Christoph Luxenberg
Kein „Mekka“ (Makka) und kein „Bakka“ im Koran
Zu Sure 48:24 und 3:96
Eine philologische Analyse

Die Bedeutung Mekkas als Heiligtum des Islam, das alljährlich Millionen von muslimischen Pilgern anzieht, hat weltweit einen solchen Ruf, dass dessen Name selbst im christlichen Abendland zum Sprichwort für profane Veranstaltungen aller Art geworden ist, die gewissermaßen als Brennpunkt des jeweiligen öffentlichen Interesses gelten. Ein Phänomen, das insoweit den Ruf Jerusalems für die christliche Welt bei weitem übertrifft.

An dieser historischen Realität zu rütteln, ist nicht das Anliegen dieses Beitrages. Es geht vielmehr um die religionshistorisch relevante Frage, wie und wann es im frühen Islam zu diesem Phänomen gekommen ist. In der islamischen Tradition wird nämlich einmütig eingeräumt, dass Jerusalem die frühere Pilgerstätte (der christlichen Araber Syriens) war, wovon der vom Omayyaden-Kalifen Abd-el-Malik ibn Marwan im Jahre 72 der Araber (später Hidjra-Jahr genannt) (= ca. 692 A.D.) erbaute Felsendom heute noch zeugt. Die vorkoranisch erstellte arabische Hauptinschrift innerhalb des Felsendoms hat sich im Wesentlichen als eine christologische Doktrin erwiesen[1]. Das dort bisher für den Namen Mohammed gehaltene gerundivische Partizip muhammad ist in diesem Kontext ein Attribut, das sich auf „Jesus Sohn der Maria“ bezieht und lautet: „Gelobt sei (muhammad) der Knecht Gottes und sein Gesandter“ – und nicht: „Mohammed (ist) der Knecht Gottes und sein Gesandter“, wie bisher missverstanden. Auch das dort erstmals vorkommende Wort islam hat mit einer späteren Religion namens Islam nichts zu tun, sondern bedeutet kontextuell Übereinstimmung (mit der Schrift).

Unter Zugrundelegung der in der Studie Die syro-aramäische Lesart des Koran[2] dargelegte Methode soll nun die eigentliche Bedeutung des jeweils einmaligen Vorkommens der Wörter makka (Sure 48:24) und bakka (Sure 3:96) im koranischen Kontext philologisch geklärt werden.

Zum letzten Stand der in der Koran- und Islamwissenschaft geltenden opinio communis zum Namen Mekka im Koran wird auf K.-H. Ohligs Beitrag im 2. Inârah-Band Der frühe Islam[3] Bezug genommen. Dort heißt es zu Mekka in Sure 48:24 (S. 356):

„Wenn die Erwähnung Mekkas dem ursprünglichen Textbestand zugehört, muss der gesamte erste Teil der Sure weit in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert werden. Die historische Wissenschaft weiß aber darum, dass im Vorgang des Abschreibens auch heiliger Texte recht häufig Einfügungen vorgenommen werden, die dem „Wissensstand“ des jeweiligen Schreibers entsprachen. Handelt es sich bei der Erwähnung von Mekka um eine solche spätere Zufügung oder gehörte sie zur Texttradition? Diese Frage kann gegenwärtig, wegen des Fehlens einer kritischen Koranedition, nicht beantwortet werden.“

Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es indessen nicht unbedingt einer kritischen Koranedition, mag diese auch wünschenswert bleiben. Sie würde nämlich zur Klärung der Schreibung und Lesung makka in keiner Weise etwas beitragen, da bei diesem Schriftzug die drei Konsonanten mkh eindeutig sind, also keiner erläuternden diakritischen Punkte bedürfen, und die Lesung makka nicht zu beanstanden ist. An eine kritische Koranedition, mag diese auch Corpus Coranicum heißen, dürfen keine allzu großen Erwartungen geknüpft werden. Denn das Problem ist in diesem Fall philologischer Art. Dem ist daher nur mit den Mitteln der Philologie beizukommen, was wir uns im Folgenden vornehmen wollen.

Getreu dem traditionellen Verständnis der arabischen Korankommentatoren gibt Paret[4] diese Koranstelle (Sure 48:24) wie folgt wieder (S. 429):

„Und er ist es, der im Talgrund von Mekka ihre Hand von euch und eure Hand von ihnen zurückgehalten hat (so dass es nicht zum Kampf kam), nachdem er euch (früher?) über sie hatte siegen lassen. Gott durchschaut wohl, was ihr tut.“

Für Paret besteht, wie man sieht, kein Anlass, den angeblichen „Talgrund von Mekka“ in Frage zu stellen, was er sonst bei „unklaren“ Stellen sei es durch ein in Klammern gesetztes Fragezeichen oder durch Transkription des arabischen Ausdrucks oder sonstige Anmerkungen gewissenhaft andeutet.

Philologische Analyse des Ausdrucks „im Talgrund von Mekka“ (fî batni makka)

In seiner zweibändigen, im Jahre 2005 veröffentlichten Straßburger Dissertation mit dem Titel „Le messie et son prophète[5] , geht Edouard-Marie Gallez im Kapitel 3.4.2.2. (Bd.II, S. 311 ff.) auf die Schreibung und die Bedeutung von makka im Koran ein. Obwohl er einleitend zutreffend vermerkt, dass dieses Wort in einem Kontext erscheint, in dem von der Konfrontation zweier Gruppen berichtet wird („C’est dans un contexte d’affrontement qu’apparaît le mot makkah “), kommt er dennoch nicht auf den Gedanken, dass dieses Wort nicht einen Ort namens Makka (Mekka), sondern eben diese Konfrontation bezeichnet, die der Koran an dieser Stelle eindeutig beschreibt. Aus dem Kontext geht nämlich deutlich hervor, dass Gott zwischen zwei auf einander geratene Gruppen eingreift und „ihre Hände“ voneinander „abwendet“. Etymologisch ist das entsprechende arabische Verb kaffa sekundär aus 'akafa entstanden, was (u.a.) „umwenden, abwenden„ bedeutet. Es geht also hier eindeutig um ein „Handgemenge“, eine „tätliche Auseinandersetzung“, wie man sie sich heute noch – nicht nur im Orient – gut vorstellen kann. Auf diese Bedeutung hätte Gallez kommen können, zumal er das Wort Ma'kah (S. 313 f.) etymologisch zutreffend analysiert, indem er einen assimilierten medialen Kehllaut 'ayn annimmt, was (nach semitistischer Lautregel) die Verdoppelung des nachfolgenden k bedingt (ma'ka > makka). Dies entspricht der syro-aramäischen Verbalwurzel m'ak (pressen, drängen, bedrängen)[6], die im heutigen Arabisch (ma'ak) noch gebräuchlich ist, und reflexivisch (t-mâ'akû) (streiten, sie haben sich gestritten) dialektal geläufig ist.

Trotz dieser etymologischen Erkenntnis bleibt Gallez bei der herkömmlichen Vorstellung, dass der Streit, von dem hier die Rede ist, in einem (angeblichen) Tal (arabisch batn, eigentlich „Bauch, Schoß, Inneres“) namens Makka stattgefunden hat, dessen Standort aber ganz woanders zu suchen sei als im heutigen Mekka. Auf der Suche nach diesem Tal zieht er die traditionelle Fehllesung Bakka (Sure 3:96) heran, übersieht dabei den Emendationsvorschlag des Verfassers (op. cit., 2. Aufl., 336, Anm. 352), und identifiziert dieses angebliche Bakka mit Psalm 84:7 (S. 308), in dem vom „Tal von bâkâ’„ (val de bâkâ’) (hebräisch b-'emeq ha-bakâ, syrisch, Peshitta: b-'umqâ da-bkâ-tâ = durch das „Tal des Weinens“ = „Jammertal“)[7] die Rede ist. Dieses Tal sei westlich von Jerusalem zu orten (S. 308). Danach sei der entsprechende Ausdruck aus Sure 3:96 so zu verstehen:

“Le premier Temple (bayt)... est [le lieu-dit] aux larmes” (Der erste Tempel [bayt]… ist [der so genannte Ort] der Tränen).

Damit haben wir ein weiteres Beispiel für eine koranische Fehllesung, für die eine scheinbar adäquate Bibelstelle geradestehen soll. Einen ähnlichen Fall hatten wir mit dem Ausdruck sariyyâ (Sure 19:24), in dem die arabischen Korankommentatoren ein „Bächlein“ vermuteten, das Gott „unter“ Maria gelegt habe, wofür westliche Koranübersetzer eine Parallele aus dem Bericht der „Flucht nach Ägypten“ nach Pseudo-Matthäus zu identifizieren glaubten. Nach letzterem geht es um eine Palme, die das Jesuskind zur Erquickung seiner Mutter dazu aufforderte, aus ihren Wurzeln Wasser hervorsprießen zu lassen. Im koranischen Kontext geht es aber darum, Maria vom Vorwurf der unehelichen (illegitimen) Geburt (nach Sure 19:27-28) freizusprechen. Drum spricht das Jesuskind zu ihr: „Sei nicht traurig, dein Herr hat deine Niederkunft (und nicht unter dir) legitim (syro-aramäisch scharyâ) (und nicht ein Bächlein) gemacht[8].

Obwohl man nun inzwischen weiß, dass der ursprüngliche aus 15 Schriftzeichen bestehende Konsonantentext des Koran nachträglich durch Einfügen von sog. diakritischen (unterscheidenden) Punkten um die fehlenden 13 Buchstaben des nachkoranischen (und heutigen) arabischen Alphabets (insgesamt 28 Buchstaben) ergänzt wurde, scheint es einer Mehrheit von Koranforschern schwer zu fallen, sich von der (späten) islamischen Doktrin loszulösen, wonach die heute gängige Lesung des Kairiner Koran auf einer sicheren mündlichen Überlieferung beruhe. Dabei kann diese Doktrin einer eingehenden philologischen Analyse des Korantextes nicht standhalten, wie es die bisherige Analyse an unzähligen Koranstellen erwiesen hat. Da aber mancher Koranübersetzer eine neue Koranübersetzung unbeirrt nach „altbewährter Methode“ vorlegt mit der Begründung, er sei von den bisherigen Forschungsergebnissen „nicht überzeugt“, so mag die philologische Erörterung von Sure 3:96 lernwilligen Koranforschern zur Einsicht verhelfen. Diesen Vers gibt Paret (52) wie folgt wieder (die fraglichen Wörter sind unterstrichen):

„Das erste (Gottes)haus, das den Menschen aufgestellt worden ist, ist dasjenige in Bakka [Anm. 81: d.h. Mekka], (aufgestellt) zum Segen und zur Rechtleitung für die Menschen in aller Welt (al-'alamun).“

Zur Syntax: Auch ein Arabist wird hier merken, dass mit der Syntax dieses Satzes etwas nicht stimmt. Das Prädikat dieses Satzes bildet der Nachsatz: „ist dasjenige in Bakka“. Damit endet der Satz. Darauf folgt (im arabischen Akkusativ): „zum Segen und zur Rechtleitung für die Menschen“. Weil diesem Zusatz das Verb fehlt, das diesen Akkusativ regiert, sieht sich Paret gezwungen, das Verb (aufgestellt) in Klammern zu wiederholen, um den folgenden Akkusativ zu rechtfertigen. Dabei merkt Paret nicht, dass das eigentliche Verb, das diesen Akkusativ regiert, eben dieser als „bi-Bakka“ (angeblich) „in Bakka“ verlesene Schriftzug ist.

