des Konzils heute weiter gehen wollen.

Ich darf vielleicht auch persönlich anfügen: Ich traf viele Leute wieder, die ich aus früheren Zusammenhängen kannte und manchmal seit 40 Jahren wieder sah; KSG Münster, KDSE, Freckenhorster Kreis, Bensberger Kreis, AK Halle, IKvu, Kirchenvolksbewegung, Pax Christi. Öfters musste ich nach dem Namen fragen: ein Stück meiner Lebensgeschichte war anwesend, Menschen, die ihrem Engagement treu geblieben waren. Dafür bin ich dankbar.


© imprimatur Dezember 2012
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