Pfarrer-Initiative ruft zu Ungehorsam auf

Am 19. Juni 2011, dem Dreifaltigkeitssonntag, hat die mehr als 300 Mitglieder zählende österreichische Pfarrer-Initiative einen „Aufruf zum Ungehorsam“ veröffentlicht. Der Text im Wortlaut:

Die römische Verweigerung einer längst notwendigen Kirchenreform und die Untätigkeit der Bischöfe erlauben uns nicht nur, sondern sie zwingen uns, dem Gewissen zu folgen und selbständig tätig zu werden:

Wir Priester wollen künftig Zeichen setzen:

1 WIR WERDEN in Zukunft in jedem Gottesdienst eine Fürbitte um Kirchenreform sprechen. Wir nehmen das Bibelwort ernst: Bittet, und ihr werdet empfangen. Vor Gott gilt Redefreiheit.

2 WIR WERDEN gutwilligen Gläubigen grundsätzlich die Eucharistie nicht verweigern. Das gilt besonders für Geschieden-Wiederverheiratete, für Mitglieder anderer christlicher Kirchen und fallweise auch für Ausgetretene.

3 WIR WERDEN möglichst vermeiden, an Sonn- und Feiertagen mehrfach zu zelebrieren, oder durchreisende und ortsfremde Priester einzusetzen. Besser ein selbstgestalteter Wortgottesdienst als liturgische Gastspielreisen.

4 WIR WERDEN künftig einen Wortgottesdienst mit Kommunionspendung als „priesterlose Eucharistiefeier“ ansehen und auch so nennen. So erfüllen wir die Sonntagspflicht in priesterarmer Zeit.

5 WIR WERDEN auch das Predigtverbot für kompetent ausgebildete Laien und Religionslehrerinnen missachten. Es ist gerade in schwerer Zeit notwendig, das Wort Gottes zu verkünden.

6 WIR WERDEN uns dafür einsetzen, dass jede Pfarre einen eigenen Vorsteher hat: Mann oder Frau, verheiratet oder unverheiratet, hauptamtlich oder nebenamtlich. Das aber nicht durch Pfarrzusammenlegungen, sondern durch ein neues Priesterbild.

7 WIR WERDEN deshalb jede Gelegenheit nützen, uns öffentlich für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt auszusprechen. Wir sehen in ihnen willkommene Kolleginnen und Kollegen im Amt der Seelsorge.

Im Übrigen sehen wir uns solidarisch mit jenen Kollegen, die wegen einer Eheschließung ihr Amt nicht mehr ausüben dürfen, aber auch mit jenen, die trotz einer Beziehung weiterhin ihren Dienst als Priester leisten. Beide Gruppen folgen mit ihrer Entscheidung ihrem Gewissen – wie ja auch wir mit unserem Protest. Wir sehen in ihnen ebenso wie im Papst und den Bischöfen „unsere Brüder“. Was darüber hinaus ein „Mitbruder“ sein soll, wissen wir nicht. Einer ist unser Meister – wir alle
aber sind Brüder. „Und Schwestern“ – sollte es unter Christinnen und Christen allerdings heißen. Dafür wollen wir aufstehen, dafür wollen wir eintreten, dafür wollen wir beten. Amen.

Bischof Kapellari: Kein Sonderweg für Österreich!

Die Reaktion der österreichischen Bischöfe auf diese „unerhörte“ Aktion der Pfarrerinitiative um den ehemaligen Wiener Generalvikar Helmut Schüller ließ nicht lange auf sich warten. Bereits wenige Stunden nach Verbreitung dieser „Presse"-Meldung meldete sich der Vizevorsitzende der Bischofskonferenz Egon Kapellari ungewöhnlich rasch und deutlich via Katholische Presseagentur zu Wort - mit einer Erklärung, die im Einvernehmen mit Kardinal Christoph Schönborn und mit dessen voller inhaltlicher Zustimmung formuliert wurde.

