Norbert Sommer
Bruder – Zwist
Der Vatikan und das Lefebvre – Erbe

Lange Zeit warb Radio Vatikan mit einem Foto, das Papst Johannes Paul II. mit einem Kind auf dem Arm zeigte und mit dem Slogan „Vati kan(n) sich hören lassen“ versehen war. Heute muss man feststellen, dass zwar immer mehr aus dem Vatikan zu hören und zu lesen ist. Das sind aber zumeist Enthüllungen, die eher zum Abwenden, ja zu Verachtung oder gar zur Verzweiflung über den Zustand der Kirche gerade an ihrer Spitze in Rom führen. Im Vorfeld des Konsistoriums am 18. Februar wurden ähnlich wie von Wikileaks (im politischen Bereich) geheime Briefe und Dokumente anonym veröffentlicht, so dass man bereits von „Vatileaks“ spricht. Zunächst ging es nur um einen Brief des italienischen Erzbischofs Carlo Maria Vigana, den er an Kardinalstaatssekretär Bertone und an den Papst persönlich gerichtet hatte. Darin machte er auf schwere Fälle von Korruption und Finanzmanipulationen im Vatikan aufmerksam. Die Reaktion von ganz oben: sein vorgesehener Karrieresprung, verbunden mit der Kardinalswürde, wurde abrupt beendet, indem man ihn als Nuntius nach Washington verbannte.
Es folgten weitere Dokumenten – Enthüllungen, bei denen man nur spekulieren kann, wer sie veranlasst hat und wer wen treffen wollte. Es tobt ein Machtkampf im Vatikan, Intrigen gehören offenbar zum Alltag. Geht es um den Papst oder seinen jetzigen und früheren Staatssekretär? Will jemand die italienischen oder europäischen Kardinäle, die seit dem jüngsten Konsistorium die Mehrheit der nächsten Papst-Wähler stellen, diskreditieren? Ist Benedikt XVI. Zielscheibe wegen seiner Personalpolitik oder gar wegen seines bisherigen Werbens um die Rückkehr der Piusbruderschaft?

In vielen Fällen des Machtkampfes hinter den Mauern des Vatikans scheint es offensichtlich auch um das weitere Vorgehen im Umgang mit dieser Abspaltung zu gehen. So hieß es Anfang Februar, ein designierter Kardinal, der 82jährige deutsche Jesuit Karl Josef Becker, werde aus gesundheitlichen Gründen nicht am Konsistorium vom 18. Februar teilnehmen können. Das Staatssekretariat habe - allerdings vergeblich, wie sich dann herausstellte - die Kardinalswürde zu verhindern versucht, weil er einer der Theologen war, die für den Vatikan mit der Piusbruderschaft verhandelten. Außerdem soll der 2009 emeritierte Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos, bekannt als Sympathisant der Lefebvre - Bewegung, die Aufnahme der Versöhnungsgespräche mit der Bruderschaft „so geschickt“ eingefädelt haben, dass die zuständige Kongregation für die Bischöfe und der Papst „ausgespielt“ worden seien.

Diese Gespräche führte auf vatikanischer Seite die der Glaubenskongregation unterstehende Kommission „Ecclesia Dei“. Länger als ein Jahr lang wurde dabei über eine mögliche Rückkehr der Piusbrüder zur Kirche diskutiert. Selbst „Vatileaks“ hat bisher aber noch nichts über die geheim gehaltenen Gespräche und Dokumente aus den Verhandlungen preisgegeben. Von Seiten der Leitung der Piusbruderschaft gibt es seit Monaten Signale und Aussagen über die verschiedenen Treffen und die Zukunftsaussichten – ein ständiges Auf und Ab, Hin und Her, Lob und Kritik.

Der Holocaust – Leugner, Pius – Bischof Richard Williamson, hielt von Anfang an wenig von den Versöhnungsgesprächen. Schließlich sei seit dem Konzil „die katholische Wahrheit von der katholischen Hierarchie getrennt“: „Über Jahrhunderte haben sich protestantische Irrlehren und die liberale Auffassung der Wahrheit ihren Weg in die Herzen und Köpfe der großen Mehrheit der Konzilsväter gebahnt, so dass auf diesem schrecklichen Konzil die Reinheit der katholischen Wahrheit aufgegeben wurde.“ Es sei nicht immer leicht, die Ausgewogenheit zu bewahren und der Empfehlung von Erzbischof Lefebvre zu folgen, an der katholischen Wahrheit festzuhalten und gleichzeitig keinen pauschalen Zweifel an der Hierarchie zu äußern. Immerhin habe die Bruderschaft auf diese Weise „auf der ganzen Welt katholische Früchte hervorgebracht und einen treuen Rest von Katholiken erhalten“. Diese hätten in den vierzig Jahren, „die wir in der Konzilswüste verbracht haben“, dank der Piusbruderschaft die wahre Lehre und die wahren Sakramente bewahrt.

Wenige Tage später (am 11. Juli 2011) sprach er, der große Skeptiker, plötzlich teilweise positiv über die Gespräche mit dem Vatikan. Dabei bezog er sich auf den dritten Pius-Bischof, Alfonso de Galarreta, der die Pius-Delegation leitet. Dieser habe ihm gesagt, die Verhandlungen würden – bei geringem Risiko - viele Vorteile bieten. Von einem anderen Teilnehmer der Gespräche habe er gehört, der vatikanischen Delegation fehle es „an theologischer Präzision“. Williamson fügte hinzu: „Zwei Gedankenlinien, die sich nie treffen können, ergeben keinen Dialog, sondern eher zwei Monologe.“ Die Römer seien nett. Wichtig aber sei, dass sie durch die Gespräche mit der Pius-Delegation deren Position kennen lernen, dass sie eine „wertvolle Dokumentation für die Abgrenzung der katholischen Wahrheit vom konziliaren Irrtum darstellen“ und dass die Piusbrüder nun „ein gewisses Vertrauen bei manchen Amtskirchen-Priestern guten Willens“ zurück gewinnen.

Einen Monat später wartete Williamson mit der Behauptung auf, Benedikt XVI. plane ein neues Motu Proprio mit der Absicht, die Priesterbruderschaft durch Zugeständnisse für einen eigenen Weg in die Kirche zu integrieren. Die laufenden Lehrgespräche mit dem Vatikan liefen sowieso gegen eine lehrmäßige „Wand“: „Die Politik droht, die Glaubenslehre zu unterlaufen.“ Es könne keine Versöhnung „der neomodernistischen Lehre des Zweiten Vatikanum und der katholischen Lehre der wahren Kirche geben“.

Der Generalobere, Bischof Bernard Fellay, reagierte prompt. Er wisse „absolut nichts von irgendeinem Motu Proprio“, es handele sich um eine persönliche Stellungnahme, und die Gespräche verliefen unverändert und problemlos. Ende Dezember 2011 griff Carl Boringer in kreuz.net die Behauptung von Williamson auf. Es könne eine positive Lösung nur geben, wenn beide Seiten zu einem Kompromiss bereit seien, d.h. der Vatikan müsse der Bruderschaft schriftlich zusichern, die Position des Magisteriums auf dem Stand von 1962 vertreten zu dürfen. Die Signalwirkung für die Weltkirche wäre, dass das Zugehörigkeitsmerkmal zur vollen Gemeinschaft mit der Kirche Christi nicht das Konzil, sondern die unfehlbaren Dogmen und Lehrsätze seien. Gleichzeitig bräuchten Papst und Vatikan ihre nachkonziliaren Positionen nicht aufzugeben.

Kurz vor Weihnachten 2011 sandte Bischof Fellay dann eine erste Antwort auf die im September von der Kommission „Ecclesia Dei“ übergebene dogmatische Präambel für ein Abkommen. Fellay aber lehnte einige Teile davon ab. Und die Glaubenskongregation kritisierte die Antwort als ungenügend. Mitte Januar gab Fellay deshalb eine zweite Antwort ab. Über die Inhalte beider Erklärungen ist bisher nichts bekannt.

