Auf dem Weg zu einer geschwisterlichen Kirche

Sehr geehrte Sympathisantinnen und Sympathisanten des Luzerner Manifests!
Sehr geehrte Pfarreimitglieder, sehr geehrte Seelsorgende, sehr geehrte Kirchenverwaltungsräte und Pfarreiräte!

2003 verfassten mutige Frauen und Männer der Luzerner Synode die Luzerner Erklärung zu drängenden seelsorgerlichen Fragen und suchten das Gespräch mit den Bischöfen – über die Einführung der Frauenordination und die Abschaffung des Pflichtzölibats, d.h. schlicht und einfach: über die Verwirklichung der Menschenrechte in der Kirche. Sie forderten von ihrem Diözesanbischof, die Zölibatsverpflichtung sei aufzuheben, Priester, die wegen der Verletzung des Pflichtzölibats dispensiert wurden, seien zu rehabilitieren die Ordination von Frauen sei zu ermöglichen.

Der angesprochene Diözesanbischof ging nicht auf die Forderungen ein; im Gegenteil: Er setzte die Initiantinnen unter Druck. Zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern katholischer Verbände und Vereine sowie kirchlicher Behörden organisierte in der Folge eine engagierte „Kerngruppe“ im Oktober 2006 in Luzern eine Tagung unter dem Titel „Dass Väter und Mütter das Brot reichen“. Dabei knüpften wir an die Luzerner Erklärung an und verabschiedeten ein Manifest für eine geschwisterliche Kirche. Professor Walter Kirchschläger, Universität Luzern, unterstützte uns mit einem markanten, biblisch fundierten Impuls-Referat.

Der Grossteil der Anwesenden, 113 Leute, unterzeichneten das Manifest, das heißt sie bestehen darauf, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern für die katholische Kirche Schweiz verwirklicht wird. Dazu gehört, dass Frauen und Männer, unabhängig von Zivilstand und sexueller Ausrichtung, Zugang zu allen kirchlichen Ämtern erhalten. Der offenkundige Konflikt zwischen der menschen- und verfassungsrechtlich verbürgten Gleichstellung von Mann und Frau einerseits und den der Gleichstellung entgegenwirkenden Bestimmungen des kanonischen Rechts anderseits soll zugunsten der Gleichstellung gelöst werden. Die Unterzeichnenden des Luzerner Manifests ermutigen die Kirchgemeinden dazu, ihre Verantwortung dem Evangelium gegenüber, ihre „Für eine geschwisterliche Kirche, ohne Einschränkung durch Geschlecht und Lebensstand“ Mündigkeit und ihr Recht wahrzunehmen, Frauen und Männer in pastorale Leitungsfunktionen zu wählen, die der Gemeinde persönlich, fachlich, spirituell und sozial kompetent zu dienen vermögen.

Unsere Kerngruppe versuchte, eine Projektgruppe mit den Arbeitszielen des Luzerner Manifests zu betrauen. Leider erklärte sich das Präsidium der Schweizer Bischofskonferenz im Oktober 2007 nicht bereit, in einer solchen Projektgruppe mitzuarbeiten. Im Gespräch äußerte Bischof Kurt Koch, dass er diesbezüglich keine Hoffnung auf eine Veränderung der katholischen Kirche habe und darum auch keine falschen Hoffnungszeichen setzen wolle.

Wir wollten uns aber weiterhin für eine geschwisterliche Kirche, ohne Einschränkung durch Geschlecht und Lebensstand einsetzen und verabschiedeten nach einer 2. Tagung – Predigtverbot oder Verkündigungsauftrag? – im Oktober 2008 Thesen zum Vorgehen bei Stellenbesetzungen in Kirchgemeinden. Wir hofften, Wege zu finden, damit eines Tages Kirchgemeinden – zusammen mit ihrem Bischof – die Frauen und Männer demokratisch wählen können, welche ihnen für pastorale Leitungsdienste geeignet erscheinen.

An dieser zweiten Tagung im Oktober 2008 erläuterte denn auch Dr. Gerard Zuidberg aus Utrecht die Studie „Kirche und Amt“ und ihre Wirkungsgeschichte in den Niederlanden; Prof. Dr. Leo Karrer aus Fribourg skizzierte ein zukunftsfähiges Berufsbild für PastoralassistentInnen.

Die Thesen versandten wir an alle Pfarreien und Kirchgemeinden der Deutschschweiz. Die insgesamt 29 Antworten zeigen ein sehr breites Spektrum von Zustimmung bis Ablehnung:

Verschiedene Antworten wollen bei der Wahl einer Gemeindeleiterin grundsätzlich keine Konflikte zwischen Bischof und Pfarrgemeinde orten und lehnen es grundsätzlich ab, dass Kirchgemeinden selbstständig wählen können. Andere hingegen finden die These "Die bischöfliche Sendung für die Seelsorgenden ist wesentlich" sei überzogen und weder theologisch noch kirchengeschichtlich zu begründen.

