Erhard Bertel
Missbrauch in einer katholischen Schule schmeckt nach katholischer Kirche.

Pater Klaus Mertes SJ, der Jesuit aus Berlin, der die Missbrauchsdiskussion in Deutschland öffentlich gemacht hat, hat bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 16./17. April 2010 in München noch einmal das Wort ergriffen. In seinem Referat führte er u.a. aus:

Ein Missbrauch in der Familie Müller schmeckt nach Familie Müller, ein Missbrauch in der Odenwaldschule schmeckt nach Reformpädagogik, ein Missbrauch in einer katholischen Schule schmeckt nach katholischer Kirche. Die Familie als Institution muss nicht abgeschafft werden, wenn in ihr Missbrauch geschieht. Die Reformpädagogik ist durch ihren Missbrauch auch nicht per se desavouiert. Dasselbe gilt auch für die kirchliche Pädagogik einschließlich ihrer Sexualpädagogik. Abusus non tollit usum. So weit so gut.

Aber auch diese banale Wahrheit kann man missbrauchen, um sich selbst und das eigene Denken einer kritischen Überprüfung zu entziehen. Der Missbrauch stellt die Institution und ihr Selbstverständnis auf den Prüfstand. Dem kann ich als Jesuit ebenso wenig entkommen wie als Lehrer und als katholischer Priester.

Um mit der Selbstprüfung weiter zu kommen, hilft es, den Opfern zuzuhören: Welche Erfahrungen haben sie mit Strukturen in der Kirche, mit kirchlicher Sexualpädagogik und mit Schweigen in der Kirche gemacht? Zum Beispiel hat die Wucht der Schuldgefühle bei den Opfern einen spezifisch katholischen Aspekt, der mit der Lehre zusammenhängt, wie mir viele Opfer berichten.

Auch das Weghören hat einen spezifisch katholischen Geschmack. Die von Missbräuchen betroffenen Schüler am Canisius-Kolleg schrieben 1981 an die Autoritäten:

Der Bereich der Sexualpädagogik liegt in alleiniger Verantwortung des geistlichen Leiters. Ein vernünftiger Austausch findet nicht statt. Eine weibliche Bezugsperson für heranwachsende Mädchen ist nicht da. Sexualität wird tabuisiert, und mit Verboten wird versucht, die Sexualität gezielt zu steuern und zu beeinflussen. Wir verweisen ferner auf die auch in der offiziellen katholischen Lehre ungelösten Probleme homosexueller Jugendlicher, die sich schwerwiegenden Belastungen ausgesetzt sehen müssen und vielfach mit ihren Problemen alleingelassen werden und erfahren müssen, widersittliche und unnatürliche Auffassungen von Sexualität zu haben.“ Die Frage, die mich quält, lautet: Was hat uns daran gehindert, solche Beschwerden zu hören und nachzufragen, welche konkreten Erfahrungen dahinter stecken? Und was hindert uns heute, zuzuhören, wenn Opfer unserer Pädagogik und Pastoral sprechen?

Ich möchte dazu einen Aspekt nennen: Nicht hören können und nicht sprechen können hängt zusammen. Wer nicht sprechen kann, kann auch nicht hören. Natürlich muss auch schweigen können, wer hören will. Das hörende Schweigen ist hier nicht gemeint. Vielmehr meine ich die Sprachlosigkeit, die mit Verschweigen, mit verängstigtem Schweigen, vielleicht auch mit Überforderung zu tun hat. Die Sprachlosigkeit ist der Preis des Schweigens. Das trifft auch auf Institutionen zu. Da scheint mir eine tiefe und wichtige Frage zu liegen:

Gibt es Themen, bei denen wir als Kirche sprachlos sind? Sprachlos, weil wir uns gefährden, wenn wir darüber sprechen? Sprachlos, weil die auszusprechende Wahrheit zu bitter, zu unschön ist? Mich interessiert die Frage im Interesse der Opfer und im Interesse der Kirche.

In dieser Ausgabe von imprimatur wird, wie in vielen öffentlichen Stellungnahmen in den Medien, deutlich, wer die Sprachlosigkeit überwindet und wer weiterhin eher schweigt. Das Gegenteil von Schweigen ist in diesem Falle nicht das Reden „über etwas“, was eine außerkirchliche Öffentlichkeit aufgedeckt hat. Bischof Mixa, der dem Vorwurf ausgesetzt ist, Kinder geschlagen zu haben, erklärt: „Mein Herz ist rein“, so etwas habe er niemals getan. Dann kommt auf Druck der Öffentlichkeit doch das Eingeständnis, dass es bei ihm „Watschen“ gab. Schmeckt das nach katholischer Kirche? Oder wenn in Ettal ehemalige Schüler und Einheimische pauschal Solidaritätsbekundungen gegenüber den Patres vor den Kameras abgeben, schmeckt das nach katholischer Kirche? Oder wenn „anrüchige“ Tatsachen im Gestrüpp der vatikanischen Behörden verschwinden, schmeckt das nach katholischer Kirche?

Müssen wir nicht dankbar dafür sein, dass eine kritische Öffentlichkeit, auch manchmal vielleicht einseitig und nicht immer aus den edelsten Motiven, die kirchlichen Strukturen an den Pranger stellt und entlarvt, wozu das kirchliche System selbst nicht in der Lage ist? Merkt man im öffentlichen Auftreten der Oberkirche schon eine Veränderung zur Bescheidenheit hin und zum schlichteren Outfit? Oder setzt man zur Stützung einer Autorität nicht weiterhin die bunte Gewandung, rote Prada-Schuhe oder überzogene Titel ein: „Oberhirten“ (Jesus belässt es bei „Ich bin der gute Hirt, ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich“) „Heiliger Vater“, Eminenzen und Exzellenzen, lt. Wikipedia: „von lateinisch excellens = hervorragend, ausgezeichnet) bezeichnet: die besondere Güte eines Objekts, einer Fähigkeit“, oder Prälaten und Monsignores. Schmeckt nicht auch diese Titel- und Kleidungssucht nach katholischer Kirche? Warum glaubt der neue Bischof von Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck, in einer Fernseh-Talkshow sich mit einem großen, goldenen Kreuz an seiner Brust präsentieren zu müssen, um dann u.a. auf Schwule einzudreschen. Vieles, was wir derzeit erleben, hat ein Gschmäckle. Lt. Wikipedia ist das „die schwäbische Verniedlichungsform von Geschmack, sinngleich mit dem hochdeutschen Wort, jedoch in der besonderen Bedeutung eines fremdartigen, verdächtigen, nicht hergehörenden Geschmacks oder Geruchs. Der Begriff wird .. im übertragenen Sinn für Sonderbarkeit, spezifische, anderen auffallende und widerwärtige oder lächerliche Art eines Individuums oder Standes benutzt. In diesem Sinne werden darunter auch Vorgänge aller Art, die mit Korruption, Filz, Ämterpatronage oder Ähnlichem in Zusammenhang gebracht werden, bezeichnet. Diese Dinge haben ein Gschmäckle, sie sind auf Hochdeutsch einfach „anrüchig“.


© imprimatur Juni 2010
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