Erhard Bertel
"Damit aus dem Heiligem Rock nicht der Mantel des Schweigens wird"

Mit dieser Schlagzeile reagiert die Katholische Studierende Jugend, Diözese Trier, auf neu aufgedeckte Missbrauchsfälle von Priestern im Bistum Trier und schreibt:
„Als Verantwortliche in der kirchlichen Jugendarbeit sind wir empört darüber, wie im Bistum Trier mit erneut auftretenden Fällen von sexuellem Missbrauch umgegangen wurde. Es rächt sich, dass die vielfach vorgetragene Forderung, begünstigende Kirchenstrukturen kritisch zu prüfen und dabei unbequeme Fragen nach Macht und Amt zu stellen, nicht gehört wurde.“

Ein Kreis Interessierter an dieser Frage fand sich in Saarbrücken zusammen und schrieb einen Brief an Bischof Dr. Ackermann:

„Sehr geehrter Herr Bischof,

am vergangenen Donnerstag, den 15.12. 2011, hat sich eine Gruppe von rund 40 haupt- und ehrenamtlichen kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Saarbrücken getroffen, um miteinander über die aktuell bekannt gewordenen Vorfälle sexuellen Missbrauchs im Saarland zu sprechen. Dieses Treffen war ein notwendiger Resonanzraum für die tiefe emotionale und pastorale Irritation, den Zorn, die Scham und die Bestürzung, die vor allem in Saarbrücken, aber auch darüber hinaus, um sich greifen. Empörung kam in vielfältiger Form zum Ausdruck, nicht nur über die Vorfälle selbst, sondern auch, weil gegen die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz vom 31.8.2010 verstoßen wurde:

Es folgen Fragen und Forderungen an den Bischof und seine Mitverantwortlichen und die Unterschriften der Beteiligten.

Nachdem der Brief öffentlich wurde und die Saarbrücker Zeitung das Anliegen aufgegriffen hat, sah sich Bischof Ackermann zu einer öffentlichen Stellungnahme veranlasst:

„Liebe Mitchristen im Bistum Trier,liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge, liebe Diakone und Priester!

Die Veröffentlichung von zwei neuen, wenngleich Jahrzehnte zurückliegenden Fällen sexueller Gewalt an Minderjährigen durch Priester hat viele Menschen in unserem Bistum erschüttert und verwirrt. Im Blick auf die Vorgänge in der Pfarrei in Saarbrücken-Burbach, über die die Frankfurter Rundschau am 8. Dezember 2011 berichtete und die dann auch Thema von Artikeln in den Regionalzeitungen in unserem Bistum waren, wurden Kritik und Vorwürfe mir gegenüber und gegenüber meinen verantwortlichen Mitarbeitern in der Bistumsleitung laut. »Hat die Kirche immer noch nichts aus den Geschehnissen der letzten anderthalb Jahre gelernt? Wird weiter vertuscht? Ist Bischof Ackermann Opfer seines eigenen Anspruchs, den er gerade auch als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs aufgestellt hat? Wieso hat der Bischof nicht gehandelt, wenn er schon seit Anfang des Jahres alles gewusst hat?« Solche und ähnliche kritischen Fragen wurden und werden an mich gestellt. Sie treffen mich sehr, zumal ich mich seit mehr als anderthalb Jahren mit einem hohen Maß meiner Kräfte und meiner Zeit dafür einsetze, der schmerzlichen Tatsache von sexueller Gewalt im Raum der Kirche ehrlich ins Auge zu schauen, Meldungen von Opfern vorbehaltlos aufzunehmen und ihnen nachzugehen und mich mit allen Kräften für einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen engagiere.

Gravierende Fehler

Angesichts der Ereignisse in Saarbrücken-Burbach muss ich aber eingestehen: es gab gravierende Fehler. Wir haben die in den sogenannten Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger formulierten Vorgaben nicht so konsequent umgesetzt, wie wir dies hätten tun müssen. Wir haben im Januar erste Hinweise erhalten auf das Vorliegen von sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch den Pfarrer. Das hat uns auch veranlasst, ihn zu einer Selbstanzeige zu drängen. Von dem vollen, uns heute bekannten Umfang der Vergehen, wie sie auch in der Frankfurter Rundschau öffentlich wurden, haben ich und die Verantwortlichen im Bischöflichen Generalvikariat erst im Sommer, nach meiner Rückkehr vom Weltjugendtag in Madrid, erfahren. Dennoch hätten die im Januar an uns ergangenen Hinweise der Polizei und das dem Personalverantwortlichen gegenüber gemachte anfanghafte Geständnis des Täters genügt, um eine Beurlaubung aussprechen zu können und die Pfarrei unsererseits gezielter informieren zu müssen.

Aufsicht hat nicht gegriffen.

Warum war es nicht dazu gekommen? Der Täter selbst war am Heiligen Abend 2010 aufgrund eines brutalen Überfalls im Pfarrhaus schwer verletzt worden. Er war daher gar nicht im Dienst, als die ersten Vorwürfe bekannt wurden, und ist offiziell bis zum Eintritt in den Ruhestand am 1. September auch nicht mehr in den aktiven Dienst zurückgekehrt. Wir müssen feststellen, dass, als sich seit April sein Gesundheitszustand derart besserte, dass er wieder an Messen teilnehmen und im Juni sogar bei einer Kindergarten-Einweihung auftreten konnte, unsere Kontroll- und Aufsichtsmechanismen nicht so gegriffen haben, wie sie hätten greifen müssen.

Das Thema wird uns weiter beschäftigen.

Sie können sich vielleicht vorstellen und glauben mir hoffentlich, wie sehr ich das bedauere. Der ganze Vorgang tut mir auch deshalb persönlich sehr leid, weil ich wahrnehme, dass viele ehrenamtlich und hauptamtlich Aktive in unserem Bistum, ohne dass sie etwas dafür können, erneut verdächtigt werden, Spott ertragen müssen oder sich gar für die Kirche schämen. Manch einer hatte vielleicht schon gehofft, dass wir das belastende Missbrauchsthema endlich hinter uns lassen könnten. Dem ist leider nicht so. Nach meiner Einschätzung wird uns das Thema weiter beschäftigen, auch was die Aufarbeitung zurückliegender Unrechtstaten angeht. Mögen sexuelle Straftaten rechtlich gesehen verjähren, in den Opfern hinterlassen sie Spuren, die sie ein Leben lang zeichnen.“

Weiter sagt der Bischof, dass für ihn eine „Nulltoleranz“ für Verbrechen sexueller Gewalt gilt. Ein Versprechen zu geben, dass es keine weiteren Fehler geben könne, erscheine ihm vermessen.

„Deswegen bin ich für alle, gern auch kritischen Anregungen dankbar.

Aus diesem Grund werde ich zu Beginn des kommenden Jahres alle Interessierten, insbesondere die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Bistums, zu einem konstruktiven Meinungsaustausch ins Bischöfliche Generalvikariat einladen.“

Das Gespräch

Das Gespräch fand dann am 11. Januar 2012 im Generalvikariat in Trier statt. Etwa 200 Teilnehmer(innen) hatten sich eingefunden.

Im Gegensatz zu sonstigen Veranstaltungen, zu denen der Bischof mit seinem Gefolge gerne in „bunten Gewändern“ auftaucht, hatte er sich für einen schwarzen Anzug entschieden. Eine Pastoralreferentin moderierte das Gespräch und hielt den Deckel auf der emotional geprägten Versammlung.

Langatmig rechtfertigte sich zunächst der Generalvikar an Hand von Daten für seine Vorgehensweise gegenüber einem betroffenen Pfarrer aus Saarbrücken, obwohl er im Vorfeld gravierende Fehler eingestanden hatte.

Nach ihm hatten dann Mitglieder der Saarbrücker Zusammenkunft und einige andere Gelegenheit, ihre Fragen an den Bischof zu stellen. Der Fragenkatalog war sehr facettenreich:

Einführende Gedanken:

Warum musste dieses Treffen hier in Trier stattfinden und warum konnte es nicht in Saarbrücken sein? In SB insb. in dem arg gebeutelten Stadtteil Burbach leben die Menschen, die über die Vorgänge dort und den Umgang des Bistums damit, hochgradig besorgt, enttäuscht und auch wütend sind. Nach dem Fall Pascal, ein Junge, der vor Jahren ermordet und nie aufgefunden wurde, vor 9-10 Jahren fragen sie „Warum immer bei uns?“. Wenn Sie Herr Bischof dort hingekommen wären, wäre dies ein wichtiges Zeichen gewesen und dort hätten diese Menschen auch leichter an einem solchen Gespräch teilnehmen können.

