Michael Ebertz
Die Kirche hat keine Kraft mehr zum Dialog
Neues Kirchenbild versus Tradition. Was erleben wir hier?

Wir erleben auf dem Hintergrund des wahnsinnigen Skandals des letzten Jahres, der ja eine tiefe massive Status-Krise der Kirche hervorgebracht hat, nichts weniger als die Tatsache, dass die Kirche, die sich sonst als Moralhüter über die Gesellschaft gestellt hat, sich nun selbst der gesellschaftlichen Moral unterwerfen musste. Auf dem Hintergrund dieser massiven Erschütterung des Status der Kirche im Verhältnis zur Gesellschaft erleben wir nun sozusagen einen zweiten Krisenschub. Der Dialog, der vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz ausgerufen worden ist, der sieht momentan so aus, als ob er nicht zur Bewältigung der Krise dienen könnte, sondern die Krise noch weiter verschärft. Man könnte sagen, die Botschaft von 2010 war „Die Kirche hat vor der gesellschaftlichen Moral kapituliert und jetzt droht eine zweite Botschaft hinauszugehen, die da lautet: sie ist auch nicht einmal in der Lage, diese Krise zumindest kommunikativ zu bewältigen.“ Es zeigen sich tatsächliche Klüfte, die vorher nur für die Insider sichtbar waren.

Die Frage ist natürlich: Wie ist in einer monarchisch gegliederten Kirche, in der der Gehorsam das oberste Prinzip darstellt, Dialog überhaupt möglich? Welche Art von Dialog ist denn da überhaupt gemeint, denn der Gehorsam ist ja auch nonverbal herausgestellt in der Petition von ,pro ecclesia’.

Genau. Also im Grunde muss man dazu sagen, Dialog ist nicht vorgesehen. Es gibt auch kein Einverständnis in der Kirche darüber – unter den Bischöfen – was unter Dialog verstanden und mit welchem Ziel er geführt werden soll. Überhaupt fehlt eine Kultur des freien, offenen Wortes in der römisch-katholischen Kirche. Es gibt keine Instanzen zur innerkirchlichen Konfliktschlichtung. Es gibt keine Vorkehrungen zum Lernen. Es ist nicht einmal dran gedacht, dass es unterschiedliche Interessenlagen und Perspektiven auf das Christentum innerhalb der katholischen Kirche geben könnte. Es heißt, all das hat eigentlich keinen legitimen, zumindest keinen legalen Status und jeder, der den Dialog verweigern will, kann ihn mit Blick auf die Hierarchie und ihre Grundsätze, nämlich Befehl, Gehorsam, Glaubensanweisung, Glaubensgehorsam, verweigern. Dementsprechend ist nach diesem Dialogaufruf, der für viele sehr überraschend kam, auch eine wildwüchsige Form der Kommunikation entstanden, eine Kakophonie, die im Grunde dem Anspruch der Kirche, eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern zu sein, selbst nicht gerecht wird. Wie gesagt – die Botschaft scheint hinauszugehen, dass die Kirche nicht einmal mehr die zivilisatorische Kraft aufbringt, hier kommunikativ zu lernen und mit diesen Dingen umzugehen. Nun, es zeigen sich tatsächlich nun sehr deutlich im öffentlichen Raum ja unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Kirchenbilder. Ich bringe es mal auf den Punkt: Ich glaube, wir stehen in einer vorreformatorischen Situation, eine Situation, wo im Grunde die Kirchenspaltung innerhalb der Kirche nun sehr, sehr deutlich wird. Wir haben eine faktische Kirchenspaltung. Es ist eine vorreformatorische Situation. Ob sie so gelöst wird wie im 16. Jahrhundert ist eine Frage, denn die Menschen sind heute ganz anders gestrickt. Sie können auch so einfach auf Distanz gehen, ohne eine andere Kirche zu wählen. Ja, jeder kann seine eigene Religion heute selbst sozusagen betreiben. Das ist der entscheidende historische Unterschied, aber ich glaube, wir müssen die Situation, in der wir sind, so qualifizieren, um dieser gerecht zu werden.

Ist der Katalysator in dieser Diskussion etwa die Piusbruderschaft, die mit ihren konsequenten Rückwärtsgewandheiten auch bis hin in Theologie und Praxis der Kirche hier aufgemischt hat, überhaupt zu bremsen?

