Deutschland - (k)ein Land der Gottlosen?
Der neue Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung zum Stand von Religion und Glauben in Deutschland

Einleitung

Ein Blick in die Sonntagsgottesdienste und auf die Zahl der Kirchenaustritte scheint es zu beweisen: Religion ist in Deutschland eindeutig auf dem Rückzug. Ein Trend der in Deutschland spätestens seit den 60er Jahren zu beobachten ist, setzt sich seit der Wiedervereinigung immer weiter fort. Weite Teile des Landes wirken entchristlicht. Wird zu Beginn des neuen Jahrtausends die Prophezeiung wahr, die bereits vor 150 Jahren der lutherische Theologe und Sozialethiker Alexander von Oettingen angstvoll beschwor, „dass die Altäre des Herrn bald verwaist dastehen werden.“

Und gleichzeitig bemühen Kommentatoren immer wieder die Schlagworte, die von einer „Renaissance der Religionen“, von einer „Wiederkehr des Heiligen“ sprechen. Als Beleg werden dafür wahlweise etwa die magnetische Wirkung von Massenveranstaltungen wie dem katholischen Weltjugendtag in Köln, die massenhafte Anteilnahme am Tod von Johannes Paul II. oder die euphorische Stimmung zur Wahl seines Nachfolgers, die riesigen Verkaufszahlen esoterischer Literatur oder die Rückkehr des Themas Religion in die Politik in der Auseinandersetzung mit dem Islam angeführt. Auch im wissenschaftlichen Diskurs, der sich auf empirische Befunde stützt, finden sich Hinweise, die diesen Trend belegen könnten. Die steigenden Zahlen von Wiedereintritten in die Kirchen in Deutschland, die Beobachtung wachsender Religiosität vor allem unter den Angehörigen der jüngeren Generationen in vielen Ländern der Erde. Oder die Beobachtung, dass Migranten offensichtlich die sichtbare Religion wieder in säkularisierte Länder zurücktragen. Und eine wachsende Zahl religiöser Bewegungen auch in westlichen Staaten, deren Spektrum von christlich-fundamentalistisch, über islamisch bis christlich oder jüdisch-orthodox zu reichen scheint. Die aufgeklärte Erwartung, dass Religion unweigerlich an Bedeutung verlieren wird, scheint sich ins Gegenteil zu verkehren. Handelt es sich dabei um einen medial überzeichneten Diskurs, eine Modethese, der sich ein Teil der Wissenschaft opportunistisch angeschlossen hat?

Der Religionsmonitor als innovatives Analyse-Instrument

Um der Antwort einen Schritt näher zu gelangen, hat die Bertelsmann Stiftung im Rahmen ihres Projektes „Die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft“ den „Religionsmonitor“ entwickelt. Dabei handelt es sich um ein bislang einmaliges Erhebungs- und Analyseinstrument, das die Verbreitung und Intensität von Religiosität und individuellem Glauben in seinen verschiedensten Dimensionen im internationalen Kontext, in allen Erdteilen und allen Kulturen der etablierten Hochreligionen und Konfessionen zu erfassen sucht. Als zentrales Instrument wurden dazu im Sommer dieses Jahres auf allen Kontinenten und in 21 Ländern repräsentativ 21.000 Personen über 18 Jahren befragt. Anhand eines über 100 Fragen umfassenden Erhebungskatalogs wurden dabei zahlreiche Dimensionen von Religionszugehörigkeit und individuellen Glaubensvorstellungen erfasst. Dazu zählten unter anderem die private und öffentliche Religionspraxis der Befragten, die spezifischen Gottesvorstellungen, die spezifischen Konstruktionen von Transzendenz, persönliche religiöse Erfahrungen oder die Alltagsrelevanz von Religiosität für die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Ein innovativer Ansatz des Religionsmonitors ist die Verdichtung der zahlreichen gewonnenen Daten zu einem sogenannten „Zentralitätsindex“, die eine Zuordnung der befragten Personen nach Hochreligiösen, Religiösen und Nichtreligiösen erlaubt. Der Religionsmonitor ist darüber hinaus darauf angelegt, sowohl die Bedeutung der Religiosität für unterschiedliche Individuen als auch für einzelne Religionsgemeinschaften anzugeben. Durch die Anlage der Erhebung wurde erstmals auch ein Instrument entwickelt, das die internationale und interreligiöse Vergleichbarkeit der Daten ermöglicht.

