Stefan Herok
Zwischen Vertuschung und Scham – Meine katholische Kirche in diesen Tagen

„Wie geht’s Dir denn so mit Deiner katholischen Kirche zurzeit!?“ Diesen Satz bekomme ich dieser Tage häufig zu hören. Von meinen Nachbarn, meinen Lehrerkolleginnen und -kollegen mit den anderen Fächern, in meinem Verein, manchmal sogar von fremden Leuten im Dorf beim Einkaufen, die irgendwie mitbekommen haben, dass ich bei der Kirche arbeite… Und es ist mehr als nur eine Frage. Am Unterton in der Stimme ist ihre Botschaft an mich gleich mitzuhören.

Die einen signalisieren mir zwischen den Zeilen: „Du persönlich bist ja ganz nett, aber was Du bei dieser Kirche willst, das haben wir noch nie verstanden!“ Tiefer Argwohn aus Prinzip, weil diese Freunde und Bekannten mehr einem rationalen oder materiellen Weltbild folgen als meinem religiösen. Oder auch, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben in Sachen Kirche und Religion mit Pfarrern, Lehrern oder in ihren Familien. Sie fühlen sich nun durch grobes Fehlverhalten von Kirchenleuten und den ungeheuren Glaubwürdigkeitsverlust, den Kirche sich gerade einhandelt, in ihrer Skepsis bestätigt. Dem moralischen Anspruch, den meine Kirche vertritt, dem mochten sie noch nie folgen. Entweder konnten sie die Werte und Normen der Kirche nicht teilen oder sie hatten Probleme mit der Art und Weise, in der meine Kirche ihre Lehren vorträgt.

Bei anderen klingt die Frage, wie es mir zurzeit mit meiner Kirche geht, neutraler: Sie wollen echt meine Meinung wissen, weil sie mich und meine Kirche etwas näher kennen. Sie wissen schon, dass es auch in dieser zuweilen recht starrsinnig-uniform und greisenhaft oder arrogant auftretenden Institution eine gewisse Meinungsvielfalt und ein breiteres Handlungsspektrum gibt. Sie urteilen über Personen und Positionen meiner Kirche etwas verhaltener oder differenzieren mehr.

Bei wieder anderen schwingt in ihrer Frage sogar ein Hauch von Mitgefühl für mich und meine Kirche mit, weil sich Menschen nicht nur berechtigt empören, sondern manche auch unangemessen reagieren, z.B. alles pauschalisieren.

Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen darüber spreche, höre ich, dass es ihnen ähnlich ergeht, und ich fühle viel Ratlosigkeit, zuweilen Resignation, Trauer und Scham. Dann wieder aber auch heftige Durchhalteparolen und blinde Vorwärtsverteidigung.

Ich ziehe mich dann irgendwie zurück und werde ganz still und fühle ganz tief in mir drinnen nach, wie es mir zurzeit wirklich geht mit meiner Kirche…

Ja, ich verstehe die Empörung. Die Missbrauchstaten, die mehr und mehr herauskommen, sind furchtbar. Der vertuschende Umgang meiner Kirche mit dieser Schuld ist Skandal und verdoppelt das Drama. Und viele kirchliche Äußerungen jetzt klingen noch nicht so wirklich nach neuem Bewusstsein. Dieser sehr befangene kirchliche Umgang mit dem Thema gibt den zumeist Jahrzehnte alten Fällen ihre gegenwärtige Dramatik. Daran kann und möchte ich nichts beschönigen.

Und weil diese Empörung in ihrem tiefsten Grund so berechtigt ist, darum muss sich meine Kirche jetzt auch diesem vollen Gegenwind stellen, der ihr zurzeit ins Gesicht bläst. Auch den übermäßigen und den verzerrenden Reaktionen. Wer „Wind“ sät, wird „Sturm“ ernten, (vgl. in der Bibel Hosea 8,7) eben auch den Sturm der Entrüstung.

Die Welt und viele in unserem Land hatten gerade erst den Vertrauensverlust der Banken zu verdauen. Deren unbeherrschte Gier und wie sie sich an unseren Geldern vergriffen haben, hat viele Menschen ins materielle Verderben gestürzt. Nun zeigt sich der Vertrauensverlust meiner Kirche als vielfach schlimmerer Vorgang, denn Kirchenmänner haben sich aus unbeherrschter Gier an schutzbefohlenen Kindern vergriffen.

Die Banken haben ihr Ethos, ihr treuhänderisches Versprechen und unser Vertrauen verletzt. Die Kirche hat in einem noch sensibleren Bereich von Moral versagt. Und das auf dem Hintergrund ihrer eigenen sehr hohen Ansprüche.

