sog-logo

43. JAHRGANG
 
16 . Okt. 2010


INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) 2010 / 7

 

Kirche - eine Solidaritätsgruppe in unserer Gesellschaft?
Dem Konzil verpflichtet – verantwortlich in Kirche und Welt
Aus dem Zeugnis eines Teilnehmers Januar 1969 in Königstein
Ein Rückblick lohnt sich


Kirche - eine Solidaritätsgruppe in unserer Gesellschaft?

Wie in der letzten Nummer angekündigt, bringen wir aus der Gründungsphase der AGP, vom 26. Januar 1969, den (etwas gekürzten) Text von Karl Derksen und und einen Kurzbericht eines Teilnehmers von der Versammlung. Beide Texte entnehmen wir der inzwischen vom Orden SJ leider aufgegebenen „Orientierung“ Jg. 33 (1969) 132-135.

Einen Überblick über die bisherige Geschichte bietet die von Edgar Utsch und Carl-Peter Klusmann herausgegebene Dokumentation, zu der auch etliche andere aus unseren Gruppen beigetragen haben. Einzelheiten auf den folgenden Seiten.

Solidarisierung von «Gleichgesinnten» ist heute ein allgemeines Phänomen. Es scheint zu den Notwendigkeiten zu gehören in einer Welt, die immer stärker von anonymen Kräften und Mächten manipuliert zu werden droht. Die sozialpolitischen, wirtschaftlichen und technischen Prozesse sind heute derart, daß sie der einzelne (als einzelner) nicht mehr zu registrieren und wahrzunehmen vermag, so daß er sich schon deshalb mit anderen zusammentun muß; doch noch mehr: diese Prozesse ordnen auch noch den einzelnen ein, so daß er gewissermaßen automatisch und ohne kritische Distanz mitfunktionieren muß, ob er will oder nicht. Eine solche katastrophale Vereinnahmung des einzelnen muß notwendigerweise zu einem machtlosen Hinnehmen des status-quo sozialpolitischer, wirtschaftlicher oder technischer Strukturen führen, und dieses Hinnehmen der Strukturen bedeutet wiederum die Unterstützung des Bestehenden, die Fortsetzung von Strukturen, welche die Interessen und Wünsche von einzelnen oder von Minderheiten einfach nicht berücksichtigen wollen.

Das Problem der Solidarisierungen innerhalb der Kirche, die ja selber definiert werden könnte als eine Solidaritätsgruppe innerhalb unserer Gesellschaft, hängt engstens mit dieser unserer Gesellschaft zusammen. Die Kirche, die von ihrer Aufgabe her Sauerteig, Licht und Salz der Erde sein müßte, ist heute selber der Immobilität verfallen, von der jede Institution bedroht ist. Die Kirche hat sich nicht nur in ihren eigenen Strukturen verfestigt, so daß sie angesichts der heutigen Welt ihre eigentliche Funktion nicht mehr wahrzunehmen vermag - im Vergleich zu den heutigen gesellschaftlichen Strukturen ist sie nicht nur nicht angepaßt, sondern sogar rückständig; sie läßt sich auch gerne von den Mächten dieser Welt vereinnahmen, sie läßt sich ausnützen als Garantin der bestehenden Ordnung oder als Instanz, auf die man sich immer dann berufen kann, wenn Ordnung und Gehorsam gefordert werden. Somit erfüllt die Kirche in unserer Gesellschaft eine ganz bestimmte Rolle, besitzt sie eine ausdrückliche Entlastungsfunktion und erwartet man von ihr die Beschwichtigung und Verdeckung der realen Konflikte unserer Gesellschaft.

In dieser Situation gilt es sich zu solidarisieren, nicht in erster Linie, um die Interessen bestimmter Gruppen innerhalb der Kirche zu sichern, sondern zuerst und vor allem, um der Kirche selber zu ihrem authentischen Auftrag zu verhelfen.

Das kann in kleinen Kerngruppen von Priestern und Laien geschehen, um somit zunächst kirchenkritisch auftreten zu können, damit einmal in Zukunft die Kirche selber wieder eine gesellschaftskritische Funktion, als Salz der Erde, als Licht und Sauerteig unserer heutigen Gesellschaft, erfüllen kann, in Weiterführung der Botschaft des Evangeliums.

