Enttäuschte Hoffnung?
Über die Ökumene und den Kirchentag
Ein Gespräch mit dem Theologen Paul M. Zulehner


Florian Breitmeier:
Herr Zulehner, das Motto des 2. Ökumenischen Kirchentags, der heute endet, lautet: „Damit ihr Hoffnung habt“. Gibt es eigentlich eine urchristliche Verpflichtung des Menschen zur Hoffnung? Weil Hoffnung erfahren, Hoffnung erleben auch etwas mit dem Beiseiteschieben von Illusionen, Trugbildern zu tun hat.

Paul M. Zulehner:
Ich glaube schon, dass das substanziell ist. Nicht nur für die Lebensgeschichte des Einzelnen, sondern auch für die kirchliche Gemeinschaft. Ich wage zu sagen: eigentlich für die ganze Welt. Dass man die Hoffnung hat, dass das, was Gott so wunderbar begonnen hat, wie der Rilke schreibt, dass das auch ein gutes Ende nimmt, das ist, glaube ich, die Urhoffnung der Christen. Und insofern sind die Christen ganz seltsame Optimisten in einer Zeit, wo der Optimismus eigentlich einem abhanden zu kommen scheint. Wenn man die Welt anschaut und ihre Entwicklung, wenn man die Bosheit der Menschen sieht, wenn man das Dunkle sich anschaut, von der Shoah herauf bis zur Finanzkrise, dann hat man den Eindruck: kann das überhaupt gut ausgehen? Und die Christen sind immer dann prophetisch gegenläufig und sagen: „Aus der Sicht des Menschen vielleicht nicht, aber ist das Gott zuzutrauen?“; zumindest im Modus der Frage besteht die Hoffnung.

Florian Breitmeier:
Wenn man einmal zurückschaut auf die vergangenen Tage von München: wurden Ihre Hoffnungen da eher erfüllt oder eher enttäuscht, was die Ökumene betrifft?

Paul M. Zulehner:
Ich war in einer großen Veranstaltung zum Herrenmahl und hatte das Gefühl, also eigentlich hatten wir das 1971 schon gesagt. Also vor 40 Jahren, als in Augsburg der erste Ökumenische Kirchentag, mehr oder minder so, gewesen ist. Und der Eindruck, dass es so eine Art Stagnation mit angehaltenem Atem ist. Und man nicht so richtig weiß, wie es jetzt weitergeht. Oder, wenn man aus Insiderkreisen hört, dass es in der Ökumene jetzt eine Kommission gibt, die zumindest mal das katalogisiert, was vielleicht unbestritten gilt zwischen den Kirchen. Und man auch möchte, dass die Kirchenleitungen dann das so anerkennen, was unbestritten gilt, damit man sieht, was noch offen ist und was noch weiter kommen kann. Dann macht man das nicht, wenn man gerade unterwegs ist, sondern wenn man am Parkplatz steht und schaut, in welche Richtung könnte es jetzt weitergehen.

Und wie kommt ein neuer Aufbruch zu Stande. Ich habe den Eindruck nicht gehabt, dass es jetzt eine Zeit des Aufbruchs ist, sondern eine Zeit der extremen Nachdenklichkeit. Ob der Weg richtig war, wie weit man kommen kann, was man sich gegenseitig zumuten kann, ob man sich nicht zu viel zugemutet hat. Und ich habe eine Sorge dabei, das spürt man ja auch in den Diskussionen der Foren, dass die Kirchenleitung hinter dem Kirchenvolk weit zurück ist. Und zwar in vielen Fragen, nicht nur zwischen den Kirchen. Ich komme von der katholischen Kirche her, auch innerhalb meiner eigenen katholischen Kirche geht die Kluft zwischen der langsamen Leitung und des ungeduldigen schnelleren Volkes immer weiter auseinander. Und das ist natürlich für die Entwicklung der großen Kirchen schon eine dramatische Situation. Wenn Probleme an der Basis wachsen und die Kirchenleitung meint, man könnte das aussitzen, ist es wahrscheinlich genau das, was nicht gehen wird.

Theoretiker sagen, wenn man ein Problem zu lange nicht angeht, verliert man irgendwann die Kompetenz, es dann zu lösen. Weil es sich verselbstständigt in den Lösungen.

Florian Breitmeier:
Ich möchte mal in diesem Bild bleiben, das Sie gewählt haben, auf der Straße zu sein, unterwegs zu sein, vielleicht auch zu stehen. Wenn man dann an den Seitenrand schaut, gibt es ja trotzdem auch die Hinweistafeln, wie viel Kilometer noch etwas entfernt ist. Wie lautet denn Ihre Vision von der Ökumene?

Paul M. Zulehner:
Es wäre ja leicht, müssten sich die progressiven Katholiken mit den progressiven Protestanten unterhalten. Aber jetzt ist das noch viel komplexer, es gibt da nicht nur die Anglikaner, es gibt vor allem die Orthodoxie. Und wenn meine Analysen stimmen, und das bewegt mich schon geraume Zeit, dann habe ich den Eindruck, dass der Protestantismus in Europa ein Kind der Moderne ist. Er ist ja am Beginn der Neuzeit entstanden und hat versucht, das Christentum unter den Bedingungen der modernen Welt sehr personal, sehr individuell, relativ wenig ohne das Dazwischentreten einer Kirche in das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, zu organisieren. Dann haben wir aber auf der andern Seite einen offensichtlich sehr vormodernen Strang der orthodoxen Kirchen, die viel weniger dieser Modernität schätzen, sich vielleicht noch viel mehr als die katholische Kirche auch gegen diese Moderne wehren und vor ihr zu bewahren suchen. Und der Katholizismus ist irgendwie hilflos dazwischen, hat man das Gefühl: auf der einen Seite seit dem Konzil den Dialog mit der Moderne voran treiben. Möchte aber zugleich, und das ist ein Privileg des deutschen Papstes, auch mit der orthodoxen Tradition in ein gutes Gespräch kommen. Er ist ja gleichsam zerrissen, er muss aufmachen, er muss aber gleichzeitig zu machen. Und ich denke, das ist die ganz große Schwierigkeit, in der das Einheitssekretariat auch unter Walter Kasper zur Zeit steckt - dass man so unterschiedliche Geschwindigkeiten hat. Die evangelischen Traditionen sind sehr modern und ungeduldig. Die orthodoxe ist sehr bremsend und geduldig. Also, was macht der Katholizismus dazwischen? Und irgendwann hat man das Gefühl, die eigentlichen Entscheidungen fallen dann gar nicht mehr im Verhältnis zwischen Katholiken und Orthodoxen hier, und Katholiken und Protestanten dort.

Sondern, erst wenn sich zwischen Orthodoxie und Protestantismus etwas entwickelt, dann kann die Ökumene vielleicht voran kommen.

Florian Breitmeier:
Wäre es denn klug oder ratsam, wenn die Basis sagen würde: egal was die Kirchenleitungen diskutieren, was das Abendmahl betrifft, die brauchen vielleicht noch 30, 40 oder 100 Jahre um sich zu einigen, wir machen das einfach? Ist das ratsam?

Paul M. Zulehner:
Es gab ja in der Geschichte umgekehrt den Fall, dass 1054 die Katholiken und die Orthodoxen sich versöhnt haben auf höchster Ebene und das Volk hat eigentlich nicht mitgemacht. Und das ist irgendwie daran auch gescheitert, dann nachher, dass das nicht synergetisch war. Und ich hätte schon den Wunsch und die Vision, dass es eine maximale Synergie gibt zwischen der Basis - Basis ist eigentlich ein schlechtes Wort für eine Kirche – also zwischen dem Gottesvolk, das in den Gemeinden lebt; das unmittelbar auch, und das ist vielleicht bei der Ökumene einer der interessantesten Fälle, in diesen konfessionsverbindenden Ehen lebt, wo man ja die Spaltung hautnah erlebt: Wenn das Kind, katholisch, zur Erstkommunion geht und der evangelische Vater an diesem Tag ausgeschlossen ist, das muss ein Trauma für das Kind letztlich sein, wenn die Kirchen so handeln. Also könnte es dann sein, dass auf der einen Seite hier das Kirchenvolk und auf der anderen Seite eine in das Volk tief eintauchende Kirchenleitung einen gemeinsamen Weg entwickelt. Mein hochverehrter Kardinal König, den ich in diesen Fragen sehr geschätzt habe, der hat immer gesagt, auch öffentlich, er bittet geradezu das Kirchenvolk ungeduldiger zu sein, zu drängen. Und vielleicht ist das, was in den Zeiten der vielleicht sichtbaren Stagnation heute das wichtigste ökumenische Kapital ist, dass es Leute gibt, die nicht kapitulieren und sagen, es geht überhaupt nichts weiter, also braucht man gar nichts mehr zu tun. Sondern das vielleicht der eigentliche Fortschritt ist, dass man die Ungeduld am Leben erhält. Und dass es Leute gibt, die auch den Bischöfen sagen: Also Bischöfe, müssen wir wirklich den Weg gehen, dass man zuerst die Einheit hat und dann Eucharistie feiert? Oder könnte man nicht sagen, wir haben auf Grund der Taufe so viel Einheit, dass wir dann ganz leicht das Risiko hinnehmen können, dass wir in der Eucharistiefrage oder in der Amtsfrage einige Verschiedenheiten haben.

Das ist der rigorose Weg, der uns zurzeit sehr verlangsamt in der ökumenischen Bewegung, während der offenere Weg sein könnte, zu sagen: Gut, wir sind zwar noch in allen Fragen nicht eins, aber wir feiern jetzt das Herrenmahl, weil wir es radikal ernst nehmen, dass Jesus der Herr, dem man auch die Taufe verdankt, alle einlädt - alle die den Namen Christi tragen - zu diesem seinem Mahl. Und wenn er uns einlädt, dann können wir nicht auf Grund dogmatischer und sonstiger Hindernisse gleichsam den Ruf Christi an seine Gläubigen verhindern; das wäre sozusagen die andere Form der ökumenischen Entwicklung. Und ich glaube, es ist eine fundamentale Schwächung der christlichen Kirchen zurzeit in dieser eins werdenden Welt, wenn sie selbst der Skandal der Nichteinigung, der Nichteinheit der Welt bietet, die aber die Einheit brauchen würde.

Florian Breitmeier:
Nun war ein Star dieses Kirchentags die ehemalige hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Was verrät das eigentlich möglicherweise über die Struktur, über die Verfasstheit der evangelischen Kirche in Deutschland, dass eine zurückgetretene Bischöfin vom Kirchenvolk so gefeiert wird?

Paul M. Zulehner:
Nun, Frau Käßmann hat, so wie ursprünglich der Papst bei den Protestanten, hat jetzt die Frau Käßmann bei den Katholiken hohe Sympathiewerte – auch bei mir persönlich. Also ich komme ja aus dem Ausland, und ich habe das von außen her beobachtet, mich wundert es eigentlich sehr, dass es noch keine ernstlichen Bemühungen gibt, sie jetzt nach diesem Durchhänger, würde ich jetzt mal ganz profan sagen, sie wieder ins Amt zu bitten. Und zwar deswegen, weil ich glaube, was sie gewonnen hat durch ihr klares Einstehen da zu dieser Verfehlung, die sie da begangen hat, auch rechtlich und wahrscheinlich wer weiß in welcher Situation. Dass, wie sie das gemacht hat, sie eher an Glaubwürdigkeit noch gewonnen hat.

Und was die Kirchen heute brauchen, sind absolut nicht fehlerfreie aber glaubwürdige Leute. Und so würde ich mir durchaus vorstellen können, dass auch Leute, die einen Fehler machen, nach einer gewissen Bußzeit - das war es ja, was sie jetzt dann faktisch macht - dann wieder in das Amt gehen können. Die orthodoxe Tradition hatte das in Rumänien gemacht mit dem Patriarchen, der mit Ceausescu sympathisiert hatte in der kommunistischen Zeit, hat gesagt: Also du gehst jetzt ein halbes Jahr lang in ein Kloster, tust Buße und bist dann wieder Patriarch. Und so etwas ähnliches könnte man sich fast vorstellen, wäre auch der evangelischen Kirche in Deutschland zu empfehlen, obwohl ich überhaupt nicht das Recht habe, solche Empfehlungen abzugeben.

Aber ich muss ehrlich sagen, mir würde das gefallen, und zwar aus ökumenischen Gründen:

Weil wir heute merken, dass die Stärke der einen Kirche auch der anderen Kirche gut tut.

Auch das ist eine ganz seltsame Form von Sympathie-Ökumene, wenn man das so bezeichnen will. Und wir unterschätzen heute die mediale Präsenz einer solchen Bischöfin zum Beispiel, die ja nicht umsonst, bei allen umstrittenen Fragen zu Afghanistan oder weiß Gott was alles - das kann man alles diskutieren - und darf als Bischöfin auch politische Fehler machen. Aber trotzdem hat sie dann den Ehrentitel gekriegt, „die Bischöfin der Herzen“. Und das muss man erst einmal kriegen, einen solchen Ehrentitel. Und hat weit über die konfessionellen Grenzen der evangelischen Kirche hinaus Wirkung gezeigt. Also so gesehen könnte ich mir vorstellen, dass man ihr ein „Comeback“ ermöglicht. Und das würde der evangelischen Kirche und auch der Ökumene meines Erachtens doch sehr gut tun.

Florian Breitmeier:
Herr Professor Zulehner, nun hat Margot Käßmann im katholischem Dom zu München die Pille auch als „ein Geschenk Gottes“ bezeichnet. War das mutig? War das klug? War das sinnvoll im Hinblick auf die Ökumene, auf das Zusammenleben, ist das ein Anstoß gewesen?

Paul M. Zulehner:
Also ich weiß es ja auch nicht, wie viel Diplomatie man heute braucht, um das, was man ehrlichen Herzens und gewissenhaft denkt und fühlt, auszusprechen. Ich kenne ja auch katholische Bischöfe, die dasselbe sagen, im Grunde genommen. Also mein Altbischof Stecher aus Innsbruck hat das oft dem Nuntius, auch dem Vatikan gesagt. Dass er sagt, so wie Rom die Pille beurteilt hat, ist das viel zu engstirnig und vielleicht zu technokratisch, weil, das hat einen personalen Kontext, der ja auch in „Familiaris Consortio“, dem Apostolischen Schreiben geschrieben ist. Und die vielen Katholiken, die ja heute, vor diese Frage gestellt, natürlich auch die Pille als ein gar nicht so wünschenswertes und gar nicht so risikofreies Mittel heute ansehen in der Zwischenzeit, die haben ja dem Vatikan eigentlich in dieser Frage seit 1968 die Gefolgschaft nicht gegeben. Und dann müsste man doch eigentlich sagen, wenn eine so wichtige Entscheidung keine Akzeptanz im Kirchenvolk findet, dann gilt eigentlich als lange Tradition auch in der katholischen Kirche, dass solch eine Entscheidung eben vielleicht nicht gerade tragfähig gewesen ist und sich irgendwie mit der Zeit erübrigt und auflöst. Und so scheint das ja in der Pillenfrage geschehen zu sein.

Ich glaube schon, dass man dann immer noch nachdenken kann - ökumenisch ist das klug - wenn man den Partner so ein bisschen provoziert. Das kann die Frau Margot Käßmann hervorragend, glaube ich, sie provoziert Politiker, sie provoziert andere, sie provoziert manchmal auch sich selber, habe ich den Eindruck, und ist dann auch selber ein bisschen depressiv am Schluss. Also, ob es klug war, ist eine andere Frage. Aber ich glaube in der Sache, wenn man darüber offen und frei reden kann, das wäre eine Kultur, die die Welt und die Ökumene auch braucht, dieses offene Gespräch.

Florian Breitmeier:
Ein wichtiges Thema bei diesem 2. Ökumenischen Kirchentag waren auch die jüngsten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Haben sie, Herr Professor Zulehner, in den vergangenen Wochen auch einmal daran gedacht, die katholische Kirche zu verlassen, so wie das ja tausende Gläubige in den vergangenen Wochen getan haben?

Paul M. Zulehner:
Also ich muss ehrlich sagen, auf der einen Seite verstehe ich diese empfindliche Reaktion sehr vieler Menschen. Weil eine Kirche, die dauernd die moralische Latte fast so knapp unter den Himmel legt, wo man selber kaum drüber kommt, als Pfarrer auch nicht, und als Priester. Und dann kommt ans Licht, dass es unter diesen Klerikern einige gegeben hat, die schädlich und schändlich missbraucht haben, diese moralische Höhe nicht erreicht haben.

Die Fallhöhe ist also extrem hoch. Dann versteh ich schon diese großen Irritationen im Kirchenvolk und anderswo. Und in der Zwischenzeit muss man halt offiziell sagen, es beginnt jetzt von der Kirche auch langsam in die Gesellschaft hinein die Nachdenklichkeit sich auszubreiten. Und das wäre gut, wenn die Kirche halt jetzt ohne Wehleidigkeit ihre Arbeit ordentlich macht, hohe Standards setzt und kompetent die Frage löst, im Grunde genommen im Zentrum all dieser Diskussionen die beschädigten Kinder sind. Um dann endlich unbelastet von der Missbrauchsdebatte, diese ganz großen Fragen der Kirche anzugehen.

Ich glaube, es sind wirklich drei, die man mit einer Hand aufzählen kann: Also das ist diese Machtstruktur, die von oben nach unten läuft, die wenig Gespür hat für Partizipation, für Beteiligung, was eine große Schwäche der katholischen Kirche ist.

Das zweite Thema ist, dass wir im Grunde genommen einen fast platonischen Reinlichkeitswahn haben. Das reine Dogma. Der Mensch, der rein ist, wenn er seine Körperlichkeit verleugnet.

Die Verleugnung, dass die Sexualität etwas ist, wo Gott am Schluss sagt, und er sah, dass es gut war. Man hat nicht immer den Eindruck, dass das in der Kultur des Christentums überhaupt herauf kam - auch in der protestantischen übrigens nicht. Das Frivolste war vielleicht noch das katholische Barock in dieser Frage. Aber sonst generell haben wir doch eine sehr leibskeptische bis leibfeindliche Sexualmoral entwickelt. Und das dritte Thema ist meines Erachtens doch der Männlichkeitswahn, den die katholische Kirche hat. Die drei Themen hängen irgendwie zusammen, weil sie halt halbierte Männerthemen sind. Also wir haben eine Kirchenstruktur, wo die Frauen tatsächlich nicht paritätisch und so, wie das der Paulus verlangen würde, es gibt nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Männer und Frauen, sondern sie sind eins geworden. Und es herrscht eine fundamentale Gleichheit unter allen, die die Taufe haben. Also auch unter Männern und Frauen.

Ich glaube, dass die katholische Kirche dringendst einen Bedarf hat, an diese drei fundamentalen Fragen dranzugehen. Und wie gesagt, ich wünschte mir sehr, dass das jetzt nicht überschattet ist durch die Missbrauchsdebatte. Grundsätzlich: diese drei großen Fragen, der Machtstrukturen, der Reinlichkeitswahn, also die Leibfeindlichkeit, hängt natürlich auch damit zusammen, und diese unglaubliche Konzentration auf die Männer ist eine Verarmung der Kirche. Und ist eine systemische Deformation, an die die katholische Kirche in der nächsten Zeit unbedingt dran muss.

Florian Breitmeier:
Ich möchte nochmal den großen Bogen schlagen: Ökumene, Katholiken, Protestanten und Orthodoxen. Welche Rolle kommt den Laien in der Zukunft der Kirche Ihrer Meinung nach zu? Nicht nur speziell auf die katholische Kirche, sondern das Christentum insgesamt.

Paul M. Zulehner:
Ohne das Kirchenvolk ist letztlich die Kirchenleitung nicht möglich. Sie sind ja gar nicht in der Lage alles wahrzunehmen, was in den verschiedenen Gemeinden und vor Ort passiert.

Und erst, wenn die vielen Frauen und Männer, die wir in der Kirche haben, in den Pfarrgemeinderäten, auch in den ehrenamtlichen Positionen, wenn sich die zusammentun mit der Leitung einer Diözese, und wenn die Leitung und die Ortsbischöfe dann sagen, wir sind nicht die Prokuristen des Vatikans in unseren Diözesen, die Wachhunde, gleichsam die Jagdhunde des Vatikans, sondern wenn sie sagen, wir haben eine Verantwortung, nicht nur für die lokale Kirche, sondern unsere lokale Kirche ist ein Teil dieser weltweiten Christenheit.

Wir haben also Verantwortung für die Entwicklung des Ganzen.

Dann geht die Entwicklung eben nicht nur, wie jetzt, sehr stark zentralistisch, von oben nach unten, sondern dann haben wir eine Gegenbewegung. Und wenn sich bei uns etwas kreativ verändert, wenn die verschiedenen Konfessionen zusammenwachsen, ist das auch ein Zusammenwachsen der Welt und der Menschheit. Und dann tragen wir dadurch, was in der Kirche passiert auch dazu bei, dass die Schöpfung in die Vollendung weiterreift. Und ich glaube, das wäre das pfingstliche Geschehen, das wir uns innerhalb der Kirche erwarten müssen, weil es zugleich ein pfingstliches Geschehen auch für die gesamte Schöpfung ist.

Und ich erinnere mich immer mit angehaltenem Atem an diese unglaubliche Rede von Johannes Paul II. 1979 auf dem Riesenplatz in Warschau, wo er zu Pfingsten gepredigt hat und sagt: Gott wird das Angesicht Erde erneuern. Und da hat er gesagt: dieser Erde. Er meinte damals Polen, er meinte damals die kommunistische Region. Aber ich glaube, die Kirche müsste sagen zu Pfingsten: Er wird das Angesicht der Erde erneuern, und, damit das geschehen kann, muss er auch die Kirchen erneuern. Es braucht ein neues Pfingsten in den Kirchen, damit es neues Pfingsten in der Welt gibt.

Gesendet im Norddeutschen Rundfunk, Redaktion Claus Röck, Religion und Gesellschaft


Von Zulehner sind aktuell erschienen:

Zulehner, Paul M./Hennersperger, Anna: Damit die Kirche nicht „rat-los“ wird. Pfarrgemeinderäte für zukunftsfähige Gemeinden, Ostfildern 2010.

Zulehner, Paul u.a. (Hg.): Der Reichtum der Kirche sind die Menschen. Pfarrgemeinderäte beleben die Kirchengemeinden, Ostfildern 2010 (Forschungsbericht zur PGR-Studie).

Zulehner, Paul M.: Christenmut, Göttingen 2010


© imprimatur Oktober 2010
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