Die erste Ausstellung des Heiligen Rocks in Trier


Die neuerliche Ausstellung des Heiligen Rocks in Trier vertiefen wir in diesem Heft durch historische Rückblicke auf die Ausstellungen von 1933 und von 1512.

Anlässlich des Trierer Reichstags im Jahre 1512 unter Leitung Kaiser Maximilians wurde der Heilige Rock erstmals ausgestellt. Schon vor zwei Jahren fand zu diesem Thema in Trier eine Tagung statt, deren Vorträge jetzt publiziert wurden: „Der Trierer Reichstag von 1512 in seinem historischen Kontext. Ergebnisse der Trierer Tagung vom 19.-21.10.2010“, hg. von Michael Embach und Elisabeth Dühr, Trier 2012.

In den Beiträgen wird der Trierer Reichstag als „europäisches Ereignis“ gewürdigt, es folgen Aufsätze zur „Reichspolitik und Landesgeschichte“, zu den „Religiösen und geistigen Strömungen“, zu „Politik, Wirtschaft und Recht“ sowie zu „Architektur und Kunst“. Statt einer Rezension bieten wir im Folgenden einen kleinen Leseeindruck – das Schlusskapitel – aus dem Beitrag von Anne Conrad „Reliquienkonsum und moderne Frömmigkeit. Trierer Ordensgemeinschaften zu Beginn des 16. Jahrhunderts“ (ebd. 119-130). Es wird deutlich, wie es im Gefolge der Ausstellung des Heiligen Rocks in Trier, das damals bei nur 6.000 Einwohnern „über 25 geistliche Konvente und geistliche Einrichtungen“ kannte (ebd. 121), zu einem regelrechten Boom an Ausstellungen angeblicher Reliquien kam, aus wirtschaftlichen Interessen wie auch als Folge einer neuen frühneuzeitlichen Frömmigkeit.

Anne Conrad
Reliquienkult als Ausdruck „moderner“ Frömmigkeit?

Die Ausstellung des Heiligen Rocks in Trier 1512 entsprach offenbar dem Zeitgeist. Dies ist am großen Erfolg dieses Ereignisses und der Vielzahl der Nachahmer ablesbar. Dass die Heiltumszeigungen gerade in dieser Zeit – am Vorabend der Reformation – eine solche Hochkonjunktur erlebten, mag andererseits irritieren. Es erscheint fast wie ein letztes „Aufbäumen“ dieser Frömmigkeitsform vor dem reformatorischen Umbruch. Bei näherem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass der Reliquienkult um 1512 durchaus „moderne“, den Reformbewegungen entsprechende Züge aufwies und einer individuellen, persönlichen Frömmigkeit, wie sie etwa in der Devotio moderna propagiert wurde, entgegenkam. Auch wenn die damit verbundenen Wallfahrten und Prozessionen Massenveranstaltungen waren, so boten doch die Begegnung mit dem Heil tum selbst und der Erwerb von Ablässen die Möglichkeit einer sehr persönlichen Aneignung des damit verbundenen Heils.

Auch die für die „moderne“ Frömmigkeit an der Schwelle zur Neuzeit typische, am Evangelium und an der Jesusnachfolge orientierte christozentrische Spiritualität, spiegelt sich in der Reliquienverehrung wider: Beliebt waren – neben jenen Reliquien, die unmittelbar mit der Stiftung des Klosters bzw. der Bistumsgeschichte in Verbindung standen – vor allem jene Heiltümer, die unmittelbar mit den Jüngerinnen und Jüngern Jesu, mit seiner Mutter Maria und vor allem mit Jesus selbst zu tun hatten. Dass Kaiser Maximilian sich in Trier vor allem für den Heiligen Rock, der für eine unmittelbare, auch physische Nähe zu Jesus stand, interessierte, ist daher kein Zufall. Dies gilt aber auch für die Reliquien-Ausstellungen der anderen Klöster. Bei der Auswahl, die man zeigte, ließ sich auf einen großen Fundus an „christologischen“ Reliquien zurückgreifen. Aus der „Medulla“ des Johann Enen, in der die Heiltümer der Trierer Konvente detailliert aufgezählt werden, geht dies deutlich hervor[1].