Überall dort, wo noch kein demokratisches Ethos herrscht, das heißt wo Mitverantwortung, Sachverstand und Öffentlichkeit nicht radikal ernst genommen werden, wird es nur dann ein fruchtbares Wirken geben, wenn Gruppen gebildet werden, die in ihren eigenen Reihen dieses demokratische Ethos vorexerzieren. Die ständige Berufung auf Dialog, Brüderlichkeit, Treue und Liebe bleibt Romantik, wenn nicht zu gleicher Zeit die entsprechenden Strukturen der Brüderlichkeit und des Dialogs geschaffen werden, und solche Strukturen nennen wir heute demokratische. Denn nur solche Strukturen bieten die Möglichkeit, Konflikte offen auszutragen und Parteien zu bilden. Um das zu erreichen, muß man sich solidarisieren.

Die demokratische Art des menschlichen Miteinanders ist eine legitime Errungenschaft der letzten Jahrhunderte, sie hat etwas zu tun mit der Verwirklichung der Menschenrechte, und sie hat auch ihre Folgen für die kirchliche Struktur.

Jeder Versuch, diese Wirklichkeit durch sogenannte theologische Argumente zu entkräften, indem man sich etwa darauf beruft, die Kirche besitze von ihrem Wesen her eine ganz andere Struktur und werde somit von diesen heutigen Forderungen nicht betroffen, muß auf seine eigentlichen Interessen befragt werden. Unsere Solidarisierung hat mit Strategie und Taktik hat etwas zu tun, weil sie ein politisches Phänomen ist und nicht ein romantisches, im Stil von «alle Menschen werden Brüder ».

Es ist nicht einzusehen, warum – wie es in einer Erklärung der westdeutschen Bischöfe heißt – «Kirche» eine Beschränkung von Demokratie einschließen soll. Nur wenn man Demokratie nicht richtig versteht oder zum Beispiel die bestehenden Demokratien in Ost und West, die ja kritisierbar sind und auch tatsächlich kritisiert werden, zum Ausgangspunkt nimmt, stimmt die bischöfliche Feststellung. Aber Kirche könnte ja selber ein glaubwürdiges Modell von Demokratie vorexerzieren und so auch noch einmal gesellschaftskritisch sein.

Solidarisierungsgruppen sollten auch keine Angst vor außer-kirchlichen Modellen der Solidarität haben, sei es, daß diese von andern kirchlichen oder sei es von nicht-kirchlichen Gruppen (z. B. Gewerkschaften) entwickelt worden sind. Hinter einer möglichen Angst vor solchen Modellen steht noch immer die Auffassung, daß die Strukturen der Kirche und die Kritik dieser Strukturen außerhalb des Rahmens dessen fallen, was sich im Laufe der Geschichte an menschlichen Verfestigungen bis zur Inhumanität innerhalb der Kirche entwickelt hat und was sich an Institutionen und Instanzen der Humanisierung und Mündigkeit außerhalb — und oft im Gegensatz zur Kirche — bildete. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine billige Vereinnahmung solcher Modelle, auch dürfen sich Solidarisierungsgruppen nicht selber vereinnahmen lassen von bestimmten Interessengruppen. Immer stärker wird die Kirche heute herausgefordert, Emanzipationsbewegungen und Emanzipierungsstrukturen, die außerhalb ihrer Reihen entstanden sind — oft sogar gegen sie —, wiederzuerkennen als ursprünglich in ihrer eigenen Botschaft enthaltene Befreiung und Erlösung.

Zusammenfassend lassen sich die folgenden Thesen aufstellen:

Solidarisierung ist notwendig, weil nur kollektive Kritik fruchtbar werden kann,

Solidarisierung muß mit Sachargumenten arbeiten, weil nur Sachlichkeit überzeugen kann,

Solidarisierung soll keine Angst haben vor außerkirchlichen Modellen der Opposition,

Solidarisierung soll nicht zugrundegehen durch interne Gegensätze, sondern einen gewissen Pluralismus in den eigenen Reihen aushalten.

Zum Schluß ist aber noch auf eine Gefahr hinzuweisen! Solidarisierung von Klerikern ist bestimmt notwendig. Aber dies wiederum verursacht sehr leicht eine Verkürzung der wirklichen Probleme. Ja, dies könnte möglicherweise die Kluft zwischen «professioneller Kirche» (Amtsträger und Funktionäre) und den Gläubigen noch vergrößern. Dessen müssen wir Kleriker uns bewußt sein, wenn wir uns untereinander solidarisieren. Es darf uns nicht an erster Stelle um die Verbesserung des eigenen Betriebsklimas gehen. Wir müssen uns daher ernstlich fragen: Wie ist es in der regionalen westdeutschen Kirche, die noch nicht die Institution eines demokratisch gewählten Nationalkonzils kennt, möglich, zunächst einmal in den Solidarisierungsgruppen eine breite, nicht rein klerikale Basis zum Ausdruck zu bringen, um somit einen verhängnisvollen Klerikalismus zu vermeiden?

Karl Derksen OP, NimwegenlMiinster

Zurück zur Auswahl
Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Dem Konzil verpflichtet – verantwortlich in Kirche und Welt

Priester- und Solidaritätsgruppen in Deutschland (AGP) 1969 – 2010:
eine Bilanz nach 40 Jahren

 

Einführung

1 Ziele der AGP

1.1 Basiserklärung (1969)
1.2 „Heppenheimer Thesen“ (1988)
1.3 Bekehrung und Reform (1994)
1.4 40 Jahre AGP (2009)

2 Struktur, Entwicklung, Kommunikation

2.1 Struktur und Arbeitsweise
2.2 Entwicklungsphasen
2.2.1 Drei Phasen
2.2.2 1968-1974
2.2.3 1975-1985
2.2.4 1986-2010
2.3 Kommunikationsorgane derAGP
2.3.1 SOG-Papiere
2.3.2 AGP-Editionen

3 Die Mitgliedsgruppen

3.1 Einzelberichte

3.1.1 Aktionsgemeinschaft Rottenburg
3.1.2 Aktionskreis Augsburg .
3.1.3 Aktionskreis Regensburg
3.1.4 Essener Kreis
3.1.5 Freckenhorster Kreis
3.1.6 Kölner Netzwerk .
3.1.7 Kritische Initiative Pastoral
3.1.8 „imprimatur“ / Marienburger Kreis
3.1.9 SOG im Bistum Mainz
3.1.10 SOG-Paderborn
3.1.11 Vereinigung Priester und ihrer Frauen

3.2 Befreundete und ehemalige Gruppen

3.2.1 Aktionskreis Halle
3.2.2 Initiative Kirche von unten
3.2.3 Wir sind Kirche
3.2.4 Ehemalige Gruppen

4 Exemplarische Stellungnahmen

4.1 Gesamtkirchliche Themen

4.1.1 Christentum: Religion unter Religionen
4.1.2 Gibt es „die“ Wahrheit? Brief an DBK
4.1.3 Neues Superdogma?
4.1.4 Antimodernisten: hinter das Konzil
4.1.5 Lefebvrebischöfe und das Konzil?
4.1.6 Tischordnung bei der Kommunion
4.1.7 „Nehmt und wandelt“?
4.1.8 Absage an Hokus-Pokus-Priester
4.1.9 Verbot Frauenordination–unfehlbar?
4.1.10 Dominus Iesus oder Domina Roma?
4.1.11 Wiederholungstäter Ratzinger

4.2 Fragen und Konflikte in Deutschland

4.2.1 Einheit in einer gespaltenen Kirche?
4.2.2 Eucharistische Gastfreundschaft
4.2.3 Ökumenisches Abendmahl in Berlin.
4.2.4 Basisgemeinden nicht importieren
4.2.5 Befreiung der Armen und Reichen
4.2.6 Bitte kein Rücktritt!
4.2.7 Bischöfe: „Schein-Konflikt“
4.2.8 Päpstliche Gesinnungsgenossen
4.2.9 Missbrauch und kein Ende!

4.3 Gesellschaftliche Probleme

4.3.1 Errichtung polnischer Bistümer
4.3.2 Kirche oder Gesellschaft?
4.3.3 Gott und die Herrscher der Welt
4.3.4 Luther: „Worauf einMensch traut…“
4.3.5 Bewahrung der Schöpfung
4.3.6 „SchönesWochenende“?

4.4 Theologie und Pastoral 1

4.4.1 Was sind wir der Welt schuldig?
4.4.2 Liturgie - moralische Keule
4.4.3 Gemeindepastoral als „Dauerbrenner“

4.5 Glossen und Realsatire

4.5.1 Die „Sorgen“ eines Bischofs
4.5.2 Was uns auf dem ÖKT erspart blieb
4.5.3 Priester: Zwei Wesen in einem

5 Anhang

5.1 Stichwortverzeichnis
5.2 Adressen, Archivierung,
5.3 Literaturverzeichnis
5.4 Abkürzungen

Eine Vorausschau auf das Konzilsjubiläum

Der Verlag unserer AGP-Dokumentation hat schon die Diskussionen im Blick, die das bevorstehende Jubiläum um Buchstaben und Geist des letzten Konzils bringen wird. Der Begleittext des Buches:

2012 wird man sich in der Kirche, aber wohl auch in den Medien, an die Eröffnung des 2.Vatikanums vor 50 Jahren erinnern. Dass dieses Konzil aber in den vergangenen Jahrzehnten nicht ganz in Vergessenheit geriet, sondern lebendige Verpflichtung blieb und vor allem in vielen Gemeinden zu einer erneuerten pastoralen Praxis anregte, dafür sorgt seit 1969 die Arbeitsgemeinschaft der Priesterund Solidaritätsgruppen in Deutschland (AGP). Sie legt in diesem Band eine Bilanz – gleichsam ein „Selbstbildnis“ – ihrer Arbeit vor. Die Texte zeugen von einem mit langem Atem durchgehaltenen kirchlichen Engagement, das aber zugleich der Gesellschaft und vor allem den Problemen der an den Rand gedrängten Menschen die notwendige Aufmerksamkeit widmet. Ein unerlässlicher Beitrag zu Aspekten der nachkonziliaren Geschichte, die gerne verschwiegen oder marginalisiert werden, aber gerade darum in kritischer Erinnerung bleiben müssen.

LIT-Verlag, Münster, 208 S., 19,90 €, ISBN 978-3-643-10634-6

Die AGP hofft, für die Mitglieder ihrer Gruppen das Buch (in begrenzter) Anzahl zu einem Vorzugspreis anbieten zu können. Für weitere Exemplare (das Buch eignet sich vortrefflich als Weihnachtsgeschenk für sonstige am Konzil Interessierte) wird der o.g. Ladenpreis gelten müssen.

Zurück zur Auswahl
Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Aus dem Zeugnis eines Teilnehmers Januar 1969 in Königstein

Das wurde in Königstein klar: Weil die Gesellschaft das Evangelium vielleicht weiter braucht, sollte die Kirche sich dahin ändern, daß sie im Sinne des Evangeliums als Impulsgruppe gesellschaftlich nützlich werden kann. Sie muß vormachen, was Freiheit der Forschung und Lehre, Wahl und Kontrolle der Armträger, Durchsichtigkeit der Verwaltung, kollegiale Teamarbeit, Öffentlichkeit der Meinungsbildung, Beteiligung bei der Wahrheitsfindung bedeuten. In Königstein mündeten diese Überlegungen in die Forderung nach einem deutschen Nationalkonzil, das sich mit den Fragen der Demokratisierung, der Humanisierung und der Neuinterpretation des Glaubens zu befassen habe.

Königstein war ein Anfang. Die Zusammenarbeit muß erlernt werden, die Kommunikation zwischen den Gruppen muß ausgebaut werden. Diese Pfarrer und Vikare haben zu wenig Zeit und Geld; ihr kirchlicher Dienst lastet sie aus. Daß es Leute gibt, die unter widrigen Bedingungen, ohne die Machtmittel des kirchlichen Apparats, unter dem Risiko verstärkter Repression seitens ihrer Behörden versuchen, den deutschen Katholizismus etwas demokratischer und humaner zu machen, ist ein Grund zur Hoffnung.

Dr. Klaus Schäfer, Böblingen

Zurück zur Auswahl
Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Ein Rückblick lohnt sich

Eine Nuance aus der bewegten Geschichte der AGP, an die unsere Dokumentation u.a. erinnern will: Als in Spanien und Portugal noch die katholischen Faschisten Franco und Salazar ihre menschenfeindliche Unrechtspolitik trieben, gaben die Zusammenkünfte mit dortigen Solidaritätspriestern Gelegenheit, das auch hierzulande (mehr) bekanntzumachen. Die damals zur Anonymität gezwungenen Berichterstatter können inzwischen mit ihrem Namen genannt werden. Wir verzeichnen die Veröffentlichung: Raske M./ Schäfer K./Wetzel N. (Hg.), Der totalitäre Gottesstaat. Die Lage der Christen in Portugal, Spanien und im Baskenland. Eine Dokumentation. Hg. im Auftrag der AGP in Verbindung mit den damals aus politischen Gründen ungenannt gebliebenen Autoren Reyes Mabe, José Azumandi und José Sousa Monteiro, Düsseldorf 1970

Zurück zur Auswahl
Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Informationsdienst der AGP: 59071 Hamm, Soester Str. 165, Ruf (02381)880499, Fax 880431; m.krystofiak@t-online.de
Redaktion: Edgar Utsch, 45888 Gelsenkirchen, Siegfriedstr. 6, Ruf (0209)23736, Fax 1479680; E.Utsch@web.de und
Carl-Peter Klusmann, 44139 Dortmund, Kreuzstr. 68, Ruf (0231)147303, Fax 2866505; cp.klusmann@dokom.net
Die SOG-Papiere erscheinen als Beilage zu "imprimatur", 66123 Saarbrücken, Walter Gieseking-Str. 12