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44. JAHRGANG
 
14 . Mai 2011


INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) 2011 / 3

 

Sich der Welt nicht anpassen!
Verräterische „Heutigkeit“ Roms

Gerade der augenblicklich amtierende Pontifex warnt in immer neuen Variationen davor, sich der Welt anzupassen, dem Zeitgeist nachzulaufen. Besonders im Zusammenhang mit der Interpretation der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils wird eine Hermeneutik der Kontinuität gegen ein falsches Aggiornamento beschworen. Nun hat ein zufälliges Zusammentreffen von zwei Ereignissen gezeigt, wie leichtfertig man dem Zeitgeist auf den Leim geht, wenn es den eigenen Interessen nützt.

Ende April fand die Glitter-Hochzeit des zukünftigen britischen Monarchen statt – natürlich mit allem royalen Pomp, der vor den Schau-Lustigen im eigenen Empire und weltweit entfaltet wurde. Natürlich weiß jeder, dass diese Schau/Show mit der harten Realität sowohl im Könighaus als auch mit der Situation in Politik und Gesellschaft nichts zu tun hat: Brot und Spiele im Medienzeitalter.

Am 1. Mai dann die „Konkurrenzveranstaltung“ in Rom. In geneigten Kommentaren war zu lesen, dass die sonst gegenüber des Volkes Stimme so schwerhörige römische Kirche im Fall der Seligsprechung des Papstes Johannes Paul II. einmal schnell auf die „Einflüsterung“ des „santo subito“ gehört habe. Und so nahm dann - wie in der „Welt“ – die Schau/Show ihren Lauf. Auch ohne Braut aus Fleisch und Blut musste man die Konkurrenz nicht fürchten. Es gab „Ingredienzien“ dieser kirchlichen „circenses“, mit denen die weltliche Feier nicht hatte mithalten können: die wundersame Heilung einer Leidensgenossin des Seliggesprochenen, also nicht nur weltweite Medienkommunikation, sondern Verbindung zwischen irdischer und himmlischer Welt. Und damit die frommen Schau-Lustigen auf ihre Kosten kamen, hatten weitsichtige Kenner dieses Geschäfts schon rechtzeitig, also vor dem Ableben des damals noch diesseitig mit dem Tod ringenden Papstes, eine Blutkonserve angelegt – für alle frommen Fälle. Nun konnte - pars pro toto – das Lebenselixier bestaunt werden.

Natürlich hatte diese Veranstaltung nur in einem ganz bestimmten Sinn etwas mit der kirchlichen Realität zu tun: Sie war ein besonders ausgefallenes Beispiel eines großen Versteckspiels, mit dem vor allem seitens der römischen Oberkirche die wahre Krisensituation der Kirche verschleiert wird. Wie die Monarchisten im britischen Empire, so bekommen die ewig Gestrigen in der Kirche von ihrem Monarchen das gewünschte und gerne gewährte Futter: panem et circenses.

Glaubt man wirklich, auf diese Weise die Kirche auf die Höhe der Zeit zu bringen, eben ein Aggiornamento zu bewerkstelligen? Ist man so systemblind, dass man die Peinlichkeit eines solchen Personenkults - mit den aberwitzigen Bedingungen für seine kanonische Rechtmäßigkeit – nicht sieht? Ist der Theologe auf dem Papstthron denn von allen guten Geistern verlassen und hat selbst die einfachsten theologischen Grundbegriffe vergessen, z.B. zur Heiligkeit (jedes Getauften als Tempel des Hl. Geistes)? Kann man die Seligpreisungen Jesu so missverstehen, dass man sie bei einer Seligsprechung außer Kraft setzt, wenn man denn überhaupt meint, sie vornehmen zu müssen?

Rom blamiert sich, so gut es kann – und entlarvt auf diese Weise die eigene Gesinnung: Mit den Wölfen heulen, des „Volkes“ Stimme hören bzw. sie zum Vorwand der eigenen Interessen machen. Wenn es in die eigenen allzu menschlichen Absichten passt, dann wird in den Ohren der sonst so Tauben die „vox populi“ als „vox Dei“ vernommen oder besser: umgedeutet.

Im Heute kommt die Kirche nicht an, wenn sie nur auf derselben Klaviatur wie die Medien- und Eventgesellschaft spielt. Das ist nicht nur falsche Anpassung, sondern Anbiederei, ein modischer Anstrich – beklemmend ähnlich einem getünchten Grab.

Ut

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„Zeichen der Zeit“ – Wegzeichen der Kirche...
Überlegungen zu zeitgemäßen Auswegen aus der Glaubens- und Kirchenkrise

Auf unterschiedlichen Ebenen, in unterschiedlichen Zusammenhängen wird im Augenblick heftig darüber gestritten, mit welchen Antworten und Veränderungen die römisch-katholische Kirche auf die recht verschieden interpretierten Krisensymptome reagieren soll. Dass die im Untertitel markierte Unterscheidung von Glaubens- und Kirchenkrise keinen Gegensatz, sondern vielmehr eine enge Verzahnung anspricht, wird hier nur kurz erwähnt. Dazu ist den Verfechtern des Status quo schon Passendes ins Stammbuch geschrieben worden. Hier soll vielmehr über die Bedingungen einer theologisch angemessenen Suche nach Lösungen reflektiert werden.

Eine der wesentlichen Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils war es, die Welt nicht als das ganz Andere, als Gegenüber zu verstehen, das man in kirchlichem Sinne bloß zu gestalten bzw. zu beeinflussen habe. Vielmehr wurde die Welt als Lernort der Kirche entdeckt. Darum verweist das Konzil in vielen Texten auf die Veränderungen in der Gesellschaft als Grund für die Kirche, über sich und ihre Verkündigung nachzudenken. Vor allem in den ersten 10 Artikeln der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ wird dieser Zusammenhang unter dem Stichwort der „Zeichen der Zeit“ angesprochen. Programmatisch heißt es dort: „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, ihre Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen.“

Die Zeichen der Zeit können natürlich nur theologische Qualität besitzen, wenn ein Handeln Gottes in der Geschichte vorausgesetzt wird – wenn also (um es etwas lax zu formulieren) Gott schon vor der Kirche in der Welt ist. Mit dieser Sichtweise unterscheidet sich übrigens das letzte Konzil vom 1. Vaticanum. In ihm bzw. in seiner supranaturalistisch – mythischen Weltsicht stehen Heils- und Weltgeschichte nebeneinander. Diese Kluft überbrückt das 2. Vaticanum, wenn es die Offenbarung Gottes auch als ein Aufdecken der Zeichen der Zeit versteht, in denen Gottes Geist hier und jetzt handelt. Dies geschieht natürlich nicht in direkter, gleichsam „wunderbarer“ Weise, sondern vermittelt. Das Handeln Gottes in der Welt „setzt“ die Freiheit des Menschen und wirkt in ihr und durch sie. Auch Gott und Mensch handeln nicht parallel, sondern in einem „Fundierungsverhältnis“, in dem Gott das menschliche Tun als antwortendes, als glaubendes konstituiert. „Er bewirkt alles in allen“ ( 1 Kor 12, 6; vgl. zum Ganzen: P. Hünermann, Gottes Handeln in der Geschichte – Theologie als Interpretatio temporis; in: Freiheit Gottes und der Menschen, FS Thomas Pröpper, Regensburg 2006, 10-135.) Für eine Kirche, die die Menschwerdung Gottes verkündet und an den „Gott-Mensch“ Jesus Christus glaubt, müsste die Geschichte und damit die Gegenwart mit ihren Zeitsignaturen als Such- und Fundorte des Handelns und Willens Gottes selbstverständlich sein.

Doch die Zeichen der Zeit sind zunächst nur ein formales Kriterium für die Suche nach Lösungswegen; sie sind inhaltlich nicht eindeutig, sondern vielmehr multi-valent. Als historische Ereignisse handelt es sich bei ihnen ja nicht um Glaubenszeugnisse. Wie können wir also die Zeichen, die eine Epoche zu bestimmen scheinen, als Ausdruck göttlichen Handelns oder seiner vermittelten Willensäußerung bzw. des Gegenteils, als deren Infragestellung, erkennen? Wie werden also aus den Ereignissen und geschichtlichen Strukturen „Zeichen der Zeit“?

Das 2. Vaticanum nennt eine Reihe solcher Zeichen: tiefgehende und rasche soziale und kulturelle Umgestaltung; Ausweitung der menschlichen Macht; extreme Spannungen und widerstreitende Kräfte in Gesellschaft, Wirtschaft und Lebensbedingungen; psychologische, sittliche und religiöse Wandlung; Störung des Gleichgewichts; Streben nach einem menschenwürdigen Leben (GS, Art. 4 – 9). Auch eine solche Aufzählung, eine scheinbare Konkretisierung lässt uns zunächst ratlos. Denn was an diesen Phänomenen macht sie zu „Zeichen der Zeit“, in denen wir Signale Gottes ausmachen können? Der Schluss des Artikels 10 (a.a.O.) kann einen Hinweis geben: „Im Licht Christi also ... will das Konzil alle Menschen ansprechen, um das Geheimnis des Menschen zu erhellen und mitzuwirken dabei, dass für die dringlichsten Fragen unserer Zeit eine Lösung gefunden wird.“

Diese Einladung des Konzils an „alle Menschen“ ist konsequent, wenn denn die Welt Ort der Gegenwart Gottes ist. Dann verfügt nämlich die Kirche nicht über ein Geheim(nis)-Wissen, mit dem sie den anderen die Geheimnisses des Lebens und der Menschen erklären könnte. Sie steht vielmehr mit ihren Zeitgenossen vor dem Geheimnis des Menschen und vor den vielfältigen Rätseln ihrer Existenz und muss gemeinsam mit ihnen die schwierige Aufgabe der Entzifferung der Zeichen angehen. Nicht als ob die Kirche bei diesem Prozess einfach mit leeren Händen, vom Nullpunkt beginnen müsste; aber ihre Ausgangsposition ist keine grundsätzlich andere als die ihrer Wegbegleiter. Sie hat also keinen Fundus, aus dem sie dann die Lösungen oder auch nur die Interpretationsinstrumente nehmen könnte. Vielen in der Kirche wird es schwer fallen, ins „Glied zurückzutreten“, sich in die ungewohnte Rolle des Mit-Lernenden einzufinden.

Welche Kriterien aber sind für die gemeinsame Suchbewegung maßgebend? Die Forderung Kants, dass alles sich vor dem „Gerichtshofe der Vernunft“ zu verantworten habe, gilt auch hier. Nur kommunikable, weil vernünftige - grundsätzlich für alle nachvollziehbare - Argumente, können darüber entscheiden, welche Ereignisse und Prozesse nicht nur Tagesaktualität haben und entsprechende Aufgeregtheiten verursachen, sondern eine Epoche prägen und damit entsprechende Entscheidungen verlangen. Auch die Richtung dieser Entscheidungen können wir uns von Kant angeben lassen: Sie müssen der Würde des Menschen dienen, die in deren Freiheit gründet. Dieses Kriterium dürfte der Kirche ja nicht wesensfremd sein, obwohl sie sich bis heute schwer tut, die positiven Errungenschaften der Moderne anzuerkennen und in ihren eigenen Reihen umzusetzen, um sich dadurch endlich von ihrem Antimodernismuskampf und -trauma zu „erholen“.
Zeichen der Zeit sind also solche, in denen sich die Not einer Zeit und ihrer Menschen, ihr Ringen um Freiheit oder deren Verhinderung, ihr Verlangen nach Respektierung ihrer Menschenwürde oder deren Missachtung äußern. Für die Kirche könnte man formulieren: In den Zeichen der Zeit findet „Der Kampf um das Menschliche als Ringen um das Göttliche“ (Überschrift zu einem Artikel von J. Röser über L. Tolstoi in CiG, 48/2010, 353) statt.

Zwei Schlussbemerkungen:

So wie die Zeichen der Zeit geschichtlich sind, so bleiben es auch deren Interpretationen. Auch sie sind gebunden an die Erkenntnis- und Entscheidungsbedingungen einer bestimmten geschichtlichen Spanne und damit begrenzt. Selbst wenn man unumkehrbare Etappen geschichtlicher Einsichten annimmt, z.B. die wesentlichen Errungenschaften der Aufklärung, unveräußerliche Menschenrechte etc., wird man immer wieder um entsprechende Aktualisierungen und Weiterentwicklungen ringen müssen.

Da die Zeichen einer Epoche und deren Interpretation nicht eindeutig sind, können interessegeleitet manche Entwicklungen und Zustände als solche „Zeichen“ ausgegeben werden, z.B. die „Allmacht“ des Marktes; eine bestimmte, angeblich alternativlose Geldwirtschaft; Lebensstile; Machtkonstellationen. Ihnen gegenüber müsste die Kirche dann selbst zum Zeichen des Widerspruchs werden und sie als inhuman entlarven. Gemeinsam mit „allen Menschen“ müsste sie dann „Gegen-Zeichen“ als Zeichen der Zeit setzen, in denen das Handeln Gottes in der Geschichte aufscheinen kann.

