Karl-Heinz Ohlig
Die peinliche Forderung nach Wundern
Zur Seligsprechung von Papst Johannes Paul II.

In den letzten 150 Jahren wurde aus der Katholischen Kirche zunehmend eine Papstkirche, und diese Zuspitzung scheint an Dynamik nichts verloren zu haben. Wer kürzlich in ARD den völlig unkritischen Beitrag zum Vatikan – in Art eines Reklamefilms – gesehen hat, konnte zwar schöne Bilder bewundern, erlebte aber eine fremde, sich genügende Welt. Petrus war der erste Papst, sein Grab wurde gezeigt, immer hatte er Nachfolger im Amt usf. – man konnte nur staunen.

Für die Öffentlichkeit ist mittlerweile eindeutig: Katholisch ist päpstlich. Jede römische Äußerung wird den Katholiken zugerechnet. Und diese Gleichsetzung ist nicht immer leicht zu ertragen. Wer will sich schon gerne identifizieren lassen mit der katholischen Sexualmoral, mit den Aussagen zur Geburtenregelung – neuerdings (soll man lachen oder weinen?) für den Fall von Aids ein wenig gemildert –, mit dem Festhalten an antiquierten Lebensformen und –modellen, mit einer mythischen Theologie usf.?

Als ob dies nicht schon schwierig genug sei, machen unnötige Peinlichkeiten das Leben noch schwerer: Der Umgang mit dem Missbrauch von Kindern, eine päpstliche Erklärung, dass der Aufklärungsunterricht in den Schulen ein Angriff auf die Religionsfreiheit sei, und immer wieder die Selig- und Heiligsprechungen.

Papst Benedikt XVI. will seinen Vorgänger selig- und bald dann wohl auch heiligsprechen, wie es ja neuerdings üblich zu werden droht: der Nachfolger kanonisiert seinen Vorgänger. Was ist schöner und für das Ansehen einer Institution nützlicher als eine solche sakrale Bescheinigung? Schon immer wurden meist Leute selig-
oder heiliggesprochen, wenn Institutionen, z.B. Orden, ein Interesse daran hatten und die Sache betrieben.

Im antiken und frühmittelalterlichen Christentum war das mal anders. Hier erwuchs die Verehrung von Martyrern und sonstigen Heiligen aus der Volksfrömmigkeit, später segneten Bischöfe diese Kultpraxis in ihrem Verantwortungsbereich ab. Das war spontaner und hatte auch einen lokalen oder regionalen „Sitz-im-Leben“. Der Nachteil war, dass nicht wenige dieser Heiligen real nie existiert hatten, sondern Mittelpunkt mehr oder weniger schön erzählter Legenden waren. Dies konnte natürlich so nicht weitergehen, und Selig- wie Heiligsprechungsprozesse wurden zur Sache Roms, das hierfür eigene Verfahren schuf.

Natürlich gibt es auch hier noch eine Geschichte. Früher wurde nicht zwischen Seligen und Heiligen unterschieden. Als aber Papst Alexander III. im Jahre 1181 festlegte, dass diese Verehrung päpstlicher Approbation bedürfe, die Bischöfe aber meist weiterhin regionale Kulte gestatteten, entwickelte sich bis zum 16. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen Heiligen (lag beim Papst) und Seligen (lag bei den Bischöfen). Auch dieser Zwischenzustand wurde dann propäpstlich beendet: wer nach 1534 verstorben war, konnte ohne päpstliche Entscheidung weder als Seliger noch als Heiliger verehrt werden. Hierfür wurden in der Folgezeit feste Regelwerke für Selig- und Heiligsprechungsprozesse entwickelt, die seit 1918 auch in das kirchliche Gesetzbuch (CIC, Codex Iuris Canonici) Aufnahme fanden.

