Benno Rech
Missionshaus St. Wendel
Betrachtungen eines Schülers aus den fünfziger Jahren

Wer von dem idyllischen St. Wendel kommend den Atzelhübel hochsteigt und zum ersten Mal das backsteinrote Missionshaus erblickt, ist beeindruckt von dieser Art Gottesburg mit der Kirche als Kern. Größe und Wucht des Gebäudekomplexes verheißen ein Klosterleben von großer Dynamik. Schon die neuromanische Kirche aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts hat uns Schüler der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre in eine stolze Selbstgewissheit versetzt, dass wir das triumphalistische Lied „Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land“ mit Innbrunst geschmettert haben. Und wir hatten wirklich die Überzeugung, diese Kirche sei „aus ewigem Stein erbauet“. Heute ist dieses Gefühl melancholischen Anwandlungen gewichen. Aus dem einst von optimistischem Missionsgeist erfüllten Kloster samt Gymnasium ist ein Pflegeheim für alte und kranke Ordensleute geworden. Rektor ist heute Pater Roberto Alda, ein Philipino. Das Haus zählte Mitte 2010 109 Patres und Brüder, 70 davon werden im Wendelinusheim gepflegt. Von den 39 übrigen sind ein Dutzend Patres außerhalb des Hauses in Pfarreien, Krankenhäusern und Seniorenheimen tätig. Die anderen zwei Dutzend leisten Aushilfen in Pfarreien, betreuen die Senioren und arbeiten in der Verwaltung des Hauses.

Zwar betreibt die SVD weiterhin ein Gymnasium, aber das hat nichts mehr mit der missionarisch-klösterlichen Ausbildung von Ordensnachwuchs zu tun. Es ist eines von drei Gymnasien in der Stadt.

Die Geschichte des Hauses verlief in Brüchen. Nach der Gründung im Jahr 1898 ging es in einem stetigen Aufschwung voran, bis dann im Januar 1941 Hitler im Zuge der Enteignung von Klöstern aus der Missionsschule eine Napola machte.

Nach dem Krieg gab es eine neue Blüte bis zur Euphorie der Konzilsepoche (2. Vaticanum). Als dann nach und nach offenbar wurde, dass die vielversprechenden Beschlüsse des Konzils nur halbherzig erfüllt werden, und die beharrenden Kräfte manche Entwicklungsprozesse der Katholischen Kirche behinderten, verlor diese ihre Anziehungskraft, und auch das Steyler Missionshaus geriet wie die meisten Klöster in diesen Sog.

Während der Jahre seiner Blüte hatte das Missionshaus einen segensreichen Einfluss auf das St. Wendeler Land, ja auf das ganze Saarland ausgeübt. Sein humanistisches Gymnasium zog idealistisch gesonnene Jungen an, darunter viele, die in ihren damals verkehrstechnisch isolierten Dörfern kaum eine Chance gehabt hätten, ihr Talent zu entwickeln, etwa das Abitur zu machen. Zwar wurde erwartet, dass wer hier „eintritt“, Missionar werden will. Und es wurde sogar von Sextanern eine entsprechende Absichtserklärung eingeholt. Und viele (über 600) der „Zöglinge“ sind dann Patres oder auch Brüder geworden. Die meisten aber gingen in zivile Berufe, wurden Lehrer, Ärzte, Juristen, wurden Ingenieure, einige Wissenschaftler. Ein besonderes Beispiel ist Hasborn. Es hat auffällig viele studierte Leute hervorgebracht, und zwar, weil es das Missionshaus gab. Auch der große Lyriker Johannes Kühn stammt aus Hasborn und wurde von den Steylern geprägt. Gedichte von ihm, einem der wenigen Autoren, die heutzutage noch religiöse Gedichte schreiben, erschienen in kirchlichen Zeitschriften („Stimmen der Zeit“, „Christ in der Gegenwart“, „Orientierung“), eines steht sogar im Laacher Meßbuch.

Ein zweites Beispiel allein aus unserer Klasse ist der Bildende Künstler Ernst Alt aus Saarbrücken. Wichtige Werke von ihm gibt es in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen. Viele dieser Ehemaligen haben ihre frühe religiöse Erziehung im späteren Beruf bezeugt, lebten gesinnungstreu, wurden zur Wohltat in ihrem Wirkungsbereich. Die Steyler formten zahlreiche kluge Köpfe der Region, haben über 80 Jahre dem Saarland einen kaum abschätzbaren Dienst erwiesen.

Die Erziehung war in den starken Zeiten der Ordensgesellschaft streng und zugleich wohlwollend. Wir sollten auf das entbehrungsreiche Leben in den Missionen, etwa im Hochland von Papua-Neuguinea, in den Megastädten Südamerikas oder Indiens wie im Urwald unter den Pygmäen Afrikas vorbereitet werden. So wurde schon, bevor der Fernsehapparat in jedem Raum stand, unser Blick auf die ganze Welt erweitert. Askese galt zugleich als körperliche Ertüchtigung wie als Willensschulung, auf die wir als Missionar später angewiesen seien. Der Tageslauf begann mit dem Wecken um 6 Uhr. Es folgte die tägliche Messe. Ab 8 Uhr Unterricht bis zum Mittagessen um 13 Uhr. Die Spanne bis zum Abendessen war in Freizeit und Studium aufgeteilt. Um 21 Uhr begann die Nachtruhe. Dazwischen gab es das tägliche Partikularexamen, eine Gewissenserforschung mit gemeinsamem Gebet in der Kirche. Auf allen Gängen wie in den Schlafräumen durfte nicht gesprochen werden. Jeden Freitag Mittag waren wir zu beichten angehalten. Und trotz all dem fühlten wir uns wohl. Wo die Hausordnung in unseren Augen zu streng war, wurde sie unterlaufen, aber es gab kaum Auflehnung gegen diese Strukturen oder generell gegen die Erziehungsmethoden der Präfekten. Von heute aus gesehen, wurde etwas zu großer Wert auf den strikten Gehorsam gelegt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass Gehorsam neben Keuschheit und Armut eines der klösterlichen Gelübde ist. Allerdings mich störte wohl stärker als die meisten Mitschüler das Aufsichtswesen, wobei Senioren aus der Gruppe selbst eine gewisse Mitverantwortung für das Funktionieren der jeweiligen Gemeinschaft trugen, aber auch die eigenen Mitschüler kontrollieren und deren Verfehlungen melden sollten. Diese Bespitzelung wurde für mich zu einem wichtigen Grund, weshalb ich das Missionshaus verlassen habe.

Der allgegenwärtige Missionsauftrag bewahrte unseren Blick vor der Verengung. Patres, die aus der Mission auf Heimaturlaub kamen, hörten wir so gespannt zu, als stünde Karl May vor uns. Sie weckten Sympathien für die sogenannten Heidenvölker, warben für den Lebenseinsatz in der Missionsarbeit, überwanden aufkeimende Berufungszweifel. Diese Männer hatten großen Einfluss auf uns, denn sie erzählten Erfahrenes, waren darum glaubwürdig. Damals schon begann sich das Verständnis des Missionsauftrages von der einseitigen Konzentration auf die Bekehrung zum katholischen Glauben hin zu einer ganzheitlichen, umfassenden Hilfe im Sinne der Bibel zu wandeln. Der heutige Missionsprokurator kennzeichnet in seinem Rundbrief vom Mai 2010 den Missionar dann auch als „Mutmacher“. Pater Liebscher führt aus: „Ein Mutmacher baut die Menschen auf, ...ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen ... Sie begleiten Menschen in Not in einem langen Prozess ...“. Die Menschen in den Missionsländern erfahren am eigenen Leibe, solche Missionare predigen nicht nur, sie helfen. Man wünscht sich, dass sich für dieses Missionierungsverständnis künftig wieder Idealisten begeistern ließen, und das Missionshaus ein neues Erwachen erlebt. Das trübe Bild der Gläubigen von ihrer Kirche hierzulande aber steht gegen einen baldigen Aufbruch und hemmt diese Hoffnung. Sollte es eine kraftvolle Zukunft für das Missionshaus St. Wendel geben, ist sie wohl von einer überzeugenden gesamtkirchlichen Erneuerung abhängig. Der Missionsgeist entfaltet nur Kraft, wenn in ihm Begeisterung glüht. Wer z. B. wie einflussreiche vatikanische Kreise in der Theologie der Befreiung einen Gefahrenherd aber keine Chance sieht, kann schwerlich einer dialogischen wie solidarischen Missionsarbeit gerecht werden.

Das Missionshaus St. Wendel als Gebäude erscheint in seiner Anlage nur zum Kloster geeignet, sonst wohl zu kaum einer Nutzung. Ob wir in zehn/zwanzig Jahren auf unserem Sonntagsspaziergang an einer trostlosen Ruine vorbeischleichen oder freudig gestimmt zu einem Haus mit Zukunft hinstreben, das wird sich an der weiteren Entwicklung in Gesellschaft und Kirche entscheiden.


© imprimatur Dezember 2010
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden: