Rudolf Uertz
Wie kam der Papst auf diese Galeere?

„Neue Attacken der Piusbrüder auf deutsche Bischöfe“ titelt „Die Welt“ in einem Bericht vom 9. Januar 2010. Ganz so neu sind diese Attacken nicht; doch sind die einem kruden Gottes- und Weltbild entstammenden Vorwürfe, die die fromme Bruderschaft in den letzten Wochen und Monaten gegen die nachkonziliare Papstkirche und den deutschen Episkopat erheben, neu gewürzt; und die Unterstellungen werden absurder. Kurz vor der Fortsetzung der Gespräche im Januar 2010 zwischen den Vertretern des Vatikans und den Traditionalisten in der Nachfolge von Erzbischof Marcel Lefebvre signalisiert deren deutscher Distriktobere, Franz Schmidberger, „Kompromisslosigkeit bei dem römischen Disput“.

Die Berichte, Kommentare und Interviews, die seit der bedingungslosen Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der schismatischen Gemeinschaft am 21. Januar 2009 veröffentlicht wurden, füllen inzwischen gut einen halben Regalmeter mit Aktenordnern. Wer sich von dem Wust von Kopien und Computerausdrucken befreien und mit einer Auswahl repräsentativer Beiträge und Analysen sowie Dokumenten zum Fall der Lefevrianer bescheiden will, für den empfiehlt sich die Publikation im Hardcover-Format: „Der Papst im Kreuzfeuer. Zurück zu Pius oder das Konzil fortschreiben?“ (Hg. von Til Galrev, Münster: LIT 2009; 24,90 €). Ausgewählte Beiträge zum Thema dokumentieren die wichtigsten Problemstellungen, die sich die katholische Kirche durch die Entscheidung des Papstes eingehandelt hat.

Hans Maier bietet mit seinem Beitrag den besten Einblick in den Fall der Bruderschaft im Kontext von Kirche, Katholizismus und Öffentlichkeit. Wie kam Papst Benedikt XVI. „auf diese Galeere“? Was hat ihn „in diese kritische Lage gebracht“, was hat ihn „in die Enge getrieben“, fragt der Münchener Politikwissenschaftler und Religionsphilosoph („Können Papst und Kirche irren?“, S. 1 ff.).

Für Maier, der sich auch als Verwaltungswissenschaftler seit längerer Zeit mit Überlegungen zu einer angemessenen Kurienreform beschäftigt, bleiben die Motive des Papstes letztlich im Dunkeln. „Am Anfang stand, wie so oft, die gute Absicht.“ Dass dem Papst als Pontifex die Sorge für die Einheit der Kirche obliegt, ist unzweifelhaft. Aber wie konnte das Schiff bei der Verfolgung der Ziele in die falsche Richtung segeln? Unter denen, die der Papst mit den Verhandlungen betraute, habe es offenbar keinen gegeben, der dieser Aufgabe gewachsen gewesen sei; und diejenigen, die es vielleicht gekonnt hätten, seien nicht beteiligt worden. Und so scheint für Maier „das Drehbuch der Versöhnung nicht vom Vatikan, sondern von der Piusbruderschaft entworfen“ zu sein.

Für Peter Hünermann („Excommunicatio – Communicatio“, S. 33 ff.) verstößt die päpstliche Entscheidung der Aufhebung der Exkommunikation der schismatischen Bischöfe „in einer gravierenden Weise gegen fides et mores, Glauben und Sitten“. Das kann man durchaus so sehen: Denn der Papst muss das Gemeinwohl der Kirche im Auge haben. Aber das Gemeinwohl ist durch seine Entscheidung, deren Wirkungen durchaus voraussehbar waren, erheblich gestört. Hünermann beruft sich bei seinem Urteil auf den Canon 126 des CIC: „Eine Handlung, die vorgenommen wurde aus Unkenntnis oder Irrtum, der sich auf etwas bezieht, was ihr Wesen ausmacht, oder eine für unverzichtbar erklärte Bedingung betrifft, ist rechtsunwirksam.“ Dieser Canon trifft, was die Umstände der Entscheidung angehen, in der Tat zu, da im Vatikan beispielsweise die Holocaust-Leugnung von Bischof Richard Williamson, der in den USA und in Argentinien ein Priesterseminar leitete, offenbar nicht bekannt war.

Ist der Papst aber deswegen ein Rechtsbrecher, wie dies Hünermann nahe legt? Es ginge zu weit, dies zu behaupten. Aber Hünermann versteht seine Kritik wohl metajuristisch. Papst Benedikt hätte der Kirche viel erspart, wenn er sich an die für den Fall der Rückführung von Schismatikern vorgesehenen rechtlichen Normen gehalten hätte. Das heißt: Anerkennung der vollen Autorität des Papstes und der Lehre der Kirche, insbesondere der Dokumente des II. Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit und zum Verhältnis von Kirche und Welt durch die Piusbruderschaft (vgl. hierzu Richard Puza: „Kirchenrechtliche Fragen zur Aufhebung der Exkommunikation“, S. 65 ff.). In seiner Souveränität als oberster Gesetzgeber, Lenker und Richter aber schuf der Papst nun neue Ausgangsbedingungen, indem der zweite vor dem ersten Schritt getan wurde.

So viel aber sei zur Kritik Hünermanns angemerkt: Die päpstliche Unfehlbarkeit im vorliegenden Falle, von der auch der Rezensent ausgeht, muss keineswegs theologisch begründet werden. Sie ergibt sich, wie der savoyardische Jurist und Laientheologe, Joseph de Maistre in seinem Buch „Du Pape“ (Paris 1819; deutsch: „Vom Papst“. Ausgewählte Texte, Berlin: Semele-Verlag 2007, 23,90 €, S. 195) luzide darlegt, allein schon aus rechtslogischen Gründen: Als absoluter Herrscher kann der Papst wie jeder Monarch, selbst wenn er von der Sache her einer Fehlentscheidung überführt würde, dennoch nicht eines juristischen Irrtums bezichtigt werden. Denn wer könnte ihn auf Erden vor ein Gericht ziehen? Mit dieser Argumentation, die von dem französischen Traditionalisten de Maistre ausgearbeitet wurde, wurde im Übrigen auch die weltliche Herrschaft des Papstes über den Kirchenstaat bis weit über dessen Ende 1870 hinaus verteidigt: Der Papst sollte die volle Souveränität eines Staatsmannes inne haben und auch keinem weltlichen Machthaber untertan sein. Die monarchische Struktur von Papst und Kirche, die auf dem I. Vatikanischen Konzil (1869/70) gefestigt (u. a. Unfehlbarkeitsdogma), auf dem II. Vatikanum (1962–1965) durch theologische und ekklesiologische Normen gemildert und modifiziert wurde (Kollegialitätsprinzip der Bischöfe u. a.), besteht grundsätzlich weiter.

Aber ist jede Kritik an der päpstlichen Entscheidung deswegen etwas Unerlaubtes? Winfried Aymans, der 25 Jahre an der Universität München den Lehrstuhl von Klaus Mörsdorf für Kirchenrecht inne hatte, beklagt, dass nicht wenige darauf abzielten, „den Fall ‚Pius-Bruderschaft’“ in einen „Fall Benedikt“ umzufunktionieren. Das sehe auch der Papst so, wie dessen ungewöhnlicher und sehr persönlich gehaltener Brief vom 10. März 2009 an alle Bischöfe der Weltkirche zeige. Erstaunlich ist, dass Aymans wie viele andere, die die Kritik an der Papstentscheidung in Sachen Piusbruderschaft für unangemessen halten, sein Unbehagen auf die Bundeskanzlerin Angela Merkel umlenkt. Der Papst und seine kirchlichen Entscheidungen, so Aymans, unterlägen nicht ihrer amtlichen Beurteilung.

Die Kritik des Kirchenrechtlers an der Bundeskanzlerin, die sich auf den Fall Williamson bezog, übergeht den Umstand, dass der Papst als oberster Priester, Lehrer und Hirte zugleich auch für die Arbeit und Funktionsweise der Kurie Verantwortung trägt. Das einseitige Ausspielen der Person des Papstes und seiner geistlichen Autorität gegen eine offenbar äußerst unprofessionell arbeitende Kurie sind ebenso wie die Entgegensetzung des rein theologisch intendierten Gnadenaktes und seiner – wenngleich ungewollten – kirchlichen und politischen Wirkungen dem Kirchenvolk und mehr noch der allgemeinen Öffentlichkeit wohl kaum zu vermitteln (einer Umfrage gemäß halten 71 % der Befragten Merkels Umgang mit dem Pontifex für richtig, nur 22 % sehen darin einen Fehler; vgl. Puza, S. 73). Diese Einseitigkeit des Personalen und das völlige Ausblenden der kirchlich-politischen Implikationen der päpstlichen Entscheidung vom Januar 2009 kennzeichnet auch den genannten Brief an die Bischöfe der Weltkirche, der keinen Spielraum lässt für Kritik, sondern die ganze Angelegenheit sehr persönlich nimmt (Brief vom 10. März 2009: Man hat geglaubt „mit sprungbereiter Feindschaft auf mich einschlagen zu müssen“).

Bei dieser Theologisierung einer kirchlich-politischen Entscheidung bleibt natürlich kein Platz für Kritik von außen. Es grenzt dann allerdings an Unaufrichtigkeit, wenn man ignoriert, dass Hinweise auf den Antisemitismus bzw. Antijudaismus der Piusbruderschaft, wie dies auch der Weihnachtsbrief von 2008 der Piusbruderschaft an die deutschen Bischöfe ausweist, schon länger bekannt waren. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte damals schon Protest gegen die kruden Behauptungen der frommen Bruderschaft eingelegt.

Darf man da nicht einmal fragen, wie angesichts der kirchlichen Entscheidung, der Teilrehabilitierung eines notorischen Holocaust-Leugners, die rechtlich-politischen Bindewirkungen zu bewerten sind? Das ist nicht zuletzt auch die Sorge der Theologieprofessoren von zwölf deutschen und österreichischen Theologischen Fakultäten, deren Stellungnahmen zusammen mit dem Protokoll über das Einvernehmen zwischen dem Hl. Stuhl und der Piusbruderschaft vom 5. Mai 1988 und dem Apostolischen Schreiben „Ecclesia Dei“ Johannes Pauls II. vom 2. Juli 1988 und einem Selbstporträt der Piusbruderschaft sowie weiteren Stellungnahmen „pro und contra“ (Heinz-Joachim Fischer, Albert Franz, Ottmar Fuchs, Eilert Herms, Karl Kardinal Lehmann, Joachim Kardinal Meisner, Martin Mosebach, Ulrich Schnabel, Dorothea Sattler, Roman Siebenrock, Richard Sosis, Jean-Pierre Wils, Robert Zollitsch u. a.) in dem Band abgedruckt sind.

Kardinal Dario Castrillón Hoyos, Leiter der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 25. September 2009 („Keiner von uns wusste das Geringste“) bestritten, dass es zu seinen Aufgaben gezählt habe, Recherchen über die Piusbruderschaft anzustellen. Nachdem manche der bis dahin unausgeleuchteten Ecken spätestens jetzt im Vatikan bekannt und überdies die „Reform“ des Lefebvrianers Franz Schmidberger angedroht wurde (Überwindung des „Ungeistes“ des II. Vatikanischen Konzils), darf die Gemeinde gespannt sein auf die Ergebnisse der Gespräche zwischen der vom Heiligen Stuhl eingesetzten Kommission und der Piusbruderschaft.


© imprimatur April 2010
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