Nun mag es durchaus grundsätzliche theologische Bedenken gegen die Heiligenverehrung geben, die ja tatsächlich nicht selten in ihren Formen auch arg auswuchert. Andererseits aber scheint sie eine – religionspsychologisch unausweichliche – Begleiterscheinung zu sein in Religionen, die einen strengen Monotheismus oder auch Monismus lehren. Engel oder Heilige sind dann eine Möglichkeit, nähere und anschaulichere Bezugspunkte vor Augen zu haben, die die Ferne und Unanschaulichkeit Gottes erträglich machen. Ob Selige und Heilige diese Funktion noch erfüllen können, wenn sie von vatikanischen Instanzen ausgewählt und begutachtet werden, bleibe dahingestellt. Immerhin muss bei ihnen ein heroisches Tugendleben nachgewiesen werden, was bei Martyrern einfach, bei den meisten anderen problematisch ist: welche Kriterien werden angelegt? Z.B. immer eine unangefochtene katholische Überzeugung und eine rigide Sexualmoral.

Natürlich muss der brave Katholik wohl nicht mehr die radikalen Sätze aus dem Lexikon für Theologie und Kirche, zweite Auflage, Bd. 6, 1960 (Sp. 142), beherzigen: „H.(eiligsprechung) ist das feierl.(iche) u. endgült.(ige) Urteil des Papstes als des unfehlbaren Lehrers der Kirche über die Heiligkeit eines Dieners Gottes auf Erden u. über seine Verklärung im Himmel ... Nach Ansicht der Theologen ist die Kirche in diesem Urteil unfehlbar.“ Diese Definition mag zwar durchaus noch römischen Vorstellungen entsprechen – und damals ließen die Herausgeber und Schriftleiter den Text von G. Oesterle so durchgehen –, aber heutige Normalkatholiken scheinen sich wohl anders orientiert zu haben.

Immerhin: Wenn denn schon weiterhin Selige und Heilige den Gläubigen vorgestellt werden, macht dies bei manchen römischen Entscheidungen keine größeren Probleme. Dies trifft in der jüngeren Vergangenheit z.B. zu für Mutter Teresa und jetzt wohl auch für Johannes Paul II. Wahrscheinlich hätte niemand widersprochen, wenn sie kanonisiert wurden oder werden. Sie weisen beide ein beeindruckendes Lebenswerk vor und waren ebensolche Persönlichkeiten, so dass selbst manche berechtigten theologischen Vorbehalte wie kleinkariert wirken müssten.

Das eigentlich Anstößige aber ist eine Bestimmung der Selig- und Heiligsprechungsverfahren, dass der/die Verstorbene nur zur Ehre der Altäre gelangen kann, wenn er/sie aus dem Jenseits heraus genau vorgeschriebene Zahlen von Wundern wirkt und diese im römischen Verfahren als echte Wunder anerkannt werden. Genau dies konnte man jetzt wieder in allen Zeitungen lesen. Auch Johannes Paul II. musste jetzt Wunder vorweisen, und wiederum neue bei seiner für die baldige Zukunft zu erwartenden Heiligsprechung.

Dies ist eine Peinlichkeit, die für viele Katholiken, die durch Aufklärung und moderne Sozialisation gegangen sind, schwer erträglich ist. Muss es ein Wunder sein, das die Sache letztlich entscheidet? Muss man ihm (und uns) das antun? Warum kanonisiert man Johannes Paul II. wie auch andere nicht einfach ohne diese Bedingung aus verflossenen Jahrhunderten? Natürlich finden sich immer Fromme, die behaupten – oder deren Umgebung behauptet –, an ihnen sei auf Fürsprache der in Frage stehenden Person ein Wunder geschehen, in aller Regel ein Heilungswunder. Dabei weiß die Medizin, dass es durchaus gelegentlich sogn. Spontanheilungen gibt, die man sich – bisher – nicht erklären kann. Muss das als Wunder deklariert werden? Wie stellt sich die katholische Kirche in der Öffentlichkeit dar, wenn ihre höchsten Repräsentanten auf diese Weise reden und dabei nicht das geringste Problembewusstsein erkennen lassen? Genügt es nicht zu sagen: Dieser oder jener haben ein so ungewöhnlich humanes Leben oder auch für die Gesellschaft(en) positives Handeln realisiert, so dass sie anderen als christliches Vorbild dienen können? Dass man sich dabei auch vertun kann und später irgendwelche dunklen Seiten der Betroffenen ans Licht kommen, gehört zur Komplexität menschlicher Existenzen – und lässt sich auch nicht durch Wunder aus der Welt schaffen.


© imprimatur März 2011
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