Ja, meine Kirche hat in Vergangenheit und Gegenwart laut und eindringlich moralische Autorität für sich beansprucht. Ja, meine Kirche hat in der Vergangenheit
ethische Normen mehr behauptet und eingefordert, als dass es ihr gelungen wäre, die Menschen im Herzen zu diesen Werten zu bekehren und sie in diesen Dingen innerlich zu überzeugen. Das gilt vor allem für Fragen der Sexualmoral, Sex vor der Ehe, das Verhältnis von Lust und Kinderzeugung, Verhütung, gerade auch im Zusammenhang mit Aids; es gilt für die Frage nach Ehescheidung und Wiederheirat und für die Bewertung von Homosexualität. Es gilt schließlich auch für die Frage nach der Plausibilität des Zölibats der Priester, wenn die Kirche diese zu Ehelosigkeit und sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet.

Viele hohe Ansprüche. Es ist sehr schwer, sie einzuhalten. Und sie sind aus dem Lebensgefühl von heute vielfach auch nur schwer zu verstehen! Ich bin mir auch nicht sicher, ob meine Kirche in der jüngeren Vergangenheit wirklich genügend versucht hat, den tieferen Sinn, den sie in diesen moralischen Positionen sieht, den Menschen von heute verständlich zu machen und ihre Herzen dafür zu gewinnen. Und wenn sie es auch versucht hat, so ist es ihr doch weithin nicht gelungen, Menschen zur aktiven Zustimmung zu dieser Moral zu bewegen. Ob meine Kirche jetzt die Kraft findet zu prüfen, inwieweit das an den Menschen oder an der Moral liegt? Es wäre eine Chance.

Wenn Kirchenvertreter dann selbst auf diesen Gebieten scheiterten, indem sie z.B. die Zölibatsverpflichtung nicht durchhielten und heirateten, fanden sie bei vielen Menschen dafür Verständnis.

Wenn Kirchenleute, die mit ihrem Leben die Wahrheit dieser Moral bezeugen sollten, selbst an diesen „normalen Normen“ scheitern, dann erscheinen diese Normen allerdings als fragwürdig.

Nun werden aber Taten offenbar, die noch viel schlimmere Normbrüche darstellen, weil einzelne Kirchenleute Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene missbraucht haben. Damit verletzen diese Täter zutiefst ihre Opfer, und sie zerstören zusätzlich die ohnehin äußerst zerbrechliche und instabile moralische Autorität der ganzen Kirche.
Wenn Religionsvertreter so fundamentale ethische Normen verletzen wie z.B. den Schutz Minderjähriger, wie will die Kirche dann Menschen für Normen gewinnen, die nur in der Kraft und im Licht des Glaubens zu halten und zu begreifen sind, wie z.B. die Unauflöslichkeit der Ehe?

Wenn Kirchenobere aus Imagegründen diese Taten vertuschen und nicht konsequent genug verhindern, dass so etwas wieder passiert, dann machen sie sich mit schuldig, tragen Verantwortung für die Folgen. Auch für den jetzigen Vertrauensverlust.

Wer seinen eigenen hohen, vielleicht sogar „überhöhten“ Anspruch verletzt, der fällt besonders tief. Vor allem in der Achtung der Menschen. Keiner wird ihn und seine Lehren mehr beachten. Und er reißt die neben ihm mit in den Abgrund des Vertrauensverlustes.

Das alles schmerzt mich sehr. Es macht mich traurig und – wütend! Schmerz, Trauer und Wut wild zusammengewürfelt im Angesicht von Schuld, das erzeugt Scham. „Wie geht’s Dir denn so mit Deiner katholischen Kirche zurzeit!?“ Ich schäme mich für meine Kirche. Ja, ich schäme mich.

Was mache ich nun mit dieser Scham? Wem nutzt es, dass ich mich meiner Kirche schäme? Tröstet es die Opfer? Heilt es die Täter? Verändert es die Vertuscher? Wahrscheinlich nicht. Schamgefühl gibt zunächst nur dem eigenen Herzen Richtung, schafft innere Ordnung und Orientierung.

Ich fühle mich meinem Gott und seiner Botschaft von der uneigennützigen Liebe zu den Menschen nur noch stärker verbunden, wenn mir die Schuld bewusst wird, die wir im Versagen dieser Liebe auf uns laden. Ich suche verstärkt die Nähe Jesu, unter dessen Vorbild und in dessen Kraft meine Liebe reifen kann und jede Gier sich beruhigen. Ich möchte Gott und die Menschen um Verzeihung bitten für das Versagen dieser Liebe in mir und meiner Kirche. Und ich möchte immer weiter und immer mehr daran mitarbeiten, dass Menschen bei uns in der Kirche doch auch verlässlicher Liebe begegnen, der sie vertrauen können, die sie wachsen lässt und von der sie nicht verletzt werden.

Mir haben Menschen in der Kirche solche Liebe geschenkt. Darum kann es mir mit Kirche nur gut gehen, wenn ich diese Liebe weiter schenke.

Ob wir das Vertrauen der Menschen wiedergewinnen können und sie Herz und Seele wieder in die Kirche tragen, wie ihr Geld auf die Bank? Ich weiß es nicht. Aber ich möchte daran mitarbeiten.

Aus: HR-1 - Sonntagsgedanken 2. Mai 2010 – Stefan Herok, Limburg.


© imprimatur Dezember 2010
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