Für St. Maximin nennt Enen nach den Reliquien bedeutender Bischöfe, von Märtyrern der Thebäischen Legion und des hl. Maximin folgende Heiltümer: „ein Stück des Hl. Kreuzes, der Hl. Lanze und des Schwammes, von dem purpurnen und von dem weißen Kleid sowie von dem Tuch, welches Christi Angesicht im Grab bedeckte. [...] Partikel von der Geißelsäule, von dem Seil, mit dem Christus gebunden war, ein Stück vom Tuch, mit dem er bei der Fußwaschung gegürtet war“, sowie das Messer, mit dem er beim letzten Abendmahl das Osterlamm geschnitten habe. Außerdem der von der Hl. Helena nach Trier gebrachte Schleier Marias, den sie trug, als der Engel grüßte, der Kamm der Gottesmutter, Partikel ihrer Haare und ein halber Arm der Hl. Anna[2]. In St. Matthias verehrte man – wiederum neben den lokalen Apostel- und Bischofstraditionen – u. a. den Schleier der Maria Magdalena, ein Teil des Gewandes Marias und das Gewand, das Christus bei seiner Verspottung trug, sowie ein Stück des hl. Kreuzes[3], in St. Martin ebenfalls Stücke „vom Hl. Kreuz, vom Rock Christi, den die Soldaten zerschnitten hatten, von der Dornenkrone, von der Martersäule, von der Krippe, vom Haar Mariens, vom Haupt der hl. Anna, vom Haupt des Täufers Johannes.“[4] Ähnliche Heiltümer nennt Enen auch für die nicht-benediktinischen Klöster: Bei den Karmelitern finden sich Teile des Kleides Marias[5], bei den Kartäusern in St. Alban ein Stück des Kreuzes Christi[6] , ebenso bei den Dominikanerinnen von St. Barbara, wo außerdem auch eine Reliquie aus der Dornenkrone Christi verehrt wurde[7].

Eine Besonderheit – gleichermaßen Analogie wie Konkurrenz zum Heiligen Rock – stellte die ebenfalls 1512 erfolgte Auffindung der „Tunica Mariens“ in St. Maria ad Martyres dar[8]. Noch 1512, zeitgleich mit den Heiltumsschriften zur Tunica Christi, wurde ein entsprechendes Reliquienbuch „De Tunica beatae Mariae virginis ...“ der Abtei St. Maria ad Martyres gedruckt[9]. Die Tunica Marias sei – so die Legende – ursprünglich von Papst Sergius dem Hl. Willibrord geschenkt worden, dann aber in Vergessenheit geraten. Erst im Zusammenhang mit dem Reichstag 1512 sei die Tunica Mariens wieder neu entdeckt worden. Zwei Teilnehmer des Reichstags, nämlich der Erzbischof von Mainz und der Bischof von Straßburg, hätten das Kloster besucht, den Tragaltar des Hl. Willibrord besichtigt, auf diesem eine Inschrift „ziemlich dunklen Inhalts“[10] entdeckt, daraufhin den Altar öffnen lassen und darin die Tunica Mariens gefunden, die der Tunica Christi „bis auf die Farbe ähnlich war“[11].

Die Stilisierung dieser „Entdeckung“ in Analogie zur Heilig-Rock-Auffindung ist unverkennbar. Hinzu kommt, dass es auch im Blick auf die Konkurrenz in Aachen[12], wo traditionell die Tunica Marias verehrt wurde, reizvoll war, hier einen Gegenakzent zu setzen. Mit Erfolg: Hierdurch[13] gewann die Abtei St. Maria ad Martyres, die bisher eher im Schatten der anderen Trierer Benediktinerabteien gestanden hatte, an Renommee und Selbstbewusstsein[14]. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass Papst Leo X. 1516 ihren Äbten das Recht verlieh, „bei bestimmten Gelegenheiten Pontifikalien zu tragen, wie diese die übrigen Trierer Abteien schon besaßen.“[15] Dass St. Maria ad Martyres hier tatsächlich als Konkurrent des Doms auftrat, zeigte sich im Versuch des Domkapitels, St. Maria ad Martyres „jegliches Zeigen der Reliquie [...] sowie die Verkündigung des Heiltums und die Aufnahme in die betreffende Bruderschaft“ zu verbieten. Es kam zum Streit zwischen Abt und Domkapitel, der erst 1517 durch einen Vergleich beigelegt wurde[16].

Ein gewisses Gegengewicht zu dieser christologisch zentrierten Individualisierung der Frömmigkeit bilden die „Massen-Heiltümer“, die auf große Gruppen von Heiligen oder Märtyrer verwiesen. In Trier waren das vor allem die Märtyrer der Thebäischen Legion (was wiederum einer lokalen Tradition entsprach) und die Märtyrerinnen aus den Reihen der Hl. Ursula und ihrer 11.000 Jungfrauen. Fast jedes Kloster besaß Reliquien von Jungfrauen aus Ursulas „Schar“. Hier wird ganz sicher die Verbindung zu Köln eine Rolle gespielt haben[17]. Zudem boten die „vielen“ Heiligen aber auch für den einzelnen Gläubigen ein hohes Identifikationspotenzial, gerade indem sie auf das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und „Massenreligiosität“ verweisen. Die Frage, ob und wie sich das Individuum in der Masse behaupten kann, wird hier von den Heiligen der „Schar“ vorgelebt und mit der Orientierung auf Christus (und Maria) hin beantwortet.

