Wunibald Müller hat einen Traum
Wir zitieren aus seiner Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Münster 2012

„Für einen katholischen Theologen ist die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Münster vergleichbar mit der Verleihung des Oscars. Im Unterschied zu den Oscarpreisträgern weiß ich schon seit einiger Zeit, dass mir diese Ehre bevorsteht und muss jetzt nicht überrascht wirkend auf die Bühne springen und von Dankbarkeit überwältigt vom größten Tag meines Leben sprechen. Das muss und werde ich nicht tun. ……“

Seine Sicht der Kirche

„Weil das meine Kirche ist und ich will, dass sie meine Kirche bleibt, war es daher für mich immer wichtig und ist es mir heute noch wichtiger, dass ich das ins Wort bringe, was ich für richtig und wichtig erachte, von dem ich überzeugt bin. Ich mich ohne Angst in dieser Kirche bewege. Ich mich von niemandem davon abhalten lasse, auch nicht von einem Papst oder einem Bischof, das zu sagen, was ich als Wahrheit erkenne. Ich im Bewusstsein des königlichen Priestertums, an dem ich als Getaufter teilhabe, dann, wenn es notwendig ist, den Mut habe, in Liebe und Respekt zu widersprechen, mich mit meinen Mitchristen zu streiten, zu denen dann auch meine Brüder Bischöfe gehören. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kirche nur dann eine Chance hat, wenn wir als Christen und Christinnen den Mut haben zu sagen, was wir als Wahrheit erkennen, aufstehen, uns melden, widersprechen, miteinander streiten – in gegenseitigem Respekt. Die Apostel und die Ältesten haben uns das doch vorgemacht wie wir in der Apostelgeschichte erfahren. Sie haben miteinander gerungen und gestritten und dabei die Erfahrung gemacht, dass der heilige Geist gerade auch in der Auseinandersetzung, in der Spannung seine Chance hat, zum Zuge zu kommen.

Dass man mich nicht falsch versteht. Als katholischer Christ bin ich für den Papst, die Bischöfe, die Priester. Ihnen kommt zum Beispiel durch die Weihevollmacht eine ganz eigene Rolle zu. Allein sie können sich doch um Gottes willen, wirklich Gottes wegen, nicht über die anderen, die so genannten Laien, stellen, ihre Eigenarten und Vorlieben, die ihnen persönlich zugestanden sein mögen, zur Norm erklären, so als seien diese mitgeweiht worden und jetzt für alle bindend. Nein! Wenn es Diözesen gibt, in denen Mitarbeitern gedroht wird, wenn sie sich nicht an kirchliche Vorstellungen halten, in denen ein Klima der Angst und des Denunziantentums herrscht, in denen anscheinend im Namen des Evangeliums der Dialog verweigert, die brüderliche und schwesterliche Konfrontation als Majestätsbeleidigung gewertet, mit Ausgrenzung geahndet wird – ja, dann und da wird die Kirche nicht als Widerschein des Evangeliums erlebt.

Wir müssen den Mut haben, ein klerikales Verhalten, das immer noch meint, von oben nach unten schalten und walten zu können, zu unterlaufen und nicht länger zu akzeptieren, sofern sich dieses klerikale Verhalten letztlich als eine Kaschierung von Lieblosigkeit erweist, die mit einem spirituellen Mantel überdeckt wird und dann auch noch als Willen Gottes deklariert wird.

Wenn ich von klerikalem Verhalten spreche, meine ich eine Einstellung und Verhaltensweise, für die ein bestimmtes Denken und eine entsprechende Verhaltensweise typisch sind. Das heißt, klerikales Verhalten beschränkt nicht auf die so genannten Kleriker und ihr Verhalten. Wir entdecken es auch unter Medizinern, Juristen oder den so genannten Laien. Auch kann man nicht von vorneherein alle Kleriker mit klerikalem Verhalten in einen Zusammenhang bringen, da es natürlich sehr wohl Kleriker gibt, die alles andere denn ein klerikales Verhalten an den Tag legen. (5)

Klerikales Gebaren und Verhalten kann sich darin zeigen, dass diejenigen, die für andere da sind, den wirklichen Kontakt zu denen, für die sie da sein sollen, verloren haben. Es gibt in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes keinen Kontakt, da ein Gefälle in der Beziehung entstanden ist, bei dem die einen die „oben“, die anderen die „unten“ sind. Im Umgang miteinander kann das dazu führen, dass die Person, die sich oben befindet, die Person, die sich unten befindet, entpersönlicht, zu einem Objekt macht. Sie wird zu einem Geringeren gemacht, ihre Würde nicht länger gewürdigt. Eine echte Beziehung ist nicht länger möglich. Die Rolle dominiert die Interaktion.