Die Fragen, die sich ergeben haben:

Vor dem Hintergrund, dass die Kirchenleitung offenkundig nicht angemessen mit sexualisierter Gewalt durch Priester umgehen kann, stellen wir folgende Fragen:

Die Antworten

Nach längeren Gesprächsbeiträgen durch den Bischof zeigte sich bald, dass er vor allem immer wieder die eigene Fehlerhaftigkeit und die seiner Mitarbeiter betonte. Auf Fragen, die vor allem auch die Institution Kirche mit ihren verführerischen Möglichkeiten für Missbrauchstäter betraf, ging er nicht ein. Nur verärgert zeigte er sich einer kirchlichen Mitarbeiterin gegenüber, die es gewagt hatte, einen Verdacht gegenüber der Kirche auszusprechen, die solchen Missbrauchstätern und ihren Neigungen entgegenkomme und zu unkritisch begegne. Der Bischof machte dem gegenüber deutlich, „dass die Katholische Kirche kein Einfallstor für Sexualstraftäter“ sei. Dem Vernehmen nach wurde diese (arbeitsrechtlich vom Bischof abhängige) Mitarbeiterin bereits vom Bischof oder seiner Behörde „einbestellt“. Wir werden den Ausgang dieses Vorganges mit Interesse verfolgen.

Kann oder soll ein Bischof nach einer solchen (zugegebenen) Fehlleistung zurücktreten?

Diese Frage stand plötzlich im Raum und wurde vom Bischof und seinem Gefolge fassungslos aufgenommen. Einmal, meinte darauf der Bischof, würde ein solcher Rücktritt ihm viel Arbeit und Ärger ersparen. Zum andern betonte er, wie viel er auf der Ebene der Bischofskonferenz als Beauftragter für diese Fragen geleistet habe. Einen solchen Rücktritt als Konsequenz seiner „gravierenden Fehler“ scheint Bischof Ackermann ganz auszuschließen. Dabei ging es ja nicht darum, ihn als Bischof von Trier zum Rücktritt aufzufordern, sondern ihm nahe zu legen, die Aufgaben, die er als Missbrauchsbeauftragter von der Bischofskonferenz öffentlich übernommen hatte, zurückzugeben.

Im Zusammenhang mit der Diskussion um Politiker könnte die Kirche so etwas neu lernen. „Christ in der Gegenwart“, Nr. 3/2012, schreibt in einem Kommentar u.a.:
„Im tiefsten Empfinden der Menschen werden an Amtsträger doch höhere moralische Ansprüche gestellt als an Leute wie du und ich… Dies gilt für das politische wie für das geistliche Amt. Auch da zeigt sich, wie gefährlich es für das Ansehen und den Bestand einer Institution – der Kirche – werden kann, wenn einzelne Amtsträger nicht nur funktionell in ihrer Aufgabe, sondern wesenhaft als Person versagen. Amtsfehler und Amtsmissbrauch in höherer Position sind niemals Kleinigkeiten, selbst wenn man sie aussitzen, dem Vergessen der Zeit überlassen mag.“

Es bleibt alles beim Alten

Am Ende der Zusammenkunft mit dem Bischof wurde noch einmal betont, wie sachlich und fair die Teilnehmer miteinander umgegangen seien. Das „Wagnis“ der Veranstaltung habe sich also gelohnt. Als die Bischofscrew den Saal verlassen hatte, wurde es dann doch emotionaler und lauter im Saal. Vor allem diejenigen, die sich kritisch artikuliert, und sich im Vorfeld öffentlich auch kritisch gegenüber der Vorgehensweise des Bischofs geäußert hatten, äußerten ihre Frustration und Enttäuschung. Es blieb der fatale Eindruck, dass um den Bischof herum keine kritischen Geister in Amt und Würden sind und seine Arbeit begleiten. Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass „von unten“ die kritischen Positionen öffentlich vorgetragen werden müssen, und zwar nicht nur in Fragen des sexuellen Missbrauchs durch Pfarrer.


© imprimatur März 2012
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