Georg Denzler
Walter Brandmüller – ein dekorierter Kardinal

Papst Benedikt XVI. hat am 20. November 2010 in einem Öffentlichen Konsistorium das Kollegium der Kardinäle mit 24 Neuernennungen auf 205 Mitglieder erhöht, von denen aber nur 122 beim Konklave wahlberechtigt sind, weil sie das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Zu den Kandidaten auf traditionellen Kardinalssitzen in aller Welt und an Spitzenpositionen der päpstlichen Kurie kamen vier Persönlichkeiten, die wegen besonderer Verdienste um die Kirche geehrt werden sollten und deshalb auch als dekorierte Kardinäle bezeichnet werden können. Unter diesen befindet sich der zum Klerus der Erzdiözese Bamberg gehörende Professor und Prälat Dr. Walter Brandmüller, gewiss die größte Überraschung bei der jüngsten Kardinalskreierung, da er über Fachhistoriker hinaus kaum bekannt ist.

Walter Brandmüller wurde am 5. Januar 1929 in der mittelfränkischen Kleinstadt Ansbach geboren und evangelisch getauft. Im jugendlichen Alter zur katholischen Kirche konvertiert, trat er 1948 in das Bamberger Priesterseminar ein. Nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Bamberger Hochschule erteilte ihm Erzbischof Josef Otto Kolb 1953 im Hohen Dom zu Bamberg die Priesterweihe. Sechs Kaplansjahre in verschiedenen Pfarreien der Erzdiözese folgten.

Nach einem geheimen Plan von Erzbischof Dr. Joseph Schneider, der vorher Professor für Moraltheologie in Bamberg gewesen war, sollte sein einstiger Lieblingsschüler Brandmüller später den Lehrstuhl für Kirchengeschichte einnehmen. (Der Erzbischof sprach damals tatsächlich das entscheidende Wort bei der Neuberufung eines Professors an der Phil.-Theol. Hochschule.) Deshalb wurde Brandmüller, nur ein Semester nach meiner Beurlaubung für das Promotionsstudium, ebenfalls für das Weiterstudium im Fach Kirchengeschichte freigestellt, und zwar bei demselben Professor Dr. Hermann Tüchle an der Universität München. Jetzt wurde mir klar, warum der Erzbischof sich damals meiner Beurlaubung lang widersetzt hatte, bis er am Ende dem Eintreten des Generalvikars Dr. Hans Lenhard für mich, wenn auch nur widerwillig, zustimmte. Doch der Plan des Erzbischofs erfüllte sich nicht. Die Theologische Fakultät in Bamberg sprach sich nach der Pensionierung von Prof. Johannes Kist mehrheitlich nicht für Brandmüller, sondern für mich aus, so dass ich 1971 auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Bamberg berufen wurde und Brandmüller weiterhin Ordinarius in Augsburg blieb. Nach gemeinsamen Jahren im Bamberger Priesterseminar und parallelen Studienjahren in München waren wir nun bis zur Emeritierung im Jahr 1998 Fachkollegen: Brandmüller in Augsburg und ich in Bamberg. Hinsichtlich der Auffassung von der Aufgabe eines Kirchenhistorikers und mehr noch in unserer Einstellung zu Papst und Kirche aber gingen unsere Wege immer weiter auseinander.

Brandmüller gehört ohne Zweifel zu den bekanntesten Kirchenhistorikern unserer Tage. Sein spezielles Forschungsgebiet sind seit seiner Habilitationsschrift die spätmittelalterlichen Konzilien von Konstanz, Pavia-Siena und Basel-Ferrara-Florenz. Nicht zu verkennen aber ist dabei seine papalistische Interpretation der Konzilsbeschlüsse.

Als glühender Kirchenapologet bewährte sich Brandmüller vor allem bei der Behandlung sogenannter heißer Eisen der Kirchengeschichte: Kreuzzüge, Inquisition, Ketzerverfolgung, Galileo Galilei, Absolutheitsanspruch des katholischen Glaubens, Iurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit des Papstes, Verhalten der Päpste während des Dritten Reiches. Die Verurteilung des Astronomen Galileo Galilei durch die oberste Kirchenautorität deutet Brandmüller als ein bloßes Missverständnis, um auf diese Weise die vom Papst und seiner Kurie ausgesprochene Verurteilung zu rechtfertigen. Papst Pius XII. tat nach Brandmüllers Überzeugung angesichts millionenfacher Verfolgung und Vernichtung des jüdischen Volkes alles, was er unter Berücksichtigung der ihm aufgetragenen Neutralität und im Interesse des Fortbestandes der katholischen Kirche tun und verantworten konnte.

Wer Brandmüllers theologische und kirchenpolitische Ausrichtung näher kennenlernen will, greife zu seinem Buch „Licht und Schatten. Kirchengeschichte zwischen Glaube, Fakten und Legenden“ (2007), das einen bunten Strauß aus 17 Essays zu besonders umstrittenen Themen der Kirchengeschichte bietet. Der Autor hält die Frage, ob ein im Neuen Testament als Wort Jesu ausgegebenes Wort auch tatsächlich von Jesus selbst stammt oder aber nur den Glauben der ersten Christen widerspiegelt, für unerheblich. Es genüge vollauf, wenn die Worte Jesu im kanonischen Text des Neuen Testaments enthalten sind und damit als „Wort Gottes“ feststehen. So erübrigt sich freilich jede kritische Bibel- und Theologieforschung. Geradezu phantastisch mutet sein übernatürlich-ontologisches Bild des Bischofs an: „Die bischöfliche Weihe, die dem Empfänger die Fülle des Weihesakramentes vermittelt, verleiht zugleich der Seele des Geweihten ein unzerstörbares Gepräge, das ihn in seinem Personsein Christus als dem eigentlichen Hirten, Lehrer und Priester gleichförmig macht.“ Dass Brandmüller nicht hinter allen Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils steht und sich deshalb zu konstruierten Interpretationen flüchtet, erklärt seine Verbundenheit mit der traditionalistischen Petrusbruderschaft. Diese ist freilich nicht weit entfernt von der schismatischen Priesterbruderschaft St. Pius X., die Benedikt XVI. für die Kirche Roms zurückgewinnen möchte. Für Brandmüllers konservative Einstellung gilt grundsätzlich, dass „eine Interpretation des 2. Vatikanums im Widerspruch zur Tradition dem Wesen von katholischem Glauben, Kirche und Konzil widersprechen würde.“

Nur mit Verwunderung kann man zur Kenntnis nehmen, dass Papst Benedikt XVI. seinen deutschen Landsmann Walter Brandmüller, der nach seiner Emeritierung als Professor für Kirchengeschichte in den Vatikan übergesiedelt ist und dort als Präsident der Päpstlichen Kommission für historische Wissenschaften (1998-2009) die Rolle eines Chefhistorikers des Papstes gespielt hat, wegen großer Verdienste um Kirche und Papsttum mit der Erhebung zum Honorar-Kardinal belohnen wollte. Da der Papst also offensichtlich die streng konservative Theologie und kirchenapologetische Einstellung des Kirchenhistorikers Brandmüller schätzt, bleibt am Ende nur noch die bange Frage: Kirche von Rom, wohin gehst du?


© imprimatur Januar 2011
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