Ut.

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Fides quaerens intellectum
„Glaube verlangt nach Einsicht“

Dieses berühmte Zitat von Anselm von Canterbury (1033-1109) hat wieder Konjunktur. Meist wird es verharmlosend im Sinne einer religiösen Weiterbildung verstanden, die niemandem wehe-tut, weil sie ungelöste Fragen verschweigt. Selbst Benedikt XVI. hat daran sein Wohlgefallen. Für Anselm seinerseits war das eine höchst brisante Aussage. In absehbarer Zeit dürften waghalsige Kompromisse zwischen Rom und der Lefebvre-Sekte (Selbstbezeichnung: Priesterbruderschaft St. Pius X.) zu erwarten sein. Alles getreu der päpstlichen Maxime, das Konzil im Sinne der Tradition auszulegen! Deshalb führt es weiter, aus der Geschichte zu lernen. Dieses Mal dürfte der Kompromiß mit den Lefebvre-Leuten darauf hinauslaufen, gemeinsam festzustellen, daß die Lehre des Konzils, etwa im Sinne der Religionsfreiheit, nicht neu war, sondern schon der allzeitigen kirchlichen Lehre entspricht. Denn es war stets verboten, Gewalt anzuwenden, um jemanden zum Glauben zu nötigen. Im Zeitalter des aufkommenden Nominalismus beteuerte Anselm (in Proslogion): Ich will nicht verstehen, um zu glauben (glauben zu können), sondern glaube, um Einsicht zu gewinnen (Neque enim quaero intelligere ut credam, sed credo ut intelligam). Sollte der vermutete Kompromiß zustande kommen, hätte Ratzinger für dieses Mal die „Einheit der Kirche“ mit den Fundamentalisten gerettet, die ihm so sehr am Herzen liegt, während er offenbar durch die Abwendung Tausender von der reformunfähigen Kirche sich weniger beunruhigt zeigt.

Diese Apologetik „verdeckt den Widerspruch, vor den sich Anselm gestellt sah, als er die unbedingte Autorität der Schrift wiederherstellen wollte. So muß er einerseits die absolute Wahrheit der Schrift voraussetzen, um sie als Quelle der subalternen Wahrheit des Verstandes in Anspruch nehmen zu können. Andererseits muß er die Gewaltsamkeit der Antidialektiker meiden. Denn deren radikale Negation der weltlichen Wissenschaft führte notwendig zur Apologie eines bestimmungslosen Gottes, der in keinem begreiflichen Zusammenhang mit der Wahrheit steht, die dem menschlichen Verstande erreichbar ist.“ Diese Erläuterung gibt Günther Mensching in seinem Werk „Das Allgemeine und das Besondere“, Stuttgart 1992, S. 106ff.

Er fährt fort: „In elementarer Form tritt hier ein apologetisches Verfahren auf, dessen der Katholizismus bis in die neueste Zeit sich bedient hat: Eine wissenschaftliche Theorie, die gegen die Autorität der Kirche sich entwickelt hat und von ihr deshalb zunächst verfolgt wurde, erlangt unbestreitbare Evidenz ihrer Resultate, so daß die kirchliche Autorität, die ja mit dem Wissen einig sein will, sie anerkennen muß; dies tut sie jedoch um den Preis, daß das Neue in dem fundiert wird, was die Autorität von jeher gelehrt hat. Die stets vorausgesetzte Wahrheit des christlichen Glaubens ist damit der Grund aller Wahrheit, auch derjenigen, die gegen die Autorität opponiert. Evidenz und Herrschaft sind hierbei wiederum verschränkt. Zwar ist es das Bestreben dieser integrierenden Apologetik, die Kontinuität des scheinbar Disparaten herzustellen, den Widerspruch zu tilgen und damit die Einheit des Bewußtseins zu bewahren, aber die Wahrheit des Grundes, der alles begründen soll, wird nicht in Frage gestellt. Sie ist eine bloße Voraussetzung, deren Evidenz behauptet, aber nicht bewiesen ist.“

Kl.

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