Daniel Deckers
Der Papst will keinen, der mit ihm spricht

Zu allen Vorwürfen schweigt der Papst, so böswillig sie auch sein mögen. Sein Erzrivale sprach stattdessen für ihn. Wer berät, jetzt in der Krise, Benedikt XVI.? Inzwischen fünf Jahre im Amt, hat er sich weitgehend abgeschottet. Die Anatomie eines Hofstaates.

Papst Benedikt XVI. lässt nur wenige Vertraute in seine Privatheit eindringen

Es war ein Bruch mit allen liturgischen Gepflogenheiten - und zugleich ein weiterer unfreiwilliger Beweis dafür, dass die katholische Kirche fünf Jahre nach der Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst in einer dramatischen Krise steckt. Zu Beginn des Gottesdienstes am Ostersonntag trug Kardinal Angelo Sodano eine Ergebenheitsadresse des Kardinalskollegiums an Benedikt XVI. vor: „Das Volk Gottes ist mit Ihnen.“

Der Papst verfolgte die Intervention des Kardinals, der die Attacken auf den „makellosen Fels der heiligen Kirche Christi“ als „Geschwätz“ abtat, mit unbewegter Miene. Dann dankte er mit einer Umarmung, die dem Friedensgruß der katholischen Liturgie ähnelt. Das hässliche Wort „Missbrauch“ trübte den vatikanischen Osterfrieden nicht.

Mikropolitik wie zur Zeit der Spätrenaissance

Ein seltsames Schauspiel: Kardinal Angelo Sodano sprach bei der Ostermesse für den Papst.

Dass der Papst sich nicht mehr persönlich äußern würde, sei zwei Wochen vor Ostern im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines Briefes an die irischen Katholiken festgelegt worden, heißt es bei ranghohen Personen in Rom. Doch auch sie wissen keine Antwort auf die Frage, wer den Papst zum Schweigen und den Kardinal zum Reden gebracht haben könnte - nicht zuletzt weil Sodano ein alter Widersacher Benedikts ist.

Nun waren die Handlungsmuster im Zentrum der Kirche noch nie mit Entscheidungs- und Konfliktlösungsmechanismen in modernen Regierungen und mit rationalem Verwaltungshandeln vergleichbar.

Johannes Paul II. konnte mit seinem Charisma viele strukturelle Schwächen überdecken. Benedikt vermag das nicht. Mittlerweile hat sich die Kurie vollends in einen Hof zurückverwandelt, an dem Mikropolitik wie zur Zeit der Spätrenaissance betrieben wird.

Zwei komplett gegensätzliche Männer

Kardinal Sodano, der da am Ostersonntag das Wort ergriff, sprach als ranghöchstes Mitglied des Kardinalskollegiums, nicht als Freund oder Vertrauter des Papstes - im Gegenteil. Als Kardinalstaatssekretär unter Papst Johannes Paul II. war Sodano zusammen mit dem damaligen Papstsekretär einer der beiden stärksten Männer im Vatikan. Ratzinger war Präfekt der Glaubenskongregation und als Sachwalter des Dogmas der institutionelle Antipode des obersten, mit allen Wassern gewaschenen Kirchendiplomaten Sodano.

Die beiden Männer waren selten einer Meinung. In den neunziger Jahren beispielsweise war Ratzinger für, Sodano gegen den Ausstieg der deutschen Bischöfe aus der gesetzlichen Schwangerenberatung. Als der von Papst Johannes Paul II. und seiner Entourage protegierte Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer Mitte der Neunziger in den Verdacht geriet, sich an jungen Männern vergangen zu haben, war es Ratzinger, der auf eine Untersuchung drang. Im Vorzimmer des Papstes war kein Durchkommen.

Erst 2001 gelang es Ratzinger, die Zuständigkeit seiner Behörde für alle Fälle sexueller Übergriffe von Geistlichen auf Minderjährige zu erhalten.

Nach seiner Wahl griff er hart durch

Nach seiner Wahl zum Papst im April 2005 machte Ratzinger kurzen Prozess. 2006 verurteilte er den Gründer der „Legionäre Christi“, Marcel Maciel Degollado, zu einem „Leben des Gebetes und der Buße“. Der Mexikaner hatte sich an Seminaristen vergangen - und Sodano hatte lange Zeit seine schützende Hand über den auch von Johannes Paul II. geschätzten Ordensgründer gehalten.

Gleichzeitig ersetzte Benedikt auch den Kardinalstaatssekretär und seine Seilschaft aus Norditalien weitgehend mit Leuten seines Vertrauens. Allen voran machte er seinen langjährigen engsten Mitarbeiter in der Glaubenskongregation, Tarcisio Bertone, zum Kardinalstaatssekretär.

Bertone war auf Reisen

Bertone war am Ostersonntag nicht auf dem Petersplatz zu sehen. Am Dienstag tat er das, was er so gerne tut wie ein Fußballspiel zu kommentieren: verreisen. Dass er keine Fremdsprache spricht, dämpft seine Reiselust nicht. Die aber ist so übermächtig, dass er als zweiter Mann im Vatikan und Leiter der wichtigsten Behörde nicht nur in den Augen seines Vorgängers Sodano ein Versager ist.

Auch Kardinäle, die wie der Kölner Joachim Kardinal Meisner mit dem Papst auf gutem Fuß stehen, sind längst bei Benedikt vorstellig geworden, um ihm die Trennung von Bertone nahezulegen. Ratzinger hat dieses Ansinnen bislang weit von sich gewiesen.

Warum der Auftritt Sodanos?

Was also spielte sich wirklich am Ostersonntag auf den Stufen des Petersdomes ab, und was sagt dieser Vorfall über die inneren Verhältnisse des Vatikans? Enthielt Sodanos Auftritt die versteckte Botschaft an seinen alten Widersacher, dass noch immer mit ihm zu rechnen sei? Könnte er seine Stellung nur genutzt haben, um seinen Nachfolger im Staatssekretariat öffentlich zu düpieren?

Oder symbolisierte der Friedensgruß des 82 Jahre alten Sodano mit dem Papst, der am gestrigen Samstag 83 Jahre alt wurde, nur dasselbe autistische Verhältnis gegenüber der modernen Welt, das einst auch die Greise in den Politbüros der kommunistischen Diktaturen an den Tag gelegt hatten?

Jede dieser Interpretationen macht in diesen Tagen in Rom die Runde. Nur eine wird ausgeschlossen: dass Sodano dem Papst ehrlichen Herzens beispringen wollte. Stattdessen heißt es: Wie es wirklich zu dem Auftritt Sodanos kam, weiß womöglich nicht einmal Benedikt.

Direkten Zugang haben nur wenige

Denn was in der Welt und auch in Rom geschieht, gelangt zum Papst nur vorsortiert über den Schreibtisch seines Privatsekretärs Georg Gänswein oder aus dem Mund einiger weniger Vertrauter wie seines Bruders Georg Ratzinger, der schon seit längerem in Rom weilt. „Giorgionismo“ lautet in Anspielung auf die beiden Georgs die italienisch-spöttische Beschreibung jener von Benedikt selbst erzeugten hermetischen Abgeschlossenheit seines engsten Umfeldes.

Zu dienstlichen Besprechungen sieht dieser Papst wie auch sein Vorgänger regelmäßig nur die Präfekten der Glaubens- und der Bischofskongregation. Direkten Zugang haben nur Bertone und wohl auch, alter Gewohnheit folgend, der zweite Mann im Staatssekretariat, Erzbischof Fernando Filoni. Gerne hört der Papst den Rat des Großrektors der Lateran-Universität und Präsidenten der „Akademie für das Leben“, Erzbischof Rino Fisichella.

Ratzinger will es privat

Alle anderen Kurienkardinäle, wie der deutsche, kirchenpolitisch überaus wichtige Ökumene-Minister Kasper, müssen oft Wochen, wenn nicht Monate auf Audienzen beim Papst warten. Unvorstellbar ist unter Benedikt, dass einfache Monsignori aus den vatikanischen Behörden an den Tisch des Papstes gebeten werden und dort aufgefordert werden, zu berichten, was ihnen auf dem Herzen liegt. So war es bei Johannes Paul II.

Ratzinger schätzt die Privatheit höher als sein Vorgänger. Er ist mittlerweile fast so alt, wie es Johannes Paul II. bei seinem Tod im Frühjahr 2005 war, und von dem Wunsch beseelt, den zweiten Band seines Jesus-Buches fertigzustellen.

Die Rechte weiß nicht, was die Linke tut

Gänzlich unüblich ist es auch, dass die wichtigsten Kurienkardinäle frühzeitig in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Von der Übung, Besprechungen im Stil von Kabinettssitzungen abzuhalten, ist Benedikt nach bescheidenen Anfängen während seines ersten Amtsjahres abgerückt.

Seit Jahren weiß in der Kurie deshalb die Rechte nicht, was die Linke tut. Das bekommt vor allem der Sprecher des Vatikans, Federico Lombardi, zu spüren. Selbst wenn der Jesuit wie sein Vorgänger Joaquín Navarro-Valls regelmäßig Hintergrundgespräche mit Journalisten führen wollte, er wüsste oft nichts zu berichten. Wenn überhaupt, dann wird er als einer der Letzten ins Bild gesetzt.

Ratzinger schweigt

Die Kommunikation innerhalb des Vatikans nahe der Nulllinie, die Kommunikation nach außen trotz der katastrophalen Versäumnisse im Zuge der Rehabilitation der Pius-Bischöfe unverändert - und dann ein undurchsichtiges Schauspiel wie das auf dem österlichen Petersplatz.

Im März vergangenen Jahres schrieb der Papst nach Wochen medialer Belagerung einen persönlich gehaltenen Brief, klagte über die „sprungbereite Feindseligkeit“ der Medien und erläuterte die Motive, die ihn veranlasst hatten, die Exkommunikation der Bischöfe der Pius-Bruderschaft aufzuheben. Jetzt schweigt er zu allen Vorwürfen, die seine Person betreffen, so böswillig sie auch sein mögen.

Die Vorwürfe sind zahlreich

Hat Ratzinger als Erzbischof von München und Freising den Einsatz eines pädophilen Priesters in der Seelsorge gutgeheißen, wie mittlerweile suggeriert wird? Oder haben nicht jene recht, die immer darauf beharrten, dass Ratzinger auch in München eher der Professor blieb als ein Bischof wurde, der sich um Land und Leute kümmerte?

Hat Ratzinger als Präfekt der vatikanischen Kongregation der Glaubenslehre, wie die „New York Times“ jüngst zu berichten wusste, zu Beginn der achtziger Jahre mit fadenscheinigen Argumenten die Entlassung eines wegen sexueller Übergriffe rechtskräftig verurteilten amerikanischen Priesters aus dem Klerikerstand hinausgezögert?

Oder waren Ratzinger durch die Linie von Johannes Paul II. die Hände gebunden, die Hürden für die Laisierung von Priestern so hoch wie möglich zu legen, nachdem es unter Papst Paul VI. viele Jahre lang massenhafte Entlassungen von Geistlichen gegeben hatte?

Die Implosion steht bevor

Jetzt rächen sich viele bedenkliche Entwicklungen während des langen Pontifikats von Johannes Paul II., etwa die Präferenz Roms für rechtgläubige, aber führungs- und leitungsschwache Bischöfe. Und der allzu laxe Umgang mit dem Problem Pädophilie - bis Joseph Kardinal Ratzinger am Hof so viel Macht gewonnen hatte, dass er „die anderen“ verdrängen konnte.

Am Montag beginnt Jahr sechs des Pontifikats von Benedikt XVI. Es steht im Zeichen einer Implosion von Strukturen wie zuletzt 1870 nach dem Untergang des Kirchenstaates.

Text: F.A.S.


© imprimatur Oktober 2010
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