„Die selektive Wahrnehmung der jetzigen Gesamtsituation der Kirche in Österreich und daraus abgeleitete Forderungen werden zwar vielen Menschen als plausibel erscheinen, gefährden aber auf schwerwiegende Weise die Identität und Einheit der katholischen Kirche. Es ist legitim, Sorgen und Anliegen aus den Pfarrgemeinden auch öffentlich zur Sprache zu bringen. Es ist aber etwas ganz anderes, dabei zu Ungehorsam aufzurufen und die gemeinsame Gestalt der Weltkirche zu gefährden und gemeinsame Verpflichtungen einseitig aufzukündigen." Als Bischof, so Kapellari weiter, stelle er sich dem Aufruf zum Ungehorsam in der katholischen Kirche „klar und entschieden" entgegen. Den pastoralen Nöten der Kirche müsse ohne Verdrängung begegnet werden, was auch geschehe. Die Situation sei den Bischöfen wie dem Papst bekannt, Gespräche darüber habe es gegeben und werde es weiterhin geben. „Ein nüchterner Blick auf das Ganze von Kirche und Gesellschaft lässt aber keinen Notstand erkennen, der einen Sonderweg der Kirche in Österreich außerhalb der Weltkirche auch nur rational rechtfertigen würde. Die Verbindung mit der Weltkirche und mit dem Papst gehört zu unserer unaufgebbaren Identität."

Kardinal Schönborn: Sie sollen die Kirche verlassen!

Noch weit härter als sein Kollege Kapellari geht der Wiener Kardinal Christiph Schönborn mit den aufsässigen Pfarrern ins Gericht. Im Mitarbeitermagazin „thema kirche“ hat er den „Aufruf zum Ungehorsam“ als „schmerzliche Verwundung der Einheit“ verurteilt. Er habe ihn „erschüttert“ und mit „Zorn und Trauer erfüllt.“

Schönborn gesteht keine Reformbedürftigkeit der Kirche ein, sondern ruft reuelose Kritiker indirekt zum Abfall von Rom auf: „Wenn es zur Gewissensfrage wird, dem Papst und dem Bischof gegenüber ungehorsam zu werden, dann ist eine neue Stufe erreicht, die zu einer klaren Entscheidung drängt.“ Dem Gewissen sei immer Folge zu leisten: „Der selige Franz Jägerstätter hat in einsamer Gewissensentscheidung den Kriegsdienst in Hitlers Armee verweigert, um den Preis seines Lebens“. Schönborns Folgerung: „Wer im geprüften Gewissen zur Überzeugung kommt, dass Rom auf einem Irrweg ist, der gravierend dem Willen Gottes widerspricht, müsste im äußersten Fall die Konsequenz ziehen, den Weg nicht mehr mit der römisch-katholischen Kirche zu gehen.“ Er glaube und hoffe jedoch, „dass dieser äußerste Fall hier nicht eintritt.

Auch Laien stellen sich gegen Rom

Die kirchlichen Reformbewegungen „Laieninitiative“ und „Wir sind Kirche“ unterstützen den „Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrer-Initiative: die Kirchenleitung sei seit Langem zu keinem ernsthaften Dialog über „heiße Eisen“ bereit, heißt es in einer Erklärung der Plattform „Wir sind Kirche“. Daher habe man nun auf der Website wir-sind-kirche.at die Rubrik „Verbotenes“ eingerichtet. Hier können Gläubige anonym über jene Erfahrungen berichten, wie sie die Verbote Roms ignorieren. In dieselbe Kerbe schlägt auch die „Laieninitiative“: Verheirateten (und Frauen) das Priesteramt zu öffnen, ist eine ihrer Forderungen. „Wir haben nicht genügend Priester zur Verfügung“, sagt der interimistische Leiter der Laieninitiative, Peter Pawlowsky, zur „Presse“, „weil manche das Amt verlassen, nachdem sie geheiratet haben.“ Sein Vorgänger, der ehemalige Volksanwalt Herbert Kohlmaier, war mit massiver Kritik an Papst und Kirche zurückgetreten. Einen neuen Leiter wolle man „in absehbarer Zeit“ finden, so Pawlowsky.