Ein klerikales Verhalten liegt weiter vor, wenn der, der „oben“ ist, sich für etwas Besonderes hält beziehungsweise ihm eine Sonderrolle zugestanden wird und dieser daraus ableitend ein Anspruchsdenken an den Tag legt, das dazu führt, dass ihm Privilegien zugestanden werden, die ihn von den anderen nicht nur unterscheiden, sondern auch abheben. Dazu kann kommen, dass ihm im Unterschied zu anderen zugestanden wird, dass das, was er tut, undurchsichtig bleiben kann, Entscheidungsvorgänge unter sich und seinesgleichen ausgehandelt werden und Verbindlichkeit von ihm weniger eingefordert werden kann als von jenen, die nicht zur Gruppe der von „oben“ gehören.

Ein entscheidendes oder sogar das entscheidende Kennzeichen klerikalen Verhaltens ist: Es fehlt an der Liebe. Diese ist von der Ideologie, der absoluten Wahrheit, die höher eingeschätzt wird als die Liebe, abgelöst worden. Das Verfolgen dessen, was anscheinend oder angeblich wichtig ist, erlaubt es gegen die Liebe zu verstoßen. Dabei scheut man sich nicht davor, im religiösen Kontext sein liebloses Verhalten spirituell zu überhöhen oder spirituell zu kaschieren. Die herausgehobene Position wird dazu gebraucht und missbraucht, um der Durchsetzung der Wahrheit, der „heiligen Sache“ Nachdruck zu verleihen. …“

Der Dialogprozess ein Flop?

„Der in Mannheim begonnene Dialogprozess ist ein guter und gut gemeinter Anfang, aber ein Dialog auf Augenhöhe ist das noch nicht. Ich sage das in allem Respekt vor Bischöfen wie Robert Zollitsch, Fanz-Josef Bode, Joachim Wanke, Ludwig Schick oder Karl Lehmann und anderen. Diese Bischöfe und führende Katholiken wie Alois Glück sollten wir unterstützen, auch wenn, wie ich allenthalben feststellen muss, immer weniger diesem Mannheimer Projekt eine echte Chance einräumen, wirklich etwas zu bewegen, ja die Stimmen sich mehren, die von einem Flop reden.

Bei einem Dialog auf Augenhöhe würde ich meinen Brüdern im Bischofsamt sagen:

Liebe Brüder!

Ich weiß nicht, ob ihr uns das glaubt, aber wir würden uns gerne einfach vertrauensvoll auf euch, unsere Brüder, die ihr ein Hirtenamt innehabt, einlassen. Das, was ihr sagt, manchmal auch fordert, beherzigen. Mit euch arbeiten in einer Kirche, die wir als Gemeinschaft erleben. Eine Kirche, die sich selbst als Gottes Kirche versteht und in der und durch die ja – oh, das wünschen wir uns so sehr – Christus als Lumen gentium, als Licht der Völker aufstrahlt. In der das österliche Lied zum Klingen kommt.

Aber, so mein Eindruck, irgendetwas steht zwischen euch und uns, jedenfalls bei einigen von euch. Kann es sein, dass manche von euch, liebe Brüder, offensichtlich immer noch glauben, uns von oben herab behandeln zu müssen. Ist das jenen unter euch, auf die das zutrifft, überhaupt bewusst? Was glaubt ihr, wer ihr seid? Ihr seid doch unsere Brüder! Und nicht unsere Herrscher. Da kann es doch nicht wahr sein, dass ihr auf uns herabschaut und glaubt, uns einfach euere Vorgaben vorlegen zu können, die wir dann zu erfüllen haben. Wir sind Brüder und Schwestern! Und als Brüder und Schwestern müssen wir brüderlich, schwesterlich, geschwisterlich miteinander umgehen. Auch, weil wir uns - ihr uns, wir euch – gegenseitig brauchen, gerade auch jetzt, wo es darum geht, dass wir miteinander, ich betone miteinander, schauen müssen, wie es weitergeht mit unserer Kirche.

