Paul M. Müller
Gott und den Menschen nahe
Reinhard Feiter/Hadwig Müller (Hg.) Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers
Stuttgart (Schabenverlag) 2. Auflage 2010, 168 Seiten


„Gott und den Menschen nahe“ - diese Vision macht angesichts fehlender Priester und abnehmender finanzieller Einnahmen nicht nur die Verantwortlichen in deutschen Diözesen und Kirchengemeinden ratlos. Die Ratlosigkeit schlägt sich nieder in Reformen, die sich grundsätzlich am Rückgang der Priesterzahlen orientieren, deshalb im wesentlichen auf Vergrößerung der Seelsorgeinheiten (Pfarrverbände, Pfarrverbünde, Pfarreiengemeinschaften, Großpfarreien etc.) hinauslaufen. Es bleibt, wenn auch in vergrößerten Räumen, bei pastoralen Strukturen, an deren Spitze ein Amtspriester steht, der von haupt-, neben- und ehrenamtlichen Laien unterstützt wird, die ihm in begrenzter Weise „zur Hand“ gehen. Dabei ist hinreichend bekannt, dass pastorale Strukturen dieser Art nicht in der Lage sind, kirchliche Identität zu stiften; sie belassen die „Gläubigen“ - zusätzlich zu ihrer säkularen Isolation - in kirchlicher Heimatlosigkeit.

Anders sieht es mancherorts in Frankreich aus. Speziell in der Diözese Poitiers gibt es einen Umbau der gesamten Seelsorge, bei der die überkommenen räumlichen Strukturen zugunsten von Beziehungsräumen abgelöst werden. „Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?“ stellt mit unterschiedlichen Beiträgen das Konzept dieser neuen Pastoral im Bistum Poitiers dar. Das tradierte priesterzentrierte Pfarrsystem, in dem die Laien, wie sehr sie sich auch in den Gemeinden engagieren, immer nur Helfer, Beiträger oder Ersatzlösungen sein konnten, wird radikal abgelöst. Der Bischof von Poitiers, Albert Rouet, spricht von der kopernikanischen Wende hin zu real selbstverantwortlichen Gemeinden. Dabei hebt er hervor, dass diese Wende zu einem neuen Selbstverständnis der Gemeinden auch befreiend für die Priester sei, die den neuen Weg mitgehen und erleben. Bischof Rouet betont ausdrücklich, dass die zentralen Verantwortlichkeiten der Kirche (Zeugnis, Gebet und Dienst) für alle Glieder der Gemeinde gleichermaßen gelten. Grundsätzlich geht es im Prozess dieser Reform um den „Übergang aus dem Zustand, in dem Laien als fleißige und tüchtige Mitarbeiter um den Priester kreisen, um dem Herrn Pfarrer zu helfen, hin zu dem Status wirklicher, verantwortlicher Gemeinden - mit einem Priester zu ihrem Dienst, der von Gemeinde zu Gemeinde geht und sich für jede Zeit nimmt.“ (27)

Wenn auch das Leitwort eines Studientages der Deutschen Bischofskonferenz von 2007 „Mehr als Strukturen“ lautete, blieben die Reformen doch im wesentlichen in der Errichtung immer größerer Seelsorgeräume stecken. Auch die Vorstellung einer stärkeren Vernetzung der pastoralen Räume haben daran kaum etwas verändert. Die Verantwortlichen im Bistum Poitiers setzen andere Prioritäten, die sich weithin an den Nöten und Erwartungen der Menschen orientieren. Zudem setzen sie auf das Potential der Ideen und Fähigkeiten von Laien, die miteinander Kirche Jesu Christi sein wollen. Die Erfahrungen im Bistum Poitiers zeigen, dass sie dazu auch, begleitet durch den geistlichen Dienst der Priester, in der Lage sind. Dabei spielen „Nähe“ und „Vertrauen“ eine grundlegende Rolle. Naturgemäß führt diese „kopernikanische Wende“ der Pastoral von Poitiers zu unterschiedlichen Erfahrungen in den Basisequipen vor Ort. Alles in allem aber vermittelt sie positive Schlüsselerfahrungen bei Laien und Priestern, die ihnen sagen, dass die neue Form der Kirche „geht“ und „wie sie am besten geht“.

Obwohl diese radikale Kirchenreform der Diözese Poitiers auf deutsche Verhältnisse nicht adäquat übertragbar ist, sind ihre theologischen Ansätze für jede Kirchenreform, die sich nicht nur um den Priestermangel rankt, unverzichtbar. Die Lektüre von „Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof“ und deren Impulse könnten sich auch über alle Priesterarmut hinaus in deutschen Bistümern als segensreich erweisen. Sehr zu empfehlen!


© imprimatur Oktober 2010
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden: