Papst Benedikt plaudert über Kondome

"Wir müssen nahe bei den Menschen sein, sie führen, ihnen helfen; und dies sowohl vor wie nach einer Erkrankung. Tatsächlich ist es ja so, dass, wo immer sie jemand haben will, Kondome auch zur Verfügung stehen. Aber dies allein löst eben die Frage nicht. Es muss mehr geschehen. Inzwischen hat sich gerade auch im säkularen Bereich die sogenannte ABC-Theorie entwickelt, die für ,Abstinence - Be faithful - Condom' steht (Enthaltsamkeit - Treue - Kondom), wobei das Kondom nur als Ausweichpunkt gemeint ist, wenn die beiden anderen Punkte nicht greifen, Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will. Aber es ist nicht die eigentliche Art, dem Übel der HIV-Infektion beizukommen. Diese muss wirklich in der Vermenschlichung der Sexualität liegen."

Stimmen dazu:

Pfarrer Stefan Hippler, Südafrika:
„Es scheint mir, dass der Papst im Gespräch Gedanken entwickelt, die eher philosophisch-theologischer Natur sind, die aber weder eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral bedeuten noch eine wirkliche Wende hin zur Anerkennung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Sexualität.

Ich bin vorsichtig geworden mit enthusiastischen Reaktionen, aber ich bleibe grenzenloser Optimist. So sehe ich einen ersten feinen Haarriss in einer Mauer aus Beton. Wer ein wenig von Physik versteht, der weiß, dass solche feinen Risse größer werden.“

Bischof Zollitsch, Freiburg:
„Von besonderem Medieninteresse sind in diesen Tagen die Hinweise, die der Papst zu Fragen der Sexualmoral gibt. Dazu gehören auch die Gedanken zur Nutzung von Kondomen in begründeten Einzelfällen. Gerade diese Stellen des Interviews zeigen die tiefe Einfühlsamkeit des Papstes, der sich auch in schwierige Lebenslagen von Menschen hineindenkt. Seine Äußerungen zum Kondomgebrauch haben vor allem die HIV-Infektion und die Frage vor Augen, wie ihr zu begegnen ist. …Wenn für Menschen in bestimmten Situationen eine Nutzung von Kondomen vorstellbar ist, dann deshalb, weil dies einen „ersten Schritt zur Moralisierung … und Verantwortung“ darstellen könnte. .. Ich bin sehr gespannt darauf, ob Papst Benedikt diese Gedanken noch weiterentwickeln wird, ob sie dann eines Tages auch die förmliche Lehrmeinung der Kirche mitprägen werden und was sie für die pastorale Praxis bedeuten.

Konrad Hilpert, Moraltheologe, München:
„Gerade die Tatsache, dass die Verhütungsthematik im Rahmen eines normalen Interviews aufgegriffen wurde, zeigt für Hilpert, dass die Äußerungen keine lehramtliche Qualität hätten. Sie stünden auch nicht im Missverhältnis zur 1968 erschienenen Enzyklika „Humanae Vitae“, die den Gebrauch von Verhütungsmitteln im Zusammenhang mit dem Vollzug des „ehelichen Aktes“ untersagt. In der Enzyklika sei beispielsweise nicht der Gebrauch von Kondomen zum Schutz vor Ansteckungen behandelt.“

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)
hat die jüngsten Äußerungen des Papstes zum Gebrauch von Kondomen als „halbherzig“ kritisiert. Der Papst habe sich dadurch kein Lob verdient, sagte Wowereit dem privaten Berliner Radiosender 97.2 blu.fm in der Hauptstadt.

Wowereit: die Kirche solle sich der Realität stellen. Sie solle etwa Menschen in Afrika durch den Gebrauch von Kondomen eine Chance geben, sich vor Aids zu schützen.

Hans Küng, Theologe:
Es ist lobenswert, dass der Papst es wagt, von der bisherigen offiziellen Linie abzurücken. Aber das ist faktisch nur das Eingeständnis, dass sich diese Lehre nicht aufrechterhalten kann. Der Papst ist sich darüber im Klaren, dass auch konservative Katholiken das absolute Kondomverbot nicht gebilligt haben. Und, dass die bisherige vatikanische Politik gegen die Kondome die Kirche lächerlich gemacht hat. Insofern ist es eine taktische Wende und keine grundsätzliche Wende: Es ist eine taktische Anpassung.

Matthias Drobinski in „Süddeutsche Zeitung“:
Moralisch gerechtfertigt ist für die katholische Kirche demnach nur jener Sex, der innerhalb der Ehe stattfindet und der offen ist für die Entstehung neuen Lebens. Die Fälle, von denen der Papst redet, wirken wie fürs Ethik-Seminar an der Uni konstruiert. Dass er überhaupt darüber redet, ist durchaus eine Überraschung. Wer aber darin eine Sensation sieht oder gar eine Wende, muss sehr tief in den Hirnwindungen vatikanischen Denkens leben. Und doch liegt in diesen 14 Zeilen eine Chance. Der Druck ist da, dass die katholische Kirche nun ernsthaft und intensiv darüber diskutiert, warum die Mehrheit ihrer Gläubigen jene künstlichen Verhütungsmittel nutzt, die die kirchliche Lehre bislang strikt abgelehnt hat. Und darüber, was diese "menschlichere Sexualität" ist, von der der Papst da redet - und die ja tatsächlich ein Lebensthema der Menschen ist wie kaum ein zweites.

Josef Sayer von Misereor:
Für uns bei Misereor war und ist es maßgeblich, was die kirchlichen Partner vor Ort bei der Aidsbekämpfung als angemessenen Weg ansehen. Afrikanische Bischöfe und Ordensleute sagen mir: Wir reden über das Kondom nicht als Mittel zur Empfängnisverhütung, sondern zum Schutz des Lebens. Das Kondom hilft die Gefahr verringern, sich mit dem HI-Virus anzustecken. ..Wir machen uns ein Stück weit ehrlicher. In der Praxis freilich waren wir längst dort angekommen. Unsere Partner haben Kondome nicht ausgeschlossen, weil sie in ihnen ein Mittel im Kampf gegen den Tod durch Ansteckung sahen. ..Die pastorale Verantwortung gebiete es, den Menschen in konkreter Lebensgefährdung den Schutz durch das Kondom anzubieten. Dieser Ansatz ist auch durch die Theologie gedeckt.

Karikatur: Stuttmann; Aus: Passauer Neue Presse


© imprimatur Januar 2011
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