Der koranische Schriftzug (rasm) zeigt zwei undefinierte Zäckchen und zwei eindeutige k und h ( ? ? k h ). Das End-h kann, mit zwei Punkten versehen, als arabische Femininendung interpretiert werden, was man auch bei „Bakkata “ fälschlich angenommen hat. Denn das End-h kann auch das maskuline Personalsuffix bezeichnen, das sich hier auf „bayt“(Haus) im Vordersatz bezieht. Der Verfasser hat daher in seiner vorgenannten Studie (S. 336, Anm. 352) folgende Konjektur vorgeschlagen:

inna awwala baytin wudi'a li-n-nasi la-lladi tayyaka-hu mubarakan wa-hudan li-l-'alamin

Diese Konjektur stellt die Syntax dieses Satzes wie folgt wieder her:

„Das erste (heilige) Haus, das für die Menschen erstellt wurde, ist dasjenige, das er als gesegnetes (Heiligtum) (und) zur Rechtleitung der Menschen eingefriedet (umzäunt) hat.“

Dieses Verständnis wird durch Sure 17:1 gestützt, wo es vom „fernen Gebetshaus“ heißt: alladi bârak-nâ hawla-hu = „dessen Umgebung wir gesegnet haben“. Eine alternative Verbalform für den verlesenen Schriftzug bi-Bakka folgt an anderer Stelle.

Ergebnis der philogischen Erörterung des Ausdrucks (fî batni makka) „im Talgrund von Mekka“:

  1. Arabisch batn gibt syro-aramäisch karsâ wieder und bedeutet hier: inmitten von[9].
  2. makka bedeutet syro-aramäisch „Handgemenge, tätliche Auseinandersetzung“.

Die erörterte Stelle aus Sure 48:24 ist daher wie folgt zu verstehen:

„Er ist es, der inmitten einer (tätlichen) Auseinandersetzung ihre Hände von euch und eure Hände von ihnen abgewendet hat...“

Ist danach Mekka im Koran nicht genannt, so wird in einem nächsten Beitrag zu klären sein, was mit der Ka'ba, dem zentralen Heiligtum des Islam, gemeint sein mag.


© imprimatur Oktober 2012
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[1]Siehe hierzu C. Luxenberg, Neudeutung der arabischen Inschrift im Felsendom zu Jerusalem, in: Karl-Heinz-Ohlig / Gerd-R. Puin, Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, 1. Aufl., Berlin: Verlag Hans Schiler, 2005, S. 124-147.
[2]C. Luxenberg, Die syro-aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache, 1. Auflage, Berlin: Das Arabische Buch, 2000, 2. Aufl., Berlin: Verlag Hans Schiler, 2004, 3. Aufl. 2007, 4. Aufl. 2012.
[3]Karl-Heinz Ohlig (Hg.), Der frühe Islam. Eine historisch-kritische Rekonstruktion anhand zeitgenössischer Quellen, 1. Aufl., Berlin: Verlag Hans Schiler, 2007, S. 327-376: Vom muhammad Jesus zum Propheten der Araber. Die Historisierung eines christologischen Prädikats.
[4]Der Koran. Übersetzung von Rudi Paret, 2. verb. Aufl., Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Kohlhammer, 1982.
[5]Edouard-Marie Gallez, Le messie et son prophète. Aux origines de l’Islam. Tome I : De Qumrân à Muhammad.
Tome II : Du Muhammad des Califes au Muhammad de l’histoire, Versailles : Éditions de Paris, 2005.
[6]Vgl. J. E. Mannâ, Chaldean-Arabic Dictionary (reprint), Beirut 1975, 411 a / b; Carl Brockelmann, Lexicon Syriacum, Halle 1928, 397 b, pressit, compressit, perturbavit.
[7]Die Jerusalemer Bibel sieht in „baka“ den Namen dieses Tals und übersetzt: „Und pilgern sie hin durch das Baka-Tal“, was zu solchen Fehlinterpretationen führt.
[8]Siehe Die syro-aramäische Lesart des Koran, 2.-4. Aufl., 134-152.
[9]Vgl. Mannâ, 355a, karsâ, unter (2): dâkhil (innerhalb)