Erhard Bertel
Tunesisch-ägyptische Verhältnisse?

Viele von uns haben möglicherweise noch das Fernsehbild des ZDF vor Augen. Es zeigte ein Doppelbild vom Höhepunkt der Auseinandersetzungen aus Kairo auf dem Bildschirm:

Oben steht als Einzelperson der Machthaber Muhammad Husni Mubarak. Er hält eine Fernsehansprache und redet auf die Ägypter ein, wie gut er es mit ihnen meine, welche Forderungen er erfüllen wolle und dass er auf keinen Fall zurücktreten werde.
Das zweite Bild auf dem Bildschirm des Fernsehers zeigt eine unübersehbare Menschenmenge auf dem zentralen Platz von Kairo. Ihr eindeutiges Anliegen: Mubarak muss weg und Demokratie in Freiheit muss entwickelt werden. Zum Zeichen ihrer Verachtung für den Machtinhaber schwenken sie in ihren Händen mit Schuhen: hau endlich ab!

Das für mich beeindruckende an diesem Bild war, dass da jemand mit allen Machtmitteln ausgestattet, völlig isoliert von der politischen Realität, redet und redet und redet und nicht mehr registriert, dass ihm niemand mehr zuhören will, außer ein paar Claqueuren. Und dann die unübersehbare Menge von Menschen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen möchten und dafür alles einsetzen, ohne eine Rückversicherung, ob dieses Unternehmen auch erfolgreich sein kann.

Mir geht dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf und es drängt sich mir auf, wenn ich die derzeitige Krisensituation in unserer Kirche beobachte. Ich sehe einen Papst, der bei den Audienzen auf dem Petersplatz seine Ansprachen hält. Um ihn herum Kardinäle und „Würdenträger“, die ihm seine Beliebtheit vorgaukeln. Selbst der Deutsche Bundestag öffnet seine Pforten beim Deutschlandbesuch für ihn und die Planer seiner Deutschlandreise suchen intensiv nach möglichst großen Versammlungsplätzen, an denen der Papst zur Geltung kommen kann. Sein neues Jesus-Buch scheint als Auflage alle Rekorde zu brechen. Den Herderverlag wird es freuen.

Anders als in Ägypten stehen diesem Papst keine großen Massen gegenüber, die seinen Rücktritt fordern. Die großen Proteste „von unten“ bleiben aus. Der Protest „von unten“ in der Kirche wird darin deutlich, dass sich immer mehr Katholiken von der hierarchisch geordneten Kirche abwenden, zu Hause bleiben und weitgehend ignorieren, was die Vertreter der Kirche zu sagen haben.
Und doch: einige prominente CDU-Politiker beginnen öffentlich, Reformen in der Kirche anzumahnen. Hunderte Theologie-Professoren erheben ihre Stimme in einem Memorandum, wer hätte damit noch gerechnet, und 60.000 Unterschrift kommen bisher aus allen möglichen Gruppierungen zusammen und fordern längst überfällige Reformen, damit die Kirche nicht in eine Bedeutungslosigkeit versinkt. Geschockt und enttäuscht geht die Diskussion um die Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche weiter. Hilflos und unbeholfen reagieren die deutschen Bischöfe und versprechen durch den Mund des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, die Eröffnung eines Dialogs, mit wem und wann genau dieser eröffnet werden soll und wer daran teilnimmt, bleibt vorerst im Dunkeln. Denn nicht alle bischöflichen Würdenträger möchten sich einem solchen Dialog stellen und auch der Nachwuchs der Bischofskonferenz stellt Bedingungen, wie ein solcher Dialog aussehen kann und was Inhalt eines solchen Dialogs ist. Zum Beispiel Bischof Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst, Limburg, weiß, wie ein solcher Dialog auszusehen hat:

