Karl-Heinz Ohlig
Die dunkle Geschichte des Gottesglaubens
Menschenopfer in der Jahwereligion

Die Religionsgeschichte zeigt, dass es in frühen Epochen in vielen Religionen Menschenopfer gegeben hat, deren erschreckendste Form das Opfer der eigenen oder fremder Kinder war. Diese Opfer hatten den Sinn, der Gottheit das Liebste zu übergeben, das man hatte, um sie wohlwollend zu stimmen. Es hat lange Epochen gedauert, bis die menschliche Entwicklung diese Praxis hinter sich gelassen hat.

Kinderopfer werden auch im Alten Testament erwähnt. Bekannt ist vor allem die Erzählung vom gottbefohlenen Opfer Isaaks durch seinen Vater Abraham, das Gott dann aber im letzten Augenblick verhindert hat (Gen 22). Laut weiteren alttestamentlichen Texten wurden Menschen-, vor allem Kinderopfer dem Gott Moloch dargebracht, wogegen heftig polemisiert wird (vgl. Lev 18,21; 20,2-5; 1Kg 11,7; 2Kg 23,10; Jer 32,35).

Schon H. Groß hat in einer kurzen Erläuterung von Moloch darauf hingewiesen, dass „nach phönik.(isch)-pun.(ischen) Inschriften ... M.(oloch) keine Gottheit, sondern eine bestimmte Opferart“, eben Menschen- und Kinderopfer, meint; er ist aber der Meinung, dass Moloch in Israel mit dem assyrischen und ugaritischen Gott Malik gleichgesetzt wurde, also im Alten Testament eine (nichtisraelitische) Gottheit war[1].

R.M. Kerr ist anderer Meinung. Der kanadische Professor für den alten Vorderen Orient und Kenner der altorientalischen Sprachen hat erst im vergangenen Jahr eine Monographie über die lateinisch-punischen Inschriften publiziert[2] und im gleichen Jahr in einem Beitrag in dem zum Jahresende erschienenen Sammelband von Inârah nachgewiesen, dass die arabische Schrift, mittels derer der Koran niedergeschrieben wurde, das ostsyrische – nicht das altarabische (jemenitische) – Alphabet zur Vorlage hat (also wohl kaum auf der Arabischen Halbinsel entstanden ist)[3]. Jetzt hat er in einem Beitrag in einer bald erscheinenden Festschrift für den Altorientalisten und Alttestamentler C.R. Krahmalkow, University of Michigan, eine philologische Studie zum Begriff Moloch vorgelegt[4].

Er weitet darin die philologischen Untersuchungen über die phönizisch-punischen Beispiele auf den Gebrauch von Moloch in allen semitischen Sprachen aus. Er zeigt in überzeugender Exaktheit auf, dass Moloch in allen seinen Verwendungen kein Gottesname ist, sondern immer eine Opferart, wie ein terminus technicus, bezeichnet, nämlich die Opferung von Menschen und vor allem Kindern an irgendeine Gottheit, die der Adressat der Kulthandlung war. Die gemeinsemitische Wurzel mlk bedeutet „Herrschaft“, „Besitz“, „Verfügungsgewalt“ o.ä. (von da leitet sich auch das hebräische Mäläk für König ab). Bei den Opfern wurden Kinder in den „Besitz“ oder die „Verfügungsgewalt“ der jeweilig verehrten Gottheit übergeben.

Dies bedeutet für die israelitische Religion, dass es in ihrem Binnenraum zwar auch seitens Fremdstämmigen solche Opfer an Baale oder andere Götter gegeben haben mag, aber sie wurden auch von Israeliten praktiziert und ihrem Gott Jahwe dargebracht (vgl. Lev 20,2; 2Kg 23,10, Jer 32,35). Diese Menschenopfer wurden außerhalb des Tempels, an abgelegenen Orten oder auch in Häusern, das Alte Testament gibt z.B. das Hinnom-Tal an (2Kg 23,10, Jer 32,35), von „Laien“ vollzogen.

Die Überwindung dieser Opferpraxis geschah relativ spät, kurz vor dem Exil, im Zuge der deuteronomistischen Reform (die ansonsten, vgl. die ersten vier Kapitel des Deuteronomiums, keine Distanz zu Gewaltanwendung erkennen lässt). Das Verbot dieser Opfer wird gemeinhin auf eine Entwicklung der Jahwereligion zu einer vertieften Humanität zurückgeführt[5].

R.M. Kerr zeigt konkretere Zusammenhänge auf. Die josianische Reform propagierte die sogn. Kultzentralisation: alle Kultpraktiken auf irgendwelchen Anhöhen oder in den Häusern, die von jedermann vollzogen werden konnten, wurden untersagt. Die Verehrung Jahwes durfte nur noch im Tempel in Jerusalem praktiziert werden und war den dort tätigen Priestern anvertraut. „Da gab es keinen Raum mehr für Opfer, die irgendwo und von ‚Laien’ ohne priesterliche Mitwirkung vollzogen werden konnten“ (Kerr).

Von jetzt an waren im Jahwekult keine Molochopfer mehr zulässig, und dies war der Hintergrund und auch die Begründung für die dann einsetzende alttestamentliche Polemik gegen diese Opferpraxis; hierbei wurde dann ausgeführt, dass Jahwe solche Opfer nicht will, in den Texten erscheint dann schließlich Moloch wie ein anderer – nicht-israelitischer – Gott, der im Gegensatz zu Jahwe stand und sich somit leicht kritisieren ließ. Jahwe wurde der, der Menschen- und Kinderopfer ablehnt. Gewissermaßen auf Umwegen gewann somit der Gottesbegriff in der Jahwereligion, ungefähr ab 600 v.Chr., eine vertiefte humane Dimension.


© imprimatur November 2011
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[1]H. Groß, Moloch, in:LThK2, 7,531.
[2]Robert M. Kerr, Latino-Punic Epigraphy. A Descriptive Study of the Inscriptions, Tübingen 2010.
[3]Ders., Von der aramäischen Lesekultur zur arabischen Schreibkultur – Kann die semitische Epigraphik etwas über die Entstehung des Korans erzählen?, in: Markus Groß / Karl-Heinz Ohlig (Hg.), Die Entstehung einer Weltreligion I. Von der koranischen Bewegung zum Frühislam, Berlin 2010, 354-376.
[4]Ders., The Grammar of Moloch.
[5]Vgl. z.B. O. Eißfeldt, Molk als Opferbegriff im Punischen und Hebräischen und das Ende des Gottes Moloch, Halle 1935, 41).