Das ist die eine Seite. Das ist das innerkirchliche Problem, dass hier ein vorkonziliares Kirchenbild nun auch quasi eine Anerkennung durch das Oberhaupt der katholischen Kirche erhalten hat. Die Mehrheit der Mitglieder der Kirche, zumindest in Deutschland, teilt dieses Kirchenbild der Piusbrüder überhaupt nicht, also dieses Befehls-, dieses Gehorsamsmodell. Aber auf der anderen Seite haben wir diese Erschütterung, von der ich eingangs sprach, ja 2010 erlebt und zwar in Deutschland, allerdings ja schon Jahre zuvor in anderen Ländern, z.B. in Irland, wo im Grunde klar wurde, diese Kirche kann den Anspruch, nämlich der Moralhüter der Gesellschaft zu sein, gar nicht einlösen. Die gesellschaftliche Moral ist die stärkere, denn die gesellschaftliche Moral, dass man kleine Kinder, ja, nicht sexuell nötigt und dass man das, wenn es passiert, weil wir alle Sünder sind, dann nicht auch noch in der Haltung des Institutionalismus der Kirchenraison verbirgt, Akten vernichtet, Akten verstümmelt, all das hat einen massiven Zivilisationsschaden hervorgerufen und lässt die Frage aufwerfen, ob die Kirche eigentlich noch ein legitimes Mitglied dieser Gesellschaft sein kann, denn Gesellschaft ist ja auch immer ein moralischer Zusammenhang. Das ist die entscheidende Erschütterung und eigentlich müsste man ganz anders auf diese massive Statuskrise antworten. Aus Fehlern müsste man lernen und jetzt müsste ein Lernprogramm sozusagen laufen. Und jetzt zeigt sich die Kirche im Grunde, momentan zumindest, als nicht gerade lernfähig und zivilisationsfähig.

Ich höre aus Ihren Worten heraus, dass Sie befürchten, dass die Ansätze einer Diskussion bzw. auch das Aufarbeiten des Missbrauchs in der Kirche letztlich im Sande verlaufen wird und man irgendwann, weil die Leute auch nicht mitziehen, dann zur Tagesordnung zurückkehren wird. Aber zu welcher Tagesordnung? Wenn man nämlich verschiedene Gruppierungen sieht, Sie haben eben ja die Gehorsamsstruktur noch mal angesprochen, dass es ja auch verschiedene neue Gruppierungen innerhalb der katholischen Kirche gibt, die ja genau auf diesen absoluten Gehorsam setzen, um auf diese Weise zu den Pressure-Groups zu gehören, aber die Befürchtung steht natürlich im Raum, dass es gerade diese Gruppierungen sind, die die Kirche atomisieren.

Ja, also, man weiß natürlich nicht, wie es ausgehen wird. Wenn ich mal eine klassische Unterscheidung von Max Weber heranziehen darf. Max Weber hat einmal gesagt: „Der Klerus steht immer an drei Fronten. Einmal muss er sich arrangieren mit dem Laientraditionalismus, der im Grunde Innovationen verhindern will – Stichwort Piusbrüder. Der Klerus steht an der Front gegen die Laienprophetie, dass es also Menschen gibt, die eine persönliche Glaubensoffenbarung für allgemeingültig proklamieren. Auch da muss er aufpassen, dass er sozusagen nicht in diese Konkurrenz gerät. Und dann steht er an der Front des Laienintellektualismus, die im Grunde aus der Rationalität der Erforschung der Glaubenstradition selbstbestimmte Schlussfolgerungen ziehen. Das wären etwa hier die Theologen, darunter natürlich auch ein paar Priester, aber die sind im Grunde in einer laienintellektualistischen Position an der Universität. An diesen drei Fronten sozusagen entscheidet sich die Zukunft des Christentums und es sieht so aus, dass das Bündnis gewissermaßen der Hierarchie mit dem Laientraditionalismus angesteuert wird. Das würde aber dann letztlich bedeuten, dass die Kirche quasi zu einer Art Sekte, zumindest in den westeuropäischen Gesellschaften, wird, da zu einer Minderheit, zu einer obskuren, skurrilen Minderheit wird, die auch dann gesellschaftlich nicht mehr ernst genommen wird, die aber ihr eigenes Programm, nämlich Pastoral zu verstehen auch als einen Beitrag zu einem zivilisierten Zusammenleben der Menschen, die auf dieses Programm dann nicht mehr fahren kann. Sie wird dann eine Art Häresie werden, also wenn man das zu Ende denkt, die nämlich ihre Doppelorientierung, nämlich Seelsorge und Gesellschaftssorge zu treiben, dann nicht mehr praktizieren kann. Sie wird dann nur noch Seelsorger einer kleinen Herde sein, die sich im Besitz des Glaubens irgendwie weiß und von anderen dann nicht mehr ernst genommen wird. Das könnte der Fluchtpunkt sein und ich glaube, da machen viele nicht mit. Und deshalb meine ich, stehen wir in einer vorreformatorischen Situation, dass aus innerkirchlichen Logiken heraus, auch von Seiten des Laienintellektualismus, der Widerspruch hier nun erfolgt und diese Debatte geführt wird. Entscheidend scheint mir zu sein, dass sie zivilisiert geführt wird, dass man Regeln vereinbart, wie man miteinander kommuniziert und nicht in der Öffentlichkeit aufeinander losschlägt und sich wechselseitig das Christsein und das Katholischsein, was ja passiert ist, abspricht. Also hier ist Management, hier ist Kirchenleitung gefordert, dem Ganzen eine konstruktive Wendung zu geben und da bin ich eben nicht sicher, ob das gelingen wird oder ob letztlich eine Fraktion, z.B. die des Laientraditionalismus obsiegen wird und dann Opfer und schwere Verluste auf den anderen Seiten zurücklässt. Also, das ist ein mögliches Szenario, aber wie es ausgeht, wird sich ja 2011 und 2012 zeigen.

Prof. Michael Ebertz ist Religionssoziologe aus Freiburg im Breisgau.

Das Interview wurde im Deutschlandfunk ausgestrahlt.


© imprimatur Juni 2011
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