Unterdessen hat sich die oberösterreichische Niederlassung der Laieninitiative in einem Brief an den Bischof Ludwig Schwarz gewandt. Darin heißt es wörtlich: „Wir Laien werden in Zukunft nicht mehr fragen, sondern tun (...) Wir werden die Priester in unserer Umgebung ermutigen zum Widerstand gegen die Lasten, die ihnen aufgebürdet werden.“ Daher würden auch sie den Aufruf zu Ungehorsam unterstützen. „Muss erst ganz Österreich zu einer einzigen Pfarre schrumpfen oder die Selbstmordrate deutlich steigen, damit die Herren auf den Bischofsstühlen einen Notstand in der Kirche erkennen?“, heißt es in der Erklärung von „Wir sind Kirche“.

Die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände kritisiert die „Pfarrer-Initiative“

Die Laienorganisation lehnt die von der Initiative gewählte Form des Ungehorsams und den öffentlichen Druck als „völlig inakzeptabel“ ab und ruft zur Mäßigung auf. Solches Verhalten dürfe „nicht zum Umgangston innerhalb des Christentums werden“. Die Spitze der katholischen Laienverbände widerspricht auch der Behauptung der „Pfarrer-Initiative“, dass deren Anliegen mehrheitlich von Laien in der Kirche unterstützt würden.

„Ungehorsam kann sich bis zur religiösen Pflicht steigern“

Die scharfe Reaktion des Wiener Erzbischofs auf den „Aufruf“ der Pfarrer-Initiative hat den Vorstand der Laieninitiative bewogen, Kardinal Christoph Schönborn Argumente vorzulegen, warum diese kirchenpolitisch höchst bedauerlich und biblisch-theologisch nicht zu rechtfertigen sei. In diesem Zusammenhang erscheint ein Schreiben von Univ.-Prof. Dr. Heribert Köck besonders erwähnenswert. Der angesehene Völker- und Europarechtler, der auch Honorarprofessor an der päpstlichen Diplomatenakademie in Rom war, schreibt:

“Erlauben Sie mir, noch ein Argument aus dem Bereich des Naturrechts beizubringen, das ja bekanntlich als ius divinum naturale für die Kirche ebenfalls verbindlich ist. Es geht um das legitime Widerstandsrecht, das die Pfarrerinitiative bei ihrem „Aufruf zum Ungehorsam“ ganz offenbar in Anspruch nimmt. Darin wird zum Widerstand gegen unzeitgemäße kirchliche Regeln aufgerufen. Dieser Widerstand soll zu einem allgemeinen Umdenken in der Kirche führen.
Ein solcher Widerstand ist naturrechtlich (d.h. aufgrund des ius divinum naturale) gerechtfertigt. HERBERT SCHAMBECK schreibt in seinem Beitrag „Widerstand“ im Katholischen Soziallexikon, 2. Aufl. Wien etc. 1980, 3343 ff., der sich mit dem Widerstand gegen den Staat befasst, dass dieser „in all jenen Fällen gerechtfertigt [ist], in denen sich der Staat über seine Ordnungsaufgaben hinwegsetzt.“

Was für den Staat gilt, muss in gleicher Weise auch für die Kirche gelten. In diesem Sinne schreibt ERICH GARHAMMER in seinem Beitrag zum Thema „Widerstand, Widerstandsrecht“ im Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10, 3. Aufl. Freiburg-Basel-Rom-Wien 2001, 1139 ff., auf 1142: „Widerstand kann auch innerkirchlich geboten sein“ und plädiert in diesem Zusammenhang für eine entsprechende „Konflikt- und Streitkultur“. Sein Hinweis auf Gal. 2,11 („Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte“) zeigt deutlich, dass von einem solchen Widerstand keine kirchliche Instanz, wie hoch sie auch immer sein mag, ausgenommen ist. Wenn Paulus dem Petrus „Heuchelei“ und ein „Abweichen von der Wahrheit des Evangeliums“ vorwerfen musste (Gal. 2, 13 f.), kann Ähnliches auch heute geboten sein.

Da sich die Ausübung des Widerstandsrechts gegen „ungerechte“ (d.h. inhaltlich verfehlte und/oder gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßende) Anordnungen und Akte der Obrigkeit wendet, liegt es in der Natur der Sache, dass sie nicht von einer Genehmigung durch eben diese Obrigkeit abhängen kann. In diesem Sinn schreibt SCHAMBECK (a.a.O.), dass sich die Obrigkeit dagegen „auch nicht durch einen Eid helfen“ könne. Bei schweren Verstößen könne sich der Ungehorsam „bis zur religiösen Pflicht des Widerstandes steigern.“ (Mit Berufung auf LEO XIII., nach welchem unter bestimmten Verhältnissen „Widerstand Pflicht, Gehorsam aber Verbrechen“ sein kann.)

Nach SCHAMBECK (a.a.O.) ist Widerstand „eine Gewissensentscheidung des Einzelmenschen und verlangt nach wie vor Zivilcourage, die ein Kennzeichen jeglichen Widerstandes ist.“ Ob sich also jemand im konkreten Fall zum Widerstand berechtigt oder verpflichtet fühlt, ist seine Gewissensentscheidung, die ihm niemand abnehmen kann. Auf sie durch offenen oder versteckten gesellschaftlichen Druck oder durch die Androhung bestimmter Nachteile Einfluss nehmen zu wollen, wäre dementsprechend unzulässig und ungehörig.

Da das Widerstandsrecht – auch das innerkirchlich geübte – auf dem Naturrecht und damit auf natürlichem göttlichem Recht beruht, kann es durch menschliches Recht weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden. Keine Norm des Kirchenrechts kann daher in einem solchen Sinn verstanden werden.

Ob der Einzelne im konkreten Fall Widerstand für gerechtfertigt oder gar geboten ansieht, ist (wie gesagt) eine Gewissensfrage, die ihm niemand abnehmen kann, weder sein Bischof noch der Papst. Die für den Widerstand nötige Zivilcourage aufzubringen, erscheint mir – gerade in Anbetracht des heutigen repressiven Klimas in der Kirche – schon in sich selbst ausreichendes Zeichen dafür zu sein, dass hinter einem Akt des Widerstandes, wie der „Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrer-Initiative einer ist, eine wohlüberlegte und im Gewissen ausreichend abgewogene persönliche Entscheidung steht.

Sich dagegen auf die Pflicht zum Gehorsam gegenüber Bischof und Papst zu berufen, zeigt ein völliges Unverständnis nicht nur gegenüber den Anliegen, die mit diesem Akt des Widerstandes verdeutlicht werden sollen, sondern auch gegenüber dem Institut der Widerstands und damit der Letztverantwortlichkeit des Gewissens schlechthin.

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Kardinal, lieber Herr Erzbischof, sich unter diesen Umständen darauf berufen, dass Sie ja auch gegenüber dem Papst („right or wrong“) Gehorsam üben, dann ist das nicht geeignet, Ihre scharfe Kritik am „Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrer-Initiative zu rechtfertigen, sondern stellt uns die bange Frage, wie weit unsere Bischöfe in ihrer Selbstverleugnung gegenüber den Fehlentwicklungen des römischen Systems noch gehen werden. Anderen jedenfalls kann man kein sacrificium intellectus oder conscientiae abverlangen.

In der Liebe zur Kirche mit Ihnen vereint, verbleibe ich für heute mit den besten Empfehlungen, Heribert Franz Köck“.

© imprimatur Oktober 2011
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