Am 3. Februar war dies auch ein Thema bei einem Treffen des Papstes mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal William Levada. Bei der jüngsten Vollversammlung dieser Kongregation soll es viele Gegner einer Einigung mit der Bruderschaft gegeben haben. Von anderer Seite kommt immer wieder der Vorschlag einer dem Papst direkt unterstellten und von den Ortsbischöfen unabhängigen Personalprälatur mit einem Bischof oder Erzbischof Bernard Fellay an der Spitze („Eine Gesundzelle in einer kranken Kirche“). Doch dieser gab Anfang Februar in einer Predigt im Seminar in Winona / USA indirekt ein Scheitern der Verhandlungen bekannt: „Sie fragen sich, wo das hinführt? Welche Worte werden wir finden, um zu sagen, dass wir akzeptieren oder nicht... Sie haben einen anderen Begriff von Tradition, ja vielleicht sogar von Übereinstimmung. Deswegen sahen wir uns genötigt, nein zu sagen. Wir werden das nicht unterschreiben...Was wird also jetzt passieren? Wir haben Rom unsere Antwort gesandt. Sie sagen, dass sie noch immer darüber nachdenken. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich in Verlegenheit sind.“ Es bleibt also spannend.

Auffallend ist, wie sehr Benedikt XVI. selbst weitgehend verschont bleibt von der Kritik und Hetze gegen die „Konzilswüste“. Das hängt sicherlich mit seiner 2009 ausgesprochenen Aufhebung der Exkommunikation der drei illegal von Erzbischof Lefebvre geweihten Bischöfe zusammen. Aber auch mit seiner grundsätzlichen Übereinstimmung mit vielen Positionen der Piusbrüder.

So würdigte er im August 2010 seinen Vorgänger Pius X., nach dem sich die Bruderschaft nennt und den sie als leuchtendes Vorbild ansieht, für dessen „beachtliche Reformbemühung“, mit der er ein „unauslöschliches Zeichen in der Kirchengeschichte“ hinterlassen habe. Dabei erwähnte er die von Pius X. angestoßene Erarbeitung eines kirchlichen Rechtskodex, die Revision der Priesterausbildung, seine Sorge um die Liturgie und die katholische Bildung der Laien durch einen Katechismus, „einfach, klar und präzise“ verfasst, so Benedikt XVI.. Außerdem habe Pius X. den Antimodernismus-Eid vorgeschrieben: „Treu zu dem Auftrag, seine Brüder im Glauben zu stärken, schritt der heilige Pius X. angesichts einiger Tendenzen in der Theologie Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit Entschiedenheit ein, indem er den Modernismus verurteilte, um die Gläubigen vor irrigen Auffassungen zu schützen und um eine wissenschaftliche Vertiefung der Offenbarung im Einklang mit der Tradition der Kirche zu fördern.“

Während Rom – Korrespondent Armin Schwibach in kath.net in einem Kommentar den Antimodernismus – Eid als „großes Glaubensbekenntnis“ bezeichnete und hinzufügte, damit habe Pius X. einer Denkströmung ein Ende gesetzt, „die sich erst 50 Jahre später im Zuge des II. Vatikanischen Konzils mit neuer Macht zu Wort melden und ihre zerstörerischen Anliegen fortsetzen und weiterentwickeln sollte“, erinnerte der Münchner Dogmatiker Peter Neuner in einem KNA-Interview daran, dass sich Lefebvre, der Gründer der Bruderschaft, zeitlebens dem am 1. September 1910 eingeführten Antimodernismus – Eid verpflichtet wusste und deshalb Teile des Konzils wie Ökumenismus und Religionsfreiheit ablehnen musste. Ob das „Netzwerk katholischer Priester“, kreuz.net oder der emeritierte Mainzer Kirchenrechtler Georg May („Mit dem Konzil begann das Ende jener Sicherheit in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre sowie der kirchlichen Ordnung“) – sie und so manche andere Gruppierungen liegen durchaus auf der Linie der Piusbrüder. Auch das dürfte bei der Entscheidung in Rom eine Rolle spielen.


© imprimatur Mai 2012
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