Paul Winninger
Mitren, Titel, Purpur…
Der Klerikalismus feiert im Vatikan fröhliche Urständ.

Der Autor hat in seinem Überblick über die Geschichte des Klerikalismus die These vertreten, dass dieser in der Gegenwart auf der Ebene der Pfarreien – zumindest in Frankreich – im Niedergang begriffen, ja eigentlich überwunden sei (vgl. imprimatur 6/2012, S. 250 – 254). Man kann sich fragen, ob diese Diagnose auch für Deutschland mit seinen doch recht verschiedenen kirchlichen Verhältnissen zutrifft; man denke nur an die Kirchensteuer – und die neueste Debatte darüber -, die es in Frankreich in dieser Form nicht gibt.

P. Winninger sieht aber auch, dass der Klerikalismus in Rom, also auf weltkirchlicher Ebene keineswegs überwunden ist. Im Gegenteil! Er macht das an der Konjunktur von Ehrentiteln, äußeren Distinktionszeichen für unterschiedliche Grade innerhalb des Klerus, roten Schuhen des Pontifex Maximus usw. fest. Wir drucken nachfolgend auch diesen Abschnitt in deutscher Übersetzung, denn das Thema ist leider von andauernder Aktualität:

Als Anfang 2012 wieder mal Priester aus dem Bistum Trier zu „Kaplänen Seiner Heiligkeit“ ernannt wurden, hat Heribert Hürter diesen regelmäßig wiederkehrenden Titelrausch, die „Monsignoritis“ als Ausdruck von Konformismus in der Kirche analysiert und gehörig persifliert (vgl. Die Monsignoritis breitet sich aus, imprimatur 1/2012, S. 27). Sogar das Bistumsblatt Paulinus sah sich in seiner Ausgabe vom 23. September 2012 genötigt, auf die Anfrage, welchen Sinn die Verleihung besonderer Ehrentitel an Priester habe, den emeritierten Offizial des Erzbistums Freiburg antworten zu lassen. Unter der Überschrift „Kein dringendes Problem“ – warum räumt man ihm dann so viel Raum ein? – windet sich der Autor in geradezu Mitleid erregender Weise. Immerhin gibt er zu, dass man „die Zeitgemäßheit durchaus hinterfragen“ kann – nachdem er zuvor mit Verweis auf Mt 20,20 f. (Vom Herrschen und vom Dienen) zu Recht festgehalten hat, dass Jesus solchen Ehrentiteln „eher ablehnend“ gegenüber gestanden hätte. Es geht also nicht nur um Zeitgemäßheit, sondern um Evangeliumsgemäßheit!

Und vielleicht sind die Ehrentitel mit allem Karnevalesken, was dranhängt (zum Beispiel „die Erlaubnis, eine violett verzierte oder ganz violette Soutane mit violettem Zingulum zu tragen“) doch ein „dringendes Thema“ angesichts des elenden Ansehens, das die Kirche in der profanen Öffentlichkeit genießt. Red.

Im Bischofsrang des Weihesakraments gibt es leider nach wie vor eklatante Widersprüche zum und Sünden gegen den nackten, dornengekrönten und gekreuzigten Jesus: der menschlich groteske und spirituell blasphemische Exhibitionismus von Mitren, Titeln und Purpur u. ä. Sie schlagen dem Evangelium geradezu ins Gesicht, entstellen Christus und machen eine Neuevangelisierung unmöglich. Sogar weltliche Autoritäten und Amtsträger zeigen, aufs Ganze gesehen, keine solchen Geschmacksverirrungen. Dieser Firlefanz ist in der Kirche recht spät aufgekommen, die Mitra etwa erst seit dem 11./ 12. Jahrhundert, im Zusammenhang mit dem wachsenden Reichtum und Machtzuwachs. Später hat der Papst, symbolisiert durch die Tiara, mehr Autorität als selbst der Kaiser beansprucht. Papst Paul VI. hat sie schließlich (1964) abgelegt. Doch ihre runde, dem Kopf angemessene Form hat weniger schockiert als die Mitra, die übrigens anfangs dieselbe Form hatte. Sie wurde dann aber geöffnet, wie die zwei Kiefer eines Krokodilmauls, das nach seiner Beute schnappt. Man sollte zur ursprünglichen, runden Form zurückkommen, wie bei den Orthodoxen, und der Extravaganz ein Ende setzen.

Was den Purpur der Käppchen, Birette, Zingula, Gürtelschnüre und –binden, Mäntelchen und Schulterumhänge, Halstücher und Schleppen, ja sogar der Knöpfe an den Soutanen betrifft - er wird vom Papst sakralisiert, gleichsam zu einem Sakrament erhoben, wenn er einem neuen Kardinal das Birett auf den Kopf setzt mit den Worten: „Empfange diesen Purpur als Zeichen der Würde und des Dienstes eines Kardinals. Er bedeutet, dass du bereit bist, ihn zu erfüllen bis zur Hingabe deines Blutes zur Ausbreitung des Glaubens“. Die Psychoanalyse bietet eine andere Deutung an: diese Eitelkeiten sind Kompensationen für die wegen des Zölibats entgangenen Befriedigungen. Unsere Kardinäle und Bischöfe sind – davon gehen wir mal im Allgemeinen aus – Persönlichkeiten von hoher menschlicher und christlicher Qualität. Wie kommen sie dazu, sich selbst zu desavouieren durch diese offenkundigen Zeichen von Stolz und menschlich - christlicher Unreife?

In der Hierarchie, hauptsächlich im Vatikan, ist der Klerikalismus also noch lebendig, im Gegensatz zu seinem - glücklicherweise – Absterben in unseren Pfarreien. Wie lange noch?

Dieser Missbrauch des Evangeliums in Verachtung Christi und im Rückstand gegenüber der geschichtlichen Entwicklung kann im Westen nicht weiter andauern.


© imprimatur Dezember 2012
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