„Mit Kreuz und Koran für die Freiheit“

Im Kampf gegen das Mubarak-Regime standen ägyptische Christen und Muslime Seite an Seite.

Doch nur wenige Wochen nach dem Sturz des Machthabers kam es in Kairo zu Zusammenstößen zwischen Gläubigen beider Religionen. Bischof Kyrillos William, Oberhaupt der christlichen Kirche in der ägyptischen Provinz Assiut, spricht im Interview über das Zusammenleben der Religionen und die Zukunft der Demokratie in
Ägypten.

Im Mai überfielen Muslime eine Kirche im Kairoer Stadtteil Imbaba. Wie sehr hat dieses Ereignis das Verhältnis von Christen und Muslimen in Ägypten belastet?

Bischof Kyrillos William: Das ist eine komplizierte Frage. Denn an und für sich ist das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen sehr gut. Wir haben ja gesehen, wie die Leute auf dem Tahrir-Platz zusammengehalten haben. Wie Christen Muslime schützten, als sie beteten, und wie Muslime Christen schützen, als diese beteten. Ich habe in einer Zeitung gelesen, dass eine Christin einem Muslim Wasser reichte, als dieser sich fürs Beten vorbereitete. Diese Geschichte hat mir gezeigt: Die Revolution ist erfolgreich, Muslime und Christen kämpfen gemeinsam mit Kreuz und Koran für die Freiheit.

Wie konnte es dann zum Überfall in Imbaba kommen?

Was in Imbaba passierte, hat viele Gründe, hauptsächlich politische. Zum einen gibt es eine sehr radikale Gruppe, die Salafisten, die extrem intolerant sind. Zum anderen haben wir seit dem 25. Januar kaum noch Polizeipräsenz auf den Straßen, also auch kaum Sicherheit. Gleichzeitig haben einige Leute großes Interesse daran, Chaos zu verursachen. Sie wollen, dass die Menschen mit Sehnsucht an die scheinbare Ruhe und Sicherheit der Vergangenheit denken.
Christen und Muslime haben in Ägypten eigentlich immer in Frieden zusammengelebt. Ab und zu gab es Unruhen. Wie jetzt herauskam, steckte hinter vielen Ausschreitungen der Geheimdienst.

Er hat die Unruhen provoziert, eine Gruppe gegen die andere aufgestachelt, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und so das Regime zu stärken.

Schuld hat also der Geheimdienst und nicht anti-christliche Einstellungen in der Gesellschaft?

Normalerweise bewachen Polizisten die christlichen Kirchen. Aber 18 Tage lang, vom 25. Januar bis zum 11. Februar, dem Tag, an dem Mubarak zurücktrat, war kaum Polizei auf den Straßen. In dieser Zeit wurde keine einzige Kirche angegriffen. Imbada kam danach. Und auch hier halfen nach dem Vorfall viele Muslime den Christen in diesem armen Viertel freiwillig, die Kirche wieder aufzubauen. Der Gouverneur übernahm die Kosten, und Mitte Juni hat der Ministerpräsident die Kirche wiedereröffnet.

Gibt es Christen und Muslime, die sich für ein friedliches Zusammenleben einsetzen?

Ja, ich kenne sehr viele. Auch bei uns in Assiut. Zum Beispiel wurde im Februar ein orthodoxer Priester ermordet. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es den Verbrechern nur um Geld ging.

Anfangs aber spachen viele konfessionelle Gründe für das Verbrechen.

Die Gefahr bestand nun, dass Fanatiker beider Seiten Assiut ins Chaos stürzen. Wir mussten schnell reagieren. Vertreter der drei christlichen Konfessionen verhinderten Demonstrationen von Christen, um die Stimmung nicht weiter anzuheizen. Trotzdem wuchsen die Spannungen zwischen den Religionen. Also schrieben wir ein Dokument, das in allen Kirchen verlesen wurde.