Die Konsum- und Profitorientierung, die mit dem Reliquienkult verbunden war, wurde von Johannes Scheckmann, wie eingangs schon erwähnt, 1531 sehr deutlich angeprangert: Manche „verwechselten Habsucht mit Frömmigkeit. Sie stellten wie Kaufleute auf Plätzen und an Straßenecken Tische auf, dicht bedeckt mit Reliquien. Ein dabeistehender Ausrufer pries sie mit lauter Stimme und ‚lautdonnerndem Lob‘ (altisonisque laudibus) an, um die Vorübergehenden anzulocken und sie für seine Sache zu gewinnen“[18] . Das Domkapitel habe daraufhin den „Klöstern und Stiftskirchen die feierliche Ausstellung ihrer Reliquien“ untersagt, dies aber nicht aus theologischen oder moralischen Gründen, sondern „um das Geschäft allein machen zu können“[19]. Von einer anderen Warte aus monierten die Reformatoren diese Praxis; von Martin Luther und Martin Bucer sind gerade bezüglich Trier entsprechende Zitate überliefert[20].

Dennoch ist festzuhalten, dass sich die Beliebtheit der Christus- und Marienheiltümer gut in das Konzept einer auf unmittelbare Christuserfahrung und Jesusnachfolge angelegten Frömmigkeit einpasst. Sie war eine Spielart der „neuen“ Spiritualität, wie sie vor allem in den reformorientierten Klöstern gelebt wurde (und wie sie letztlich auch von den Reformatoren selbst propagiert wurde), und sie entsprach dem Individualisierungsschub, den man gemeinhin mit dem Umbruch zur Neuzeit verbindet.


© imprimatur Juli 2012
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[1]Die folgenden Zitate nach Wolfgang SCHMID: Die Topographie der Trierer Kirchen und ihrer Heiligen. In: Die Medulla Gestorum Treverensium des Johann Enen. Ein Trierer Heiltumsdruck von 1514. Faksimileausgabe und Kommentar. Hrsg. v. dems. und Michael EMBACH. Trier 2004, S. 95-124, wo die entsprechenden Passagen bei Enen pointiert zusammengefasst werden; ebd. auch Erläuterungen zu den Terminen der Ausstellungen.
[2]Ebd., S. 109. / [3] Ebd., S. 110f. / [4] Ebd., S. 113.
[5]Ebd., S. 115. / [6] Ebd. / [7] Ebd., S. 117. / [8] Ebd., S. 112f.
[9]Beschreibung in: Gerhard HENNEN: Eine bibliographische Zusammenstellung der Trierer Heiltumsbücher, deren Drucklegung durch die Ausstellung des Hl. Rockes im Jahre 1512 veranlasst wurde. In: Centralblatt für Bibliothekswesen 4 (1987), S. 481-550, hier: S. 521-526. – Verfasser war gemäß der Einleitung Johannes von St. Wendel, der Prior des Klosters. Im gleichen Jahr erschien auch eine deutsche Übersetzung: ebd., S. 526-528.
[10]Ebd., S. 523.
[11]Wolfgang SEIBRICH: Die Trierer Heiltumsfahrt im Spätmittelalter. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 47 (1995), S. 45-125, hier: S. 89.
[12]Zu Aachen vgl. Wolfgang SCHMID, Die Wallfahrtslandschaft Rheinland am Vorabend der Reformation. Studien zu Trierer und Kölner Heiltumsdrucken. In: Wallfahrt und Kommunikation – Kommunikation über Wallfahrt. Hrsg. v. Bernhard SCHNEIDER. Mainz 2004, S. 17-195.
[13]Hinzu kamen noch weitere Christus- und Marien-Reliquien: „ein Stück des Gewandes [...], das Herodes hatte Jesus anziehen lassen, als er ihn zum Pilatus zurückschickte. [...] u.a. auch noch einen großen Kreuzessplitter, ein Stück vom Purpurkleid Jesu, ein Stück vom Schweißtuch, Teile verschiedener Leidenswerkzeuge, Teile der Windeln und Stücke von Gewändern Marias“ (SEIBRICH: Die Trierer Heiltumsfahrt im Spätmittelalter, S 89), die kurz danach entdeckt wurden.
[14] Ebd. / [15] Ebd., S. 89, Anm. 305. / [16] Ebd., S. 105.
[17]Zu den Verbindungen nach Köln vgl. Wolfgang SCHMID: Die Reformation, die Renaissance und die Heilige Städte im Rheinland. In: Städte, Höfe und Kulturtransfer. Hrsg. v. Stephan HOPPE u. a. Regensburg 2010, S. 177-206; ders., Wallfahrtslandschaft, passim; ebd. auch ausführlich zur Ursulaverehrung im Rheinland und in Trier.
[18]SEIBRICH: Die Trierer Heiltumsfahrt im Spätmittelalter, S. 104.
[19] Ebd., S. 105. / [20] Ebd., S. 105 (Bucer); S. 113-115 (Luther).