Der Religionsmonitor ist ein interdisziplinäres Erhebungsinstrument, der unter Religiosität stets einen Transzendenzbezug (Gott, Göttliches) versteht. Außerdem berücksichtigt er einen multidimensionalen Religionsbegriff. Er nimmt nicht nur die öffentliche (z.B. Teilnahme an Gottesdiensten oder Gemeinschaftsgebeten) oder die private religiöse Praxis (Gebet, Meditation) in den Blick, sondern fragt auch nach dem Interesse an religiösen Themen, nach dem Glauben an die Transzendenz und nach den Gefühlen gegenüber Gott oder dem Göttlichen.

Darüber hinaus kommt auch die Alltagsrelevanz von Religiosität in den Blick. Der Religionsmonitor fragt nach der Bedeutung von Religiosität u.a. für den Umgang mit der Familie, mit der Natur, der eigenen Sexualität oder der Politik.

Die geplante regelmäßige Fortsetzung der internationalen Erhebung sowie ihre Ausdehnung auf weitere Länder und auf religiöse Gruppen soll zudem in den kommenden Jahren die internationale Vervollständigung sowie die Beschreibung von Trends ermöglichen.

Das Ziel des Religionsmonitors ist es, die Bedeutung von Religiosität für die Gesellschaften und die inhaltlichen und emotionalen Akzentuierungen innerhalb der Religionsgemeinschaften zu erheben. Der Religionsmonitor stellt den Religionspsychologen, -soziologen, Theologen und Religionswissenschaftlern eine große Zahl an Befunden zur Verfügung.

Nach dem Abschluss der Erhebung sollen an dieser Stelle zunächst in einem ersten Schritt zusammenfassend die wichtigsten Befunde des „Religionsmonitors 2008“ für Deutschland näher vorgestellt werden. Weitere Detailergebnisse sowie erste Befunde der internationalen Vergleichsbefragung sind in der Publikation „Religionsmonitor 2008“ (Gütersloher Verlagshaus) zusammen gefasst. Die detaillierte Präsentation aller Ergebnisse, ihre wissenschaftliche Aufarbeitung und die Publikation der Daten aus allen Befragungsländern ist für die kommenden Monate vorgesehen.

Die repräsentative und qualitative Erhebung findet zudem ihre Ergänzung durch ein entsprechendes Online-Tool. Unter www.religionsmonitor.com können Internet-Nutzer ihre individuelle Religiosität selbst überprüfen. Vollständig anonymisiert und kostenfrei wird den Usern ein Religionsprofil erstellt. Damit kann eine individuelle Einordnung der persönlichen Bedeutung und Ausprägung von Religion und Glaube vorgenommen und die persönlichen Ergebnisse mit denen der internationalen Erhebung verglichen werden.

Eine neue, bunte Vielfalt: Zentrale Ergebnisse des Religionsmonitors

Der Religionsmonitor bestätigt zunächst weitgehend die bislang erhobenen Zahlen über die formale Mitgliedschaft der Deutschen zu Kirchen und religiösen Vereinigungen.

Danach gehören rein formal cirka 70% der Menschen hierzulande einer Religionsgemeinschaft an. Jeweils rund 30% der Deutschen sind entweder römischkatholisch
oder Mitglieder der evangelischen Landeskirchen. Etwa 3% gehören kleineren christlichen Gemeinschaften oder einer dem Christentum nahe stehenden Gruppe an, deren Zahl in Deutschland auf mehrere 100 geschätzt wird. Rund 3% verstehen sich als evangelisch-freikirchlich und rund 1% sind orthodoxe Christen.

Etwa 4% der Bevölkerung in Deutschland gehören dem Islam an, gefolgt von 0,3% Buddhisten, 0,2% Juden und 0,12% Hindus. Neureligiöse Gemeinschaften sowie dem esoterischen Spektrum gehören etwa 0,8% der Bevölkerung an.