Darin appellierten wir an die Klugheit und Friedfertigkeit der Gläubigen. Zusätzlich trafen wir uns mit Vertretern des Islams. Ich schlug vor, uns auch in der Öffentlichkeit zu treffen, damit die Leute uns zusammen sehen. Und ich beschwor den Geist des Tahrir-Platzes, als Christen und Muslime gemeinsam für die Freiheit kämpften. Diesen Geist wollten wir verbreiten. Und so sprachen drei Muslime und drei Christen in einer evangelischen Kirche, in einer katholischen Kirche und in einer Moschee.

Dann lud uns der Polizeikommandant ein, auch auf Provinzebene interreligiös zusammenzuarbeiten. Gemeinsam beschlossen wir drei Dinge: Die Gründung eines Vereins, in dem Muslime und Christen für die ganze Gesellschaft arbeiten, die Gründung einer muslimischchristlichen Gruppe kluger Menschen, die verhindern soll, dass Ausschreitungen in einem Teil Ägyptens auf unsere Provinz übergreifen, und drittens regelmäßige Treffen von Vertretern der beiden Religionen in allen Städten und Dörfern unserer Provinz. So können wir unser friedliches Zusammenleben bewahren.

Sehen Sie Chancen, dass der Demokratisierungsprozess die Lage der ägyptischen Christen verbessern könnte?

In dieser Hinsicht bin ich zuversichtlich. Bis Dezember demonstrierten die Christen nur innerhalb der Kirche. Das hat unsere Brüder, die Muslime, provoziert, während die übrige Welt von den Protesten keine Notiz nahm. Aber Anfang Januar, nach dem Anschlag auf die Kirche in Alexandria, fanden die Christen zum ersten Mal den Weg auf die Straße. Sie demonstrierten gemeinsam mit den muslimischen Ägyptern für ihre Rechte und zeigten der Welt, dass sie nicht nur Christen, sondern auch ägyptische Staatsbürger sind. Seit dieser Zeit wird die Stimme der Kopten gehört.

Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Früher waren Christen Bürger zweiter Klasse. Oft genug wurden sie bei der Ämtervergabe diskriminiert, bestimmte Posten durften sie von vorneherein nicht einnehmen. Ein wenig hat sich das schon geändert. So gibt es zum ersten Mal christliche Offiziere im neuen staatlichen Geheimdienst. Früher wäre so etwas undenkbar gewesen. Und eine Gesetzesänderung wird Kirchen und Moscheen gleichstellen. Wir hoffen, dass Ägypten auf diesem Weg bleibt.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr für die Demokratie ein, die derzeit von radikalen Kräften ausgeht?

Nach der Meinung von Experten haben radikale Kräfte wenige Chancen. Sie machen zwar viel Propaganda, werden aber wohl nicht mehr als 20 Prozent bei den Parlamentswahlen erhalten.

Ich bin überzeugt davon, dass die Jugendlichen es nicht zulassen werden, dass sich fundamentalistische Gruppierungen durchsetzen. Die jungen Leute haben drei Dinge gefordert:

Brot, Freiheit und Gerechtigkeit. Sie wollen Demokratie, einen zivilen Staat. Sollten die Extremisten versuchen, sich durchzusetzen, werden die Jugendlichen wieder auf die Straße gehen.

Wird Ägypten den Wiederaufbau aus eigener Kraft schaffen?

Wir brauchen Hilfe. Viele europäische und arabische Länder und die Vereinigten Staaten haben sich bereit erklärt, uns zu unterstützen. Wir haben viel verloren durch die Revolution, vor allem Tourismus und Industrieproduktion haben gelitten. Alleine schaffen wir das nicht.

Das Interview führte Petra Kilian im Auftrag des Hilfswerkes Misereor

(Zur Person: Bischof Kyrillos William: Der 64-Jährige ist seit 1993 Bischof der Provinz Assiut. Hier gründete Bischof Kyrillos William, der in Rom studiert und promoviert hat, das erste Entwicklungsbüro in Oberägypten. Heute arbeitet die christliche Kirche in Assiut unter anderem in den Bereichen Frauenförderung, Gesundheit, Bildung, Jugendarbeit und ländliche Entwicklung. MISEREOR unterstützt in der Diözese Assiut derzeit sechs Projekte, in ganz Ägypten fördert das Hilfswerk über 45 Projekte.)


© imprimatur Oktober 2011
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