„Dialog in der Kirche unterscheidet sich .. von den Debatten der Welt. Wo Christen zusammenkommen, um miteinander danach zu fragen, welchen Weg Gott seine Kirche führen will, geht es um eine Haltung und Richtung, die das Zweite Vatikanische Konzil schon vor bald 50 Jahren angesprochen hat: „die Zeichen der Zeit zu verstehen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten". Fruchtbarer Dialog unter Menschen bringt etwas in Bewegung, wo der Dialog mit Gott am Anfang steht. ...
Dialog in Glaube und Kirche ist nicht voraussetzungslos. Es gibt ihn nur im Horizont des Glaubens. Er orientiert sich an den beiden Quellen des katholischen Bekenntnisses, der Hl. Schrift und der kirchlichen Überlieferung. Er formt eine Spiritualität der Gemeinschaft, deren Kennzeichen Papst Johannes Paul II. darin sieht, den Blick auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu richten, das in uns wohnt und auf dem Angesicht der Schwestern und Brüder neben uns aufleuchtet. …
Wirklicher Dialog ist deshalb etwas anderes als Diskussion oder Debatte. Er braucht zuerst das Licht des Glaubens. In diesem Horizont findet die Kirche dann eine neue Strahlkraft im Leben.“
Verstanden?!

Die Redaktion von imprimatur hat sich entschlossen, die jährliche Doppelnummer vorzuziehen, damit die aufgebrochene Diskussion in ihrer Vielfalt dokumentiert werden kann.

„Ist diese Kirche überhaupt reformierbar?“ fragen sich engagierte Katholiken. Hans Küng antwortet ihnen in der Süddeutschen Zeitung vom 9.3.2011: „Ja, die katholische Kirche ist noch zu retten. Nicht aber ihr überkommener Absolutismus“. Küng zitiert den katholischen Soziologen Xaver Kaufmann: „In Deutschland geht es den Kirchen in jeder Hinsicht gut, mit der einen Ausnahme, dass sie den Kontakt zur Seele der meisten Menschen verloren zu haben scheinen. Hier wird man von Krankheitssymptomen auch auf der Systemebene sprechen dürfen“.

Was Küng in seinen Erwartungen von Jung-Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst unterscheidet wird überdeutlich, wenn er diese Forderungen stellt:

„Notwendig ist eine gründliche und detaillierte Analyse, die nicht auf Oberflächensymptome, sondern auf die wahren Ursachen zielt. Konkret: Der Papst muss sich um die Gemeinschaft bemühen. Die römische Kurie zwar nicht zerstören, aber reformieren. Statt Günstlingswirtschaft zu betreiben Fachpersonal suchen. Glasnost und Perestroika für die Kirchenfinanzen einführen. Die Inquisition nicht reformieren, sondern abschaffen. Alle Formen von Repression beseitigen. Das Kirchenrecht nicht nur verbessern, sondern gründlich neu gestalten. Priestern und Bischöfen die Ehe erlauben. Den Frauen alle Ämter öffnen. Abendmahlgemeinschaft mit den Kirchen der Reformation nicht länger verwehren, Wahrhaftigkeit ohne Ausreden und Verschweigen.“

Ich hoffe mit der Redaktion, dass Sie in diesem Doppelheft auch die anderen Themen anregend und hilfreich finden. Schön wäre auch, wenn Sie bei dem ein oder anderen Artikel das Schmunzeln und Lachen nicht vergessen.

Als imprimatur in der Ausgabe 4/1971 auf dem Höhepunkt der Diskussion um Papst Paul VI. und seine Enzyklika „Humanae vitae“ die folgende Karikatur unseres Freundes Werz veröffentlichte, gab es ein Einschreiten des damaligen Bischofs von Trier, Bernhard Stein. Anstoß erregte bei ihm weniger die Darstellung des Papstes, der Papiere produzierte und über die Kirche niederregnen ließ als vielmehr seine Beobachtung, aus welchem Körperteil der Taube der Papst die Feder nahm, mit der er seine Botschaften niederschrieb. Werz wurde heftig gemaßregelt, doch das Schmunzeln über die Karikatur blieb bei unseren Lesern. Für die Erwartung an einen Erfolg des Dialogs in der Kirche mag die Karikatur Aufschluss geben.


© imprimatur Juni 2011
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