Rund 29% der Deutschen gehören dagegen keiner Religionsgemeinschaft oder religiösen Strömung an – ein Wert, der im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Im Weltmaßstab beträgt der Anteil der Nichtreligiösen im Durchschnitt 16,5%.

Der Religionsmonitor fragt nicht nur nach der persönlichen Einschätzung der eigenen Religiosität, sondern er stellt die zahlreichen Selbstbeschreibungen in einen Zusammenhang. Mehrere Faktoren werden also zusammengeführt. Dadurch erreicht man eine „objektivere Sicht“ auf den Stand von Religiosität und Spiritualität.

Der Religionsmonitor konnte feststellen, dass 70% der Menschen religiös sind und 28% klar nicht religiös. Dabei zeigen sich große Unterschiede von Ost und West.

Während in den alten Bundesländern 78% der Befragten religiös sind, sind es in den neuen Bundesländern gerade einmal 36%. 63% erklären sich hier nicht religiös, während es im Westen lediglich 19% sind.

Anders als alle bisherigen Untersuchungen erlaubt der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung eine weitaus feinere Unterscheidung bezüglich der Intensität (oder Zentralität) der Religiosität von Einzelpersonen. Anhand eines über 100 Fragen umfassenden Erhebungskatalogs der die verschiedensten Dimensionen von Glaubensüberzeugungen, Weltbildern und religiösen Erfahrungen der Menschen ermittelt, konnten die Befragten unterschiedlichen Gruppen zugeordnet werden. Personen, die in allen Dimensionen weit überdurchschnittlich hohe Werte in Bezug auf ihre religiösen Vorstellungen aufwiesen, wurden dabei als „hochreligiös“ eingestuft.

Die Anzahl der hochreligiösen Menschen ist in Deutschland nach Erkenntnissen des Religionsmonitors überraschend groß. Danach können 52% der Deutschen als „durchschnittlich“ religiös eingestuft werden, aber immerhin fast jeder Fünfte (18%) als hochreligiös. Im Westen liegt dieser Anteil sogar bei 21% und auch in den „säkularisierten“ neuen Bundesländern kann mit 8% nahezu jeder zehnte Einwohner als hochreligiös angesehen werden. Weitere 28% sind hier durchschnittlich religiös oder zeigen sich für religiöse Dimensionen zumindest „ansprechbar“.

Größere Unterschiede im Ausmaß der Religiosität weisen auch die Mitglieder der beiden großen christlichen Kirchen auf. Erwarteter Weise ist der Anteil der Religiösen unter den Kirchenmitgliedern höher im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Gibt es deutschlandweit 70% religiöse, so steigt der Anteil unter den Kirchenmitgliedern sogar auf 79-82%. Dennoch bleibt festzustellen: In beiden Kirchen kann fast jeder sechste als nicht religiös bezeichnet werden. In der katholischen Kirche sind es 15%, in den evangelischen Kirchen sogar 17%.

Etwa 55% bis 65% der Kirchenmitglieder sind jeweils durchschnittlich religiös. Und als hochreligiös werden in der evangelischen Kirche etwa 14% eingestuft. Unter den Katholiken sind es mit 27% fast doppelt so viel.

Unterschiede gibt es auch zwischen Männern und Frauen. Dabei können die Frauen generell als religiöser eingeordnet werden. Unter ihnen sind 20% hochreligiös und 23% gar nicht religiös. Bei den Männern beträgt das Verhältnis 16% zu 34%.

Ein differenziertes Bild zeichnet der Religionsmonitor auch von den Deutschen, die keiner Kirche oder Konfession angehören. Denn nur 2/3 von ihnen können nach diesen Erhebungen als konsequent nicht-religiös bezeichnet werden. 31% der Nichtmitglieder sind dagegen auch ohne Taufschein als durchschnittlich religiös und 2% sogar als hochreligiöse Zeitgenossen einzustufen. Immerhin 12% der Nichtreligiösen glaubt an die Existenz Gottes, an ein göttliches Prinzip, ein Leben nach dem Tod, die Unsterblichkeit der Seele oder eine mögliche Wiedergeburt.

Eine Stärke des Religionsmonitors besteht darin, die verschiedenen Selbstbeschreibungen der Menschen in einen Zusammenhang zu stellen. Gefragt nach Religion steht sie aber nur für eine kleine Minderheit der Deutschen im Mittelpunkt ihres Lebens. Der Stellenwert der Religion relativiert sich aber ganz eindeutig gegenüber anderen Themen und Fragen, wenn sie im Kontext anderer Lebensinhalte erfragt wird. Unter sieben zur Auswahl gestellten Lebensbereichen sind den Deutschen der Ehe- bzw. Lebenspartner, die persönliche Bildung und die Familie am wichtigsten, noch vor Arbeit und Beruf, Freizeit oder Politik. Religion nimmt unter diesen Lebensbereichen mit deutlichem Abstand den geringsten Stellenwert ein.

1) Ehepartner/Lebenspartner 4.5
2) Bildung 4.5
3) Eigene Familien mit den Kindern 4.4
4) Arbeit und Beruf 4.4
5) Freizeit 4.1
6) Politik 3.2
7) Religiosität 2.8

Die frommen Alten und die lauen Jungen?

Bei der Frage über den Stellenwert und die Zukunft von Religion und Kirchen richtet sich der Blick auf die nachwachsenden Generationen. An ihrem Verhalten wurden bislang zumeist die Thesen über Traditionsbrüche und Prognosen über die zukünftige Entwicklung aufgestellt. Allerdings wurden in den vergangenen Jahren immer wieder widersprüchliche Aussagen über das Ausmaß und die Entwicklung von Religiosität unter jungen Erwachsenen getroffen. Im Alltagsbewusstsein und im medialen Diskurs ist offensichtlich tief verwurzelt, dass junge Menschen und gelebte Religion nur in seltenen Ausnahmenfällen und allenfalls als Außenseiterexistenzen zu beobachten sind. Auf diese unbelegten Hypothesen erlaubt der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung ebenfalls weitergehende und vielschichtige Antworten zu den Glaubensvorstellungen der jüngeren Generationen.

Der innovative Ansatz ermöglicht dabei auch in diesem Fall einige überraschende Erkenntnisse. Auf den ersten Blick unterscheidet sich die „heutige Jugend“ in Fragen der Religion und des Glaubens dabei zunächst scheinbar erheblich von ihren Eltern und noch deutlicher von ihren Großeltern. So ist das Interesse an religiösen Fragen in der Generation der 18-29jährigen im Vergleich zu den Eltern erkennbar schwächer ausgeprägt und die Zustimmung zu Glaubensgrundsätzen erheblich geringer.

Die jungen Erwachsenen in Deutschland zeichnen sich auch aus durch eine geringere rituelle Praxis. Mehr als 50% von ihnen beten niemals oder so gut wie nie und sie machen nach eigenen Angaben weniger religiöse Erfahrungen. Religion spielt in der Generation der unter 30jährigen generell für die meisten im Vergleich zu anderen Lebensbereichen wie Partnerschaft, Arbeitswelt oder Politik nur eine untergeordnete Rolle.

Doch damit unterscheidet sich die nachwachsende Generation insgesamt nicht sehr von ihren Vorfahren. Nur jeder Dritte der Deutschen zwischen 18 und 30 Jahren kann klar zu den nichtreligiösen Zeitgenossen gerechnet werden. 52% der jungen Erwachsenen sind dagegen klar religiöse Menschen und weitere 14% sogar hochreligiös.

Dies sind nicht weniger als in der älteren Generation zwischen 30 und 60 Jahren.

Lediglich in der Generation ihrer Großeltern über 60 Jahren finden sich deutlich mehr Hochreligiöse und klar weniger vollständig Nicht-Religiöse als in der Enkelgeneration.

Die Mehrheit unterscheidet sich in Glaubensfragen nicht besonders von den Eltern und Großeltern.

Umgekehrt aber findet sich in dieser Gruppe das größte Maß an Zustimmung bei Frage, ob sie an Gott, ein Leben nach dem Tod, die Unsterblichkeit der Seele oder eine Wiedergeburt glauben. Die hohen Zustimmungswerte werden in keiner anderen Altersgruppe festgestellt. Und auch am öffentlichen religiösen Leben nehmen die Jüngeren vergleichsweise nicht weniger Anteil wie die Älteren. 14% der 18-29jährigen sehen den regelmäßigen Gottesdienstbesuch als wichtig an und sind damit dort sogar häufiger vertreten als ihre Eltern. Allerdings sind sie auch deutlich weniger “kirchenfromm“ wie die über 60jährigen, die wesentlich häufiger an Gottesdiensten und andere religiösen Handlungen teilnehmen.

Auch in den meisten religiösen Vorstellungen unterscheiden sich die jungen gläubigen Deutschen nicht fundamental von den Älteren. Für sie ist Gott genauso wenig eine abstrakte, philosophische Idee oder unpersönlicher Gott als für ihre Vorfahren.

Eine Tendenz, dass die Vorstellung, Gott sei nur eine menschliche Idee, umso stärker ausgeprägt ist, je jünger die Befragten sind, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Auch eine rein naturwissenschaftliche Deutung der Welt ist bei Jüngeren eindeutig nicht häufiger als bei den Älteren. Und auch eine andere Alltagsvermutung kann anhand der Befragung durch den Religionsmonitor ausgeschlossen werden.

Danach neigen die jüngeren Menschen in Deutschland in der Tendenz immer mehr dazu, sich aus dem Angebot der zahlreichen Glaubensangebote ihre private „Patch-Work-Religion“ selbst zusammen zu stellen. Tatsächlich ist Zahl derjenigen, die dies befürworten nicht klein. Immerhin 24% der 18 bis 29jährigen findet, dass man sich aus verschiedenen religiösen Lehren seinen eigenen Glauben zusammen stellen soll. Nur unterscheiden sie sich damit überhaupt nicht von den anderen Altersgruppen.

Hier beträgt der Anteil ebenfalls der „Patch-Work-Anhänger“ durchgängig 20% bis 25%.

Aus den erhobenen Daten kann somit eindeutig gefolgert werden, dass es in Deutschland in Fragen der Religion und des Glaubens keinen massiven Traditionsbruch zwischen Eltern und Kindern gibt. Im Gegenteil ist die jüngste Generation in manchen Aspekten viel engagierter und weniger skeptisch als die älteren Gläubigen.

Bestätigt werden kann aber auch nicht die viel beschworene Renaissance der Religion unter den Jüngeren, die gelegentlich hoffnungsvoll beschworen wird. Vielmehr unterscheiden sich die Jungen weder in der einen noch in der anderen Richtung kaum von ihren Eltern.

Die frommen Alten – auch in Zukunft die beständigen Säulen der Kirchen?

Was ist aber mit der wachsenden Zahl der Senioren. Ein Blick in die evangelischen oder katholischen Sonntagsgottesdienste spricht Bände. Mit Abstand bildet die Schar der über 60jährigen - vor allem Frauen - das Gros der heutigen Gottesdienstbesucher.

Gilt die Gleichung: Je älter desto frömmer? Können die Kirchen vielleicht darauf hoffen, dass die Menschen im zunehmenden Alter und im Angesicht eines nahenden Todes wieder in Scharen zu ihnen zurück finden? Kommt die Renaissance der Religion vielleicht über den Umweg des demographischen Wandels?

Die Ergebnisse des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung widersprechen dabei klar den Vorstellungen, dass Religion vor allem nur noch die Angelegenheit der Älteren ist. Richtig ist, dass unter den Älteren der Anteil der Gottesdienstbesucher klar größer ist als unter den Jüngeren oder im Durchschnitt der Bevölkerung. Auch nehmen sich ältere Menschen häufiger Zeit und Gelegenheit zum Gebet und sie beschreiben häufiger die persönliche Erfahrung, dass Gott in ihr Leben eingreift. Auch ist ihr Interesse an religiösen Themen durchschnittlich ausgeprägter als bei den Jüngeren. Und nicht zuletzt ist der Anteil der Hochreligiösen unter den über 60jährigen mit 28% ganz klar am höchsten in allen Altersgruppen ausgeprägt.

Werden die Deutschen in hohem Alter automatisch zu religiösen Menschen? Der Religionsmonitor erklärt dazu: „Diese Interpretation wäre ebenfalls ein frommer Selbstbetrug.“ Denn auch unter den Alten sind die „lauen Beter“ und nur noch nominellen Mitglieder der Kirchen mit 68% in der klaren Mehrheit. Auch unter ihnen gehen lediglich 18% mindestens einmal pro Woche zum Gottesdienst, aber 47% weniger als einmal pro Jahr oder nie. Und auch nur jeder fünfte unter den Senioren empfindet sich selbst als ziemlich oder sehr religiös.

Vielmehr wächst im höheren Alter offensichtlich auch die Skepsis in religiösen Angelegenheiten.

Mehr als jeder Dritte (37%) glaubt, dass es kein Leben nach dem Tod geben wird. Bei den unter 30jährigen sind dies mit 19% deutlich weniger. Und gerade unter den Alten sagen drei- bis viermal so viele „Das Leben hat meiner Meinung nach wenig Sinn“. Fast jeder Fünfte (18%) kommt jenseits des 60. Geburtstages zu dieser hoffnungslosen Einschätzung.

„Ja, was glauben Sie denn?“ – Das Gottesbild der Deutschen

Religiöse Konfessionen, Haltungen und Weltbilder in Deutschland sind in den vergangenen Jahren offensichtlich bunter und vielfältiger geworden. Darauf deutet eine größere Heterogenität und Verteilung der Konfessionszugehörigkeit der Deutschen hin, die zusätzlich von Migration und innergesellschaftlicher Dynamik in den vergangenen Jahrzehnten befördert worden ist. Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung hat dabei sowohl den Anspruch, die generelle Ausprägung in breiten Bevölkerungsgruppen zu ermitteln als auch die Vielfalt der religiösen Vorstellungen im Detail aufzuzeigen. So befragte der Monitor die Teilnehmer der Erhebung, wie sie sich Gott oder das Göttliche am ehesten vorstellen. Die Ergebnisse spiegeln die Vielfalt und das Spektrum religiöser Vorstellungen und des Gottesbildes der Deutschen.

Danach stellen sich die meisten Deutschen Gott sowohl als Person als auch als abstrakte Größe vor. Am ehesten erklären sie, ist er für sie eine höhere Macht oder das Göttliche ist die Natur selbst. Gleich häufig ist aber auch die Vorstellung vertreten, dass Gott eine Person ist, zu der man sprechen kann. Fast 40% der Deutschen glauben an einen Gott, der sich mit jedem Menschen persönlich befasst. Viele vergleichen ihn oder das Göttliche dagegen mit eher einer Energie, die alles durchströmt, einem Gesetz, das ewig gilt oder auch schlicht als einen höchsten Wert. Fast jeder Dritte sagt dagegen auch: „Ich glaube an das Göttliche in mir.“

Und nur eine kleine Minderheit der religiösen Deutschen sagt, Gott müsse man sich eher als eine menschliche Idee ohne eigene Existenz vorstellen.

Bei dem Gedanken an Gott aber herrscht bei der Mehrheit der Durchschnittsbürger offensichtlich das Bild eines liebenden, gütigen Wesens vor. Am häufigsten verbinden die Gläubigen mit Gott Gefühle der Dankbarkeit, der Hoffnung, Freude und Liebe. Es folgen Attribute wie, Geborgenheit, Hilfe, Ehrfurcht und Gerechtigkeit.
Deutlich weniger spüren bei dem Gedanken an Gott Verzweiflung, Angst oder das Gefühl der Befreiung von Schuld. Und noch weniger verbinden mit ihm Zorn oder die Befreiung von einer bösen Macht.

Sind religiöse Männer auch die besseren Familienväter? – Von Sonntagreden und Alltagshandeln

Doch sind die deutschen Gläubigen lediglich „Sonntagschristen“ oder haben ihre Einstellungen auch eine Relevanz für ihr alltägliches Leben? Begegnen sie den Dingen grundsätzlich anders als Nichtgläubige und setzen sie möglicherweise ganz andere Prioritäten? Hat das Ausmaß der Religiosität Auswirkungen auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft oder auch politische Konsequenzen? Auch auf diese Fragen ermöglicht der Religionsmonitor erstmals weitergehende Antworten.

Mit religiösen oder nichtreligiösen Überzeugungen gehen zunächst offensichtlich auch verschiedene Lebensweisen und die Einstellung zu bestimmten Lebensstilen einher. So wurden die religiösen Deutschen zunächst befragt, ob sich ihr Glauben auf bestimmte Lebensbereiche auswirkt. Wie zu erwarten haben deren Überzeugungen den größten Einfluss, wenn es um bestimmte einschneidende Lebensereignisse wie Geburt, Heirat oder Tod geht. Die nächst stärkere Korrelation besteht zwischen dem Glauben eines Menschen und seinem Verhältnis zur Natur. Je religiöser die Befragten waren, umso häufiger erklärten sie, dass ihr Glaube einen entscheidenden (positiven) Einfluss auf ihr Verhältnis zur natürlichen Umwelt habe.

Als weiteres gaben sie an, dass er einen großen Einfluss auf die Bewältigung von Lebenskrisen, auf die Frage nach dem Sinn des Lebens oder beim Umgang mit Krankheiten hätte. Ein signifikanter Zusammenhang besteht offensichtlich auch zwischen religiösen Überzeugungen und der Gestaltung zwischenmenschlicher Partnerschaft oder der Kindererziehung. Kaum Einfluss hat Religion aber offensichtlich darauf, wie Menschen ihre Freizeit verbringen, wie sie sich im Arbeitsleben und Beruf verhalten oder auf ihre politische Einstellung. Der jahrhundertelange Kampf der Aufklärung gegen Religion und Kirchen scheint in Deutschland am augenfälligsten auf dem Gebiet der Sexualmoral entschieden worden zu sein. Denn am geringsten, so erklären gläubige Menschen, wirke sich Religiosität auf ihr Verhältnis zu Sexualität aus.

Aber sind religiöse Menschen auch tolerant im Umgang mit den Vertretern anderer Lebensstile, Kulturen und Religionen? Ergründet wurde dies mit der Frage: „Glauben Sie, dass sich Ausländer an den vorherrschenden Lebensstil im Gastgeberland anpassen sollten?“ Im Ergebnis ist es für die klar überwiegende Mehrheit selbstverständlich, dass sich ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger an die hiesigen Lebensverhältnisse anzupassen haben. Doch neigen hochreligiöse Menschen, wenn sie sich zudem noch selbstkritisch mit ihrer eigenen Religion auseinandersetzen, etwas stärker dazu, gegenüber der Lebensweise von Ausländern und Ausländerinnen Toleranz zu üben.

Hohe Religiosität scheint darüber hinaus eine große zivilgesellschaftliche Ressource zu sein. Religiöse Menschen sind offensichtlich viel stärker gesellschaftlich engagiert als andere. Befragt, ob sie ein unbezahltes Ehrenamt ausüben, erklären dies 19% der nicht-religiösen Deutschen. Unter den durchschnittlich Religiösen sind es immerhin 26%. Doch von den hochreligiösen Menschen widmet sich mit 43% nahezu jeder Zweite außerhalb von Familie und Beruf einer freiwilligen und unbezahlten Aufgabe.

Deutschland im internationalen Vergleich

Folgt die Entwicklung von Religion und Glaube in Deutschland einem allgemeinen Trend in Europa, vielleicht in der gesamten entwickelten Welt oder bildet es eher die Ausnahme? Auch hier ermöglicht der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung weitergehenden Antworten, als sie bisher möglich waren. Denn die Untersuchung für Deutschland war eingebettet in eine internationale Befragung unter 21.000 Erwachsenen in allen Erdteilen und unter den Angehörigen aller großen Weltreligionen.

Auch aus dieser umfangreichen Untersuchung liegen erste Ergebnisse vor. Danach liegt die Verbreitung und Intensität von Religiosität hierzulande zwar im westeuropäischen Trend. Im weltweiten Vergleich steht sie dagegen eher für eine Ausnahme als die Regel.

Insbesondere die Ergebnisse in Westdeutschland entsprechen in hohem Maße denen, wie sie auch in den anderen deutschsprachigen Ländern Österreich und der Schweiz ermittelt wurden. Der Anteil der Hochreligiösen, Religiösen und Nichtreligiösen ist dort nahezu identisch zu Deutschland. Etwas weniger religiös geprägt als in Deutschland zeigt sich dagegen die Bevölkerung in Großbritannien und Frankreich, vor allem aber in Russland. Dort wurde weltweit die geringste Anzahl an religiös geprägten Menschen verzeichnet. Ganz offensichtlich hat die lange Prägung in der antireligiösen Ära des Kommunismus nachhaltigen Einfluss auf das religiöse Bewusstsein der Menschen genommen. In Russland sind nur etwa 50% der Menschen als religiös einzustufen und lediglich 7% als hochreligiös. Vergleichbar niedrige Werte sind im Rahmen der internationalen Erhebung nur noch in den deutschen Beitrittsländern zu finden.

Innerhalb Europas weisen Polen und Italien deutlich höhere Anteile an religiösen Menschen auf. Hier werden 87%-89% Gläubige registriert, darunter sind über 40% als hochreligiös einzuschätzen. Diese Werte übertreffen sogar die Zahlen aus der islamisch und gleichzeitig laizistisch geprägten Türkei. Und auch im heutigen Israel bzw. Palästina, der Wiege dreier Hochreligionen und dem jahrzehntelangen Fokus religiös-politisch motivierter Gewalt, finden sich im Vergleich zu ihnen deutlich weniger religiös geprägte Menschen. Die israelischen Werte gleichen interessanterweise vielmehr denen in der alten Bundesrepublik.

Der Religionsmonitor bestätigt auf vielfältige Weise eine weitere Erkenntnis: In der westlichen Welt unterscheidet sich das Bewusstsein der Bevölkerung in den USA schon sehr deutlich von der in weiten Teilen Europas. Hier kann man 89% der Bevölkerung als religiös bezeichnen und 62% sogar als hochreligiös, der eindeutige Spitzenwert in der gesamten westlichen Hemisphäre. Übertroffen werden derartige Zahlen nur noch beispielsweise in Brasilien, Marokko, Guatemala oder Indonesien.
Zu den Ländern mit der höchsten Zahl an religiösen Menschen zählt nach den Erhebungen des Religionsmonitors Indien. Hier erklärt sich gerade einmal 1% der Bevölkerung als nicht-gläubig. Und das Land, in dem Gott scheinbar zu Hause ist, ist danach das schwarzafrikanische Nigeria. Hier, wo etwa zur Hälfte Christen und zur anderen Hälfte Moslems leben, registriert der Religionsmonitor nicht weniger als 92% Hochreligiöse.

Zwischenfazit:

Ein erstes, vorläufiges Fazit des Religionsmonitors auf die Ausgangsfrage kommt daher zu dem Ergebnis: Unter den Menschen in Deutschland ist ein religiöses Weltbild weit verbreitet, bei einer relativ großen Minderheit von hochreligiösen Menschen ist dieses Weltbild und ihr Glauben sogar in hohem Maße identitätsstiftend und persönlichkeitsbildend. Diese religiöse Orientierung ist durchaus stärker verbreitet und intensiver, als dies im Alltagsbewusstsein und in den Lebensbekundungen der Menschen deutlich wird. Gleichwohl spielen für einen Großteil der Menschen in Deutschland Religion und Glaube keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Deutschland ist offensichtlich kein Land, das weitgehend säkularisiert ist oder in dem der Glaube schicksalhaft vom Aussterben bedroht ist. Gleichwohl kann der Religionsmonitor zeigen, dass eine Wiederkehr der Religion oder einer Renaissance des Glaubens ebenfalls nicht behauptet werden kann. Der Vergleich seiner Ergebnisse mit denen zurückliegender Untersuchungen ergibt eindeutig eine große Stabilität des religiösen Bewusstseins. Das Christentum ist in den vergangenen 15 Jahren nicht stärker geworden, aber auch nicht schwächer. Neben dem Christentum sind naturalistische und existenzialistische Lebensdeutungen und Weltbilder mindestens ebenso weit verbreitet.


© imprimatur Juni 2010
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