Das aber setzt voraus, dass wir miteinander reden, diskutieren, streiten, gemeinsam nach dem richtigen Weg schauen. Gemeinsam und auf Augenhöhe. Merkt ihr nicht, wie weit weg manche von euch von uns sind, unserer Wirklichkeit, unseren Nöten. Dem, was uns bewegt? Habt ihr vergessen, dass nicht ihr oder der Papst der Lenker und Leiter unserer Gemeinschaft, die sich Kirche nennt, seid, sondern der Heilige Geist? Der Heilige Geist, der ganz sicher durch euch spricht, aber auch durch uns. Habt ihr das vergessen? Wir freuen uns, in euch Brüder zu haben, die ein besonderes Amt innehaben, die einen wichtigen Dienst in unserer Gemeinschaft wahrnehmen. Es ist gut, dass es euch gibt und wir sind dankbar für den Dienst, den ihr für uns leistet. Doch, liebe Brüder, was hält euch eigentlich davon ab, mit uns zusammen herauszufinden, was der Heilige Geist von uns will, wie es weitergeht mit unserer Gemeinschaft? Was hält euch davon ab, in fröhlicher Demut damit zu rechnen, dass, wie Karl Rahner es sagt, „der Geist weht, wo er will, dass er keine exklusive Erbpacht bei“ euch „eingerichtet hat, dass das nie völlig reglementierbare Charismatische ebenso notwendig zur Kirche gehört wie das Amt, das nie einfach mit dem Geist identisch ist und ihn nie ersetzen kann, dass auch das Amt seine wirklich effiziente Glaubwürdigkeit vor den Menschen nur im Erweis des Geistes und nicht durch die bloße Berufung auf die noch so legitime formale Sendung und Autorität hat“. (6) In diesen Worten Karl Rahners hört man regelrecht das österliche Lied erklingen.

Und wenn jetzt vom Heiligen Geist und seinem Wirken in unserer Kirche die Rede ist, da muss ich gestehen, dass manchmal in mir die Frage auftaucht: Könnte es sein, dass Gott gerade in dieser Zeit in besonderer Weise in unserer Kirche anwesend ist, sein Geist in ihr wirkt? Dass er, sie, die „Ruach“, unsere Kirche im Augenblick kräftig durcheinander wirbelt. Weil es höchste Zeit ist.

Ich meine manchmal, wir gehen bei unserer Beurteilung darüber, wie es um die Kirche steht, zu sehr von einem sehr einseitig kirchlichen Blick aus, starren auf die Zahlen, darauf, wie viele Männer zum Priester geweiht werden und so weiter und sofort. Wir wollen es kirchlicherseits gerne so haben, wie wir meinen, dass es sein muss und sein sollte. Könnte es aber nicht sein, dass Gott uns die Stirn bietet und sagt: Merkt ihr eigentlich nicht, dass ich es ganz anders haben möchte. Merkt ihr nicht, dass ich mich längst nicht mehr wohlfühle in all den Verkrustungen und Auswüchsen, die sich im Laufe der Jahrhunderte in meine Kirche eingeschlichen haben? Es jetzt einfach genug ist? Ich will, dass meine Kirche wieder mehr wirklich der Ort ist, an dem nicht nur von der Liebe geredet wird, sondern Liebe spürbar ist, die Liebe, die ich doch selbst bin. Und diese Liebe nicht länger erstickt wird durch Enge und Engherzigkeit. Durch Regeln und Dogmatismus, für die man dann auch noch mich verantwortlich macht? ….“

Sehnsucht nach einer österlichen Kirche

„Ich glaube es ist deutlich geworden, wie es in unserer katholischen Kirche zugehen könnte, würden wir uns auf unsere Anfänge besinnen und uns miteinander auf den Weg machen, alles zu tun, damit unsere Kirche ein Widerschein des Evangeliums wird. In ihr die Melodie zum Klingen kommt, die allein von Gott kommen kann. Wir sollten miteinander alles daran setzen, dass das geschieht.

Was würde das für Energien freisetzen, die wir im Augenblick vergeuden, weil wir uns gegenseitig blockieren! Was würde das für eine Freude machen, in einer solchen Gemeinschaft zu leben, zu arbeiten, zu lieben, in einer Kirche, in der das österliche Lied zum Klingen kommt! Nach einer solchen Kirche sehne ich mich und Gott sei Dank gibt es ja auch diese Kirche. Ich denke an die Männer und Frauen, die sich selbstlos einsetzen für andere, die ihre Stimme für die Entrechteten erheben, die ihr echtes Interesse, ihre Sorge und Zuneigung in der Begegnung mit körperlich und seelisch kranken Menschen zum Ausdruck bringen. Aber, ich wünschte mir, es gäbe mehr davon. Wir würden mehr davon spüren. Auch, weil wir eine solche Kirche, in der das österliche Lied zum Klingen kommt, so dringend brauchen oder bräuchten.


Ich tröste mich hier mit Erasmus von Rotterdam, der meint: „Ich ertrage meine Kirche und hoffe, dass sie sich bessert. Meine Kirche muss mich ertragen und ich hoffe, dass ich mich bessere“, wohlwissend, dass, wie Karl Rahner das so schön sagt, „alle Erneuerung, aller Fortschritt der Kirche ... gleichsam immer wieder hineinverzehrt werden in die Erfahrung der Mühsal der Geschichte, in die Enttäuschung über uns selbst, die wir doch die Kirche sind und sie also auch so erfahren werden, wie wir uns erfahren müssen, so wir nur wahrhaftig gegen uns selbst sind. Wir spielen immer die unvollendete Symphonie der Ehre Gottes, und immer nur die Generalprobe“. (7)…..“

Und dann habe ich tatsächlich einen Traum:

Gründonnerstag, Fußwaschung. Eine illustre, außergewöhnliche Gruppe hat sich in der Peterskirche um Papst Benedikt XVI. versammelt. Leonardo Boff und seine Frau, Hans Küng, vor wenigen Tagen doch noch zum Kardinal ernannt, auch wenn er sich zunächst etwas geziert hatte. Dann entdecke ich tatsächlich auch Eugen Drewermann, der ein paar Worte mit seinem Nachbarn Kardinal Joachim Meisner austauscht. Und ist das nicht Bischof Rudolf Müller, zusammen mit Marie-Theres Wacker und Marianne Heimbach-Steins! Ja, und wie kommen die hierher? Das müssten doch Anne Will und ihre Lebenspartnerin Miriam Meckel sein, zwischen ihnen Bischof Franz-Josef Overbeck, der sich da offensichtlich sehr wohl fühlt? Ja und auch Franz-Xaver Kaufmann hat sich eingefunden, vertieft in ein Gespräch mit Bischof Felix Genn. Der Papst macht seine Runde, wäscht allen die Füße, assistiert von seinem Sekretär Georg Gänswein, der bei einigen Jüngern und Jüngerinnen ganz schön ins Schwitzen gerät. Als Benedikt XVI. bei der Frau von Leonard Boff ankommt, wäscht er ihr die Füße und bittet sie dann, ihren Platz einnehmen zu dürfen, um sich von ihr die Füße waschen zu lassen. Sie wäscht sie zärtlich und küsst sie. Papst Benedikt scheint es zu genießen. Der liebe Gott, der das alles vom Himmel aus beobachtet, wundert sich sehr, greift an seine Brust und meint: „Mir wird es plötzlich so warm ums Herz. Wie lange nicht mehr, wenn ich an meine katholische Kirche denke. Vielleicht, vielleicht… ? Ich will ihr noch einmal eine Chance geben.“

Nur ein Traum?

Wunibald Müller, Jahrgang 1950, ist katholischer Theologe, Psychologe und Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach, Autor vieler Veröffentlichungen.


© imprimatur November 2012
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