Vier staatskirchenrechtliche Gremien diskutierten die Thesen, eines von ihnen unterstützt die demokratische Wahl der Gemeindeleiter und erachtet eine Überprüfung der Zulassungsbedingungen als notwendig, die drei andern Gremien sehen nur die Möglichkeit der einvernehmlichen Zusammenarbeit mit dem Ordinariat.

Die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz RKZ (der Verband der kantonalkirchlichen Organisationen), reagierte auf unsere Thesen, indem sie die Kirchgemeinden und kantonalkirchlichen Organisationen an ihre gemeinsam mit der Schweizer Bischofskonferenz „Für eine geschwisterliche Kirche, ohne Einschränkung durch Geschlecht und Lebensstand“ verfasste Erklärung vom 25. Februar 2008 erinnerte: „[...] Die Doppelstruktur von kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Organen erfordert deren Zusammenwirken in gemeinsamen Belangen, insbesondere bei der Anstellung und Entlassung von Personal, das für seine Tätigkeit der Beauftragung durch den Bischof bedarf. Konflikte aufgrund von Kompetenzüberschreitungen belasten die Zusammenarbeit und schaden der Glaubwürdigkeit der Kirche.

[…]“ Sie bat die kantonalkirchlichen Organisationen, allfällige Anfragen aus Kirchgemeinden zu den zur Diskussion gestellten Fragen im Sinne dieser Erklärung zu beantworten und insbesondere darauf hinzuweisen, dass die These, «dass die Gemeindemitglieder entscheiden, wenn sich die Behörden der Kirchgemeinde und das Ordinariat nicht einigen können», gegen das geltende Recht verstoße.

Als Mitglieder der Kerngruppe fragen wir uns:

Sind unsere theologischen Überlegungen den Adressaten unserer Thesen tatsächlich nicht zumutbar? Sind sie zu gefährlich? Verstoßen sie wirklich gegen das duale kirchenrechtliche System? Wir denken nicht und wissen uns in guter Gesellschaft. Sabine Demel zum Beispiel, Professorin für Kirchenrecht in Regensburg, sieht im dualen System des schweizerischen Staatskirchenrechts die Chance, ein Miteinander von kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Entscheidungsträgern auf eine höhere und dem Gemeinwohl dienlichere Ebene zu stellen (vgl. Orientierung, Nr. 4, 2008).

In vielen Rückmeldungen zu unseren Thesen und in Diskussionen während unserer sechsjährigen Arbeit wurde immer wieder auf die Notwendigkeit eines einvernehmlichen Dialogs hingewiesen. Wir suchten das Gespräch, um unsere Anliegen für eine geschwisterliche Kirche in konkreten Schritten zu verwirklichen. Dieser Dialog wurde uns aber gerade auch von Machtträgern verweigert. Wir erfuhren, dass selbst gesetzgebende Behörden gar nicht diskutieren wollen. Dialog, Diskurs sind für eine am Evangelium und der Tradition ausgerichteten Institution zentral, setzen aber eine bedingungslose Begegnung voraus.

Wir sind der Meinung, dass folgende Faktoren eine substantielle Entwicklung der katholischen Kirche in der Schweiz weiterhin verhindern:

Die hierarchische Leitung der Kirche in der Schweiz hat zurzeit Angst vor Neuerungen; die Exekutiven unserer Landeskirchen üben sich in Loyalität; die meisten Kirchgemeinden und Pfarreien gehorchen oder sind gelähmt; einige haben sich auf ein noch funktionierendes Gemeindeleben zurückgezogen.

Katholische Verbände und Vereine halten sich teils aus finanziellen Überlegungen zurück und, was am meisten erschreckt: Niemand hält das heute bestehende Recht für entwicklungsfähig, sodass morgen neues Recht gelten könnte:

Für eine geschwisterliche Kirche, ohne Einschränkung durch Geschlecht und Lebensstand.

Viele Gläubige und Seelsorgende sind und bleiben frustriert und enttäuscht über die Vorgänge in der katholischen Kirche. Ist die Hoffnung noch berechtigt. dass sich die katholische Kirche dazu entschließt, vom Hierarchiemodell des Ersten Vatikanischen Konzils zum Communiomodell des Zweiten Vatikanischen Konzils zu wechseln (vgl. Sabine Demel, Orientierung, Nr. 4, 2008) und eine Gemeinschaft zu werden, die in der UNO – Menschenrechtserklärung eine aktuelle Umsetzung der jesuanischen Reich-Gottes-Botschaft sieht und sie darum vollumfänglich anerkennt und anwendet? Eine Gemeinschaft, die eucharistisches Leben in ortskirchlichen Zellen gestattet? Eine Gemeinschaft, die, fern von diskriminierendem Kastendenken, mit glaubwürdigen Frauen und Männern arbeiten will und die Theologie als Wissenschaft ernst nimmt?

Sollte die Kirche nicht in Kürze zu diesem Paradigmenwandel finden, werden sich wohl auch die Geduldigsten definitiv verabschieden. Was unabhängig von allem anderen weiter wirken und bleiben wird, ist das Evangelium. Davon sind wir überzeugt.

Für die Kerngruppe Luzerner Manifest Zürich, den 16. März 2010

Klaus Ammann


